Tirschenreuth wieder Corona-Hotspot: „Man hätte viel früher mit Schnelltests an den Grenzen beginnen müssen“
In Tirschenreuth, unweit von Tschechien entfernt, grassiert die Virus-Mutante B117 besonders stark. Von Grenzschließungen hält der Bürgermeister aber nichts.
Herr Stahl, die Bundesregierung bereitet eine Grenzschließung zu Tschechien vor. Was halten Sie als Bürgermeister von Tirschenreuth, wenige Kilometer von der Grenze, von dieser Maßnahme?
Da sind wir total kalt erwischt worden und für uns ist das eine ganz schwierige Situation. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir hier Jahrzehnte direkt am Eisernen Vorhang gelebt. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Situation glücklicherweise komplett verändert. Heute haben wir tolle menschliche und wirtschaftliche Beziehungen nach Tschechien. Ohne unsere Nachbarn würde hier in den Sozialberufen, der Gastronomie und auf dem Bau gar nichts laufen.
Die Pandemie-Lage in Tschechien ist extrem angespannt und auch Tirschenreuth führt das bundesweite Inzidenz-Ranking seit Tagen wieder an. Im Moment bei knapp unter 350.
Das stellt uns vor ein großes Dilemma, denn natürlich macht Corona nicht an der Grenze halt. Grenzschließungen sind für uns aber keine Lösung. Mein Vorschlag wären Quarantäne-Korridore für ein paar Wochen. Die Pendler dürften weiter kommen, aber ausschließlich zum Arbeiten. Natürlich müssten sie an der Grenze oder am Arbeitsplatz konsequent getestet werden. Ich höre immer wieder, dass die Tschechen sich das sogar wünschen würden, denn viele sind doch regelrecht abhängig von ihren Arbeitsplätzen hier.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie von der Politik in München und Berlin gehört werden?
Teils werden wir schon alleingelassen. Vor paar Tagen habe ich deshalb an Ministerpräsident Markus Söder einen Brandbrief geschrieben. Gerade die Grenzregionen, wo die Inzidenzen seit Wochen hoch sind, bräuchten wir mehr Impfstoff. Ich will keine Verteilungskämpfe, aber früher habe ich bei der Feuerwehr gearbeitet. Da hat man ja auch gezielt dort gelöscht, wo es gebrannt hat.
Im Tirschenreuther Impfzentrum werden pro Tag nicht einmal 100 Menschen geimpft, Kapazitäten hätten Sie aber für 450. Ist die Impf-Strategie gescheitert?
Da ist der Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Ich hätte eine ganz andere Strategie gewählt und erst mit dem Impfen begonnen, wenn ausreichend Vakzine vorhanden gewesen wären. Nun erlebe ich die Folgen in meiner Bevölkerung. Seit Wochen gibt es einfach keine Perspektive. Das frustriert enorm.
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Liegt das vielleicht auch daran, dass Tirschenreuth zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres zum deutschen Pandemie-Hotspot geworden ist?
Wir gehen hier nicht jeden Tag mit dem Büßerhemd durch die Stadt. Aber natürlich wurden Fehler gemacht. Man hätte viel früher mit Schnelltests an den Grenzen beginnen müssen. Jetzt schlägt uns das voll rein, zumal wir hier bereits einen sehr hohen Anteil der Virus-Mutante haben.
Halten sich die Menschen bei Ihnen vielleicht nicht so gut an die Regeln?
Das erlebe ich nicht so, die Menschen sind sehr diszipliniert. Aber natürlich frustrieren die Länge des Lockdowns und irrwitzige Regeln. Nur ein Beispiel: Heute haben die Supermärkte große Anzeigen geschaltet für Blumensträuße zum Valentinstag. Wenn meine Gärtner, die seit Monaten keine Blumen verkaufen, das morgens in der Zeitung lesen, treibt es denen doch die Tränen in die Augen. Im Supermarkt kann man jetzt Möbel, Klamotten und Blumen kaufen und gleichzeitig brechen hier ganze Gewerbe zusammen. Das ist extrem bitter
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