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Sieger der ersten Runde: Emmanuel Macron.
© AFP

Präsidentschaftswahl in Frankreich: Macron muss seine Reformfähigkeit noch beweisen

Die Wähler wenden sich ab von Frankreichs alten Eliten. Emmanuel Macron präsentiert sich als Reformer. Doch der Kandidat muss erst zeigen, dass er es wirklich ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Aux armes, Citoyens – zu den Waffen, Bürger!, heißt es in der Marseillaise, der französischen Nationalhymne. Die Bürger Frankreichs haben am Sonntag zu den Waffen gegriffen, jenen Waffen, die die Republik für sie bereithält – den Stimmzetteln. Mit einer Wahlbeteiligung von fast 80 Prozent zertrümmerten sie die tragenden Parteien der Fünften Republik, jene Parteien, deren Strukturen seit 1958 das Schicksal des Landes kanalisierten. Sozialisten und konservative Republikaner, die im Wechsel das Staatsoberhaupt und die Mehrheiten in der Nationalversammlung stellten, erreichten am Sonntag gerade einmal 26 Prozent der Stimmen – zusammen.

Nun also Frankreich. Nach Italien, wo schon vor zwanzig Jahren ein so korrumpiertes wie machtbesessenes Parteiensystem mit dem Stimmzettel atomisiert wurde. Nach den Vereinigten Staaten von Amerika, wo die sich vernachlässigt Fühlenden im Rust Belt und außerhalb der Metropolen einen Zirkus-Zampano ins Weiße Haus wählten. Nach England, wo die Menschen in den entindustrialisierten Midlands nicht mehr von Hilfsgeldern abhängig sein wollten. Nach alledem nun Frankreich, wo Marine Le Pen die Stimmen vor allem in Regionen holte, in denen eine einstmals stolze, links wählende Arbeiterklasse in ihrem Zorn über den Zusammenbruch der Stahl- und Kohleindustrie und den Verlust der Existenzbasis bei den chauvinistischen Parolen des Front National trotzig eine neue politische Heimat suchte.

Fundamente der Republik

Pierre Bourdieu, der Sozialforscher, dessen wichtigstes Werk den Titel „Die Illusion der Chancengleichheit“ trägt, beschrieb schon vor Jahrzehnten in Frankreich eine neue Herrschaftsklasse. Er nannte sie den Staatsadel. Menschen, vor allem Männer, oft durch Herkunft, immer aber durch Ausbildung in einigen wenigen Elitehochschulen lebenslang miteinander verbunden, die Verwaltung, Politik und Wirtschaft beherrschten – ein seit den Zeiten Richelieus dreifach miteinander verwobenes Geflecht von Machtzuwendungen, Begünstigungen und Interessen, das sich jeder Reform und jedem Versuch der bürgerlichen oder gesellschaftlichen Partizipation über den engen Kreis hinaus verweigerte oder entzog.

Marine Le Pen nennt das „die arroganten Eliten“, die entmachtet werden müssten. Emmanuel Macron spricht vom „alten System, das abgedankt“ habe. Vor allem er, der wie ein Heilsbringer glorifizierte Kandidat der Pro-Europäer und Reformer, muss sich aber einer Gefahr bewusst werden. Le Pen wird ihn, bis zum zweiten Wahlgang, als vielleicht abtrünniges Kind, aber eben doch als Produkt dieser Eliten brandmarken.

Macron war Minister in der Ära Hollande, Investment-Banker, Zögling der Grandes Ecoles. Aber so vorbereitet könnte er, würde er zum Präsidenten gewählt, seiner Devise „En marche“ getreu, eine Entwicklung einleiten, die den US-Demokraten, Englands Establishment und den deutschen Christ- und Sozialdemokraten auch erst noch bevorsteht: den Beweis für die eigene Reformfähigkeit erbringen; zeigen, dass die politische Klasse begriffen hat, dass sie vor allem zuhören muss.

Die zurückgehende Wahlbeteiligung in Deutschland, bis zum Aufkommen der AfD, der deutschen Populismusvariante, war das Warnsignal. Für Frankreich und Europa bleibt am 7. Mai die Hoffnung, dass die Citoyens mit der Waffe des Stimmzettels die Fundamente ihrer Republik stärken und nicht schleifen werden.

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