Erzwungene Notlandung in Minsk: Lukaschenko fordert die EU heraus – wie viel lässt die sich bieten?
Die Umleitung einer „Ryanair“ -Maschine nach Minsk und die Festnahme eines Oppositionellen bringt die EU in Bedrängnis. Welche Folgen der Zwischenfall hat.
Alexander Lukaschenko fordert Europa heraus. Der belarussische Diktator hat mit der Kaperung eines zivilen Passagierflugzeuges unter einem offenkundig erlogenen Vorwand und der Verhaftung von Roman Protassewitsch, eines Journalisten und Aktivisten der belarussischen Opposition, internationales Recht gebrochen.
Die EU hat bereits mehrfach Sanktionen gegen Lukaschenko und einzelne Spitzenkräfte des Regimes verhängt. Aber das dürfte nun nicht mehr reichen. Erste Airlines meiden bereits den Luftraum über dem Land.
Was ist über die Aktion bekannt?
Roman Protassewitsch hatte Urlaub in Griechenland gemacht und wollte am Sonntagvormittag mit „Ryanair“ von Athen nach Vilnius reisen. Protassewitschs Telegram-Kanal „Nexta“ veröffentlichte dessen letzte Einträge vor dem Start.
Demnach hatte bereits am Flughafen das außergewöhnliche Interesse eines „russischsprachigen Mannes“ sein Misstrauen erregt. Protassewitsch entschloss sich, dennoch zu fliegen. Gegen Mittag verbreiteten Nachrichtenagenturen die Meldung, eine Maschine von „Ryanair“ auf dem Weg nach Vilnius habe in Minsk notlanden müssen.
Von dort kam als Erklärung, man verfüge über Informationen, dass sich an Bord eine Bombe befinde. Deshalb habe Präsident Lukaschenko persönlich den Befehl erteilt, eine Landung in Minsk zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Flugzeug schon kurz vor der litauischen Grenze. Dennoch wurde es von einem Kampfjet vom Typ Mig-29 zur Kursänderung gezwungen. Der Bomben-„Verdacht“ bestätigt sich nicht.
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Kein Wunder, ist er doch ein Täuschungsmanöver. Auf Telegram vermeldet Lukaschenkos Innenministerium rasch, dass Protassewitsch verhaftet worden sei. Ohne ihn und seine Partnerin kann „Ryanair“ den Flug nach sieben Stunden fortsetzen. Nicht mehr an Bord sind auch vier weitere Personen – russische Staatsbürger, wie sich nach der Überprüfung der Passagierlisten in Vilnius herausstellt.
Was wirft das Regime Protassewitsch vor?
Der 26-jährige Roman Protassewitsch, Mitbegründer und ehemaliger Chefredakteur des Telegram-Kanals „Nexta“, hat sich als einer der schärfsten Kritiker von Lukaschenko und dessen Handlangern profiliert. Besonderen Hass dürfte er auf sich gezogen haben, weil „Nexta“ im vergangenen Winter Listen mit Fotografien und persönlichen Daten von Angehörigen der Sicherheitsorgane veröffentlichte, die sich bei der blutigen Niederschlagung der Proteste gegen Lukaschenko besonders hervorgetan hatten.
[Lesen Sie auch: Wer ist der Mann, für den Lukaschenko ein Flugzeug kapern ließ? (T+)]
Protassewitsch wird die „Organisation von massenhaftem Landfriedensbruch“ und das „professionelle Anheizen von sozialem Hass“ vorgeworfen. Seit November 2020 steht der Journalist auf einer Terroristen-Liste des belarussischen Geheimdienstes KGB. Sollte so die Anklage lauten, droht Protassewitsch die Todesstrafe. Sie wird in Belarus vollstreckt. Selbst wenn dieser Paragraf nicht angewendet wird ist sein Leben bedroht. Am Montag wurde bekannt, dass der Oppositionelle Vitold Ashurok in einer Strafkolonie gestorben ist. Der 50-Jährige hatte angeblich einen Herzinfarkt.
Wie stark ist die Opposition noch? Wie hält sich Lukaschenko an der Macht?
Swetlana Tichanowskaja, die im litauischen Exil lebende Spitzenpolitikerin der Opposition, hat zugeben müssen, dass die Opposition derzeit chancenlos ist. Lukaschenko ist es gelungen, seine Herrschaftselite zusammenzuhalten und den Protest mit beispielloser Brutalität abzuwürgen. Mehr als 35000 Menschen sind im letzten halben Jahr verhaftet worden, rund 3000 Gerichtsverfahren sind noch nicht abgeschlossen.
Die Repressionen gegen Medien und Journalisten sind ein zentrales Element bei der Vernichtung der Opposition. Gerade wurde die populärste Internet-Plattform, tut.by, verboten, ein Dutzend ihrer Mitarbeiter festgenommen.
Warum hält Putin fest zu Lukaschenko?
Beide spielen Eishockey und fahren Ski miteinander. Freunde seien sie dennoch nicht, heißt es in russischen Medien. Lukaschenko ist für den Kreml eine gewaltige finanzielle Belastung. Immer wieder muss Russland die Wirtschaft des völlig maroden Nachbarn mit Milliardenkrediten stützen.
Dennoch hält die „Allianz der Autokraten“. Putin fürchtet offenbar, ein Sturz Lukaschenkos könnte in Russland als Signal ankommen, dass ein Machtwechsel möglich sei. Deshalb tut er alles, Lukaschenko an der Macht zu halten. Wenn Belarus falle, sei Russland als nächstes dran, brachte es Lukaschenko selbst einmal auf den Punkt.
Welche Folgen hat diese Luftpiraterie für den internationalen Flugverkehr?
Diese Missachtung der Regeln ist in der jüngeren europäischen Geschichte ohne Beispiel, da es ein Flug zwischen zwei EU-Staaten war, mit einer Fluggesellschaft aus einem dritten EU-Land, Irland.
„Dieser beispiellose Akt des Staatsterrors durch Lukaschenkos Regime erfordert eine entschlossene und geschlossene Antwort der EU. Es gehört zum Schutz des zivilen Luftverkehrs, dass keine Maschinen mehr über belarussischen Luftraum fliegen“, sagt der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour auf Tagesspiegel-Anfrage. „Es wirkt, dass es die Absicht der Behörden war, einen Journalisten und seine Reisebegleiterin zu entfernen“, sagte der Chef der irischen Billigfluglinie Ryanair, Michael O’Leary einem irischen Radiosender. „Wir vermuten, dass auch einige KGB-Agenten am Flughafen (in Minsk) abgeladen wurden.“
Als erstes hat Air Baltic, die größte Fluglinie in den drei baltischen Staaten, beschlossen, den Luftraum über Belarus zu meiden, es folgte Wizz Air aus Ungarn.
Die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa kündigte am Montagabend an, den belarussischen Luftraum vorerst zu meiden. "Aufgrund der aktuell dynamischen Lage setzen wir die Operation im weißrussischen Luftraum vorerst aus", teilte das Unternehmen mit.
Lettlands Verkehrsminister Talis Linkaits betont: „Es ist klar, dass die Situation im Prinzip inakzeptabel ist, wenn ein Land entscheiden kann, ob es den einen oder anderen Passagier im Flugzeug mag oder nicht mag.“ Die französische Regierung pocht auf eine rasche gemeinsame Linie, Litauen macht Druck, dass die EU den Luftraum für internationale Flüge vorerst zum Sperrgebiet erklärt. Die Lufthansa will dagegen noch keine Konsequenzen ziehen, das Unternehmen teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit: „Derzeit nutzen wir den Luftraum über Belarus regulär.“ Lufthansa flog trotz des Vorfalls am Montag auch planmäßig Frankfurt-Minsk an (Start 10.15 Uhr, LH1486).
Wie kann der Druck verstärkt werden?
Die FDP fordert, der staatlichen belarussischen Fluggesellschaft Belavia die Landerechte in der EU zu entziehen. „Mit der Entführung einer Passagiermaschine, die zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten unterwegs war, hat Lukaschenko eine rote Linie überschritten“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff dem RND. Belavia fliegt mehrere deutsche Städte an, darunter Berlin, Frankfurt, München.
Großbritannien, nicht mehr EU-Mitglied, hat bereits entsprechend gehandelt: Verkehrsminister Grant Shapps am Montag hat die Betriebserlaubnis für die staatliche belarussische Fluglinie Belavia in Großbritannien ausgesetzt. Und er hat die Luftfahrtbehörde angewiesen, Fluggesellschaften aufzufordern, den belarussischen Luftraum zu meiden.
Im Rahmen von drei EU-Sanktionspaketen nach der nicht anerkannten Präsidentschaftswahl 2020 und den folgenden Repressionen wurden bisher insgesamt 88 Personen und sieben Organisationen bestraft. Dazu zählen Präsident Alexander Lukaschenko, sein Sohn und nationaler Sicherheitsberater, Viktor Lukaschenko, sowie weitere Persönlichkeiten der politischen Führung. Sie alle dürfen in keinen EU-Staat einreisen und Vermögenswerte wurden eingefroren.
Doch der Druck wächst, nun härter durchzugreifen. Immer wieder hoch umstritten ist aber zum Beispiel, dass 2020 Belarus mit zwei Staatsanleihen 1,25 Milliarden US-Dollar erlösen konnte.
Abgewickelt wurde die Ausgabe über die westlichen Banken Citigroup (USA), Raiffeisen Bank International (Österreich) und Société Générale (Frankreich). Es gibt also gerade im Finanzbereich noch einige Hebel, allerdings wurde bisher von scharfen Handelssanktionen zurückgeschreckt, um nicht die Bevölkerung von Belarus zu den Leidtragenden zu machen. Laut Auswärtigem Amt betrug das bilaterale Handelsvolumen mit Deutschland rund zwei Milliarden Euro, das mit der EU knapp 16 Mrd.
Deutschland ist hinter Russland, der Ukraine und China der vierwichtigste Handelspartner bisher. Exportgüter sind laut AA Ölprodukte, Maschinen, IT-Dienstleistungen und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Immerhin sind noch über 300 deutsche Firmen vor Ort in Belarus aktiv.