Kretschmann verärgert die Grünen: Lobredner der Kanzlerin
Winfried Kretschmann betet jeden Tag für Angela Merkel. Nun wünscht sich der Ministerpräsident, dass sie wieder kandidiert - und erntet heftige Kritik.
Winfried Kretschmann hat zum Leidwesen der Grünen-Bundeszentrale schon oft bewiesen, dass er sich an Sprachregelungen und Beschlüsse seiner Partei kaum gebunden fühlt. Meist sind die Interventionen des baden- württembergischen Ministerpräsidenten vor allem für Macht- und Richtungskämpfe innerhalb der Ökopartei interessant. Mit seiner jüngsten Botschaft aber brachte der 68-Jährige seine Partei in Erklärungsnot, weil er infrage stellte, dass die Grünen sich noch als unabhängige Oppositionskraft verstehen. Denn Kretschmann huldigte kurz vor dem Grünen-Bundesparteitag ausgerechnet den Führungsfähigkeiten von CDU-Chefin Angela Merkel.
Eine erneute Kanzlerkandidatur von Merkel fände er "sehr gut", hatte Kretschmann am späten Mittwochabend Sandra Maischberger in deren ARD-Talkshow gesagt. Er halte Merkel für "sehr wichtig in der europäischen Krise". Der Kurs, den sie fahre, sei richtig, meinte der bedächtige Talkgast und fügte hinzu: "Ich wüsste auch niemand, der diesen Job besser machen könnte als sie."
Zwar ist bekannt, dass Kretschmann die Kanzlerin schätzt und mit ihr kann. Nur Merkel könne die Vertrauenskrise in Europa und die Renationalisierung bekämpfen, sagte er im Februar dem Tagesspiegel und fügte hinzu: "Deshalb bete ich jeden Tag dafür, dass die Bundeskanzlerin gesund bleibt." Damals stand die Landtagswahl unmittelbar bevor – der Schulterschluss mit Merkel diente auch strategischen Zielen.
Sind die Grünen nun auf Schwarz-Grün festgelegt?
Die neue Lobrede aber wurde in und außerhalb der Partei nun als Absage an den wahrscheinlichen Merkel-Herausforderer Sigmar Gabriel (SPD) und damit als Bekenntnis zu einer schwarz-grünen Koalition unter ihrer Führung gelesen. Die bei vielen Grünen beliebte Alternative zu Schwarz-Grün, das rot-rot-grüne Bündnis, fertigte Kretschmann schnell ab. Eine Koalition mit der Linkspartei in einem Industrieland sei "schwer vorstellbar", meinte er: "Mit den Linken kann man keine Außenpolitik machen." Und auch zu einem der Hauptkontrahenten seiner Partei in der Innenpolitik, dem bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Horst Seehofer, hat Kretschmann seine ganz eigene Meinung. Auf hartnäckige Fragen von Sandra Maischberger, ob er mit Seehofer oder dem Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow (Linkspartei) mehr gemeinsam habe, sagte der Talkgast schließlich: "Über die Strecke gesehen ist mit der Seehofer doch näher."
Führende Grüne bemühten sich sofort, den Eindruck aus der Welt zu schaffen, wonach die Koalitionspräferenz der Partei damit geklärt sei. Die Grünen wollten Merkel ablösen, versicherte Parteichefin Simone Peter. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin kritisierte, wenn Kretschmann noch vor Wahlkampfbeginn Merkel "für alternativlos" erkläre, sei das "nicht nur eine Ohrfeige für die vier Grünen, die sich in einer Urwahl der Parteibasis stellen". Vielmehr konterkariere es auch den "Kurs der grünen Eigenständigkeit", auf den sich Partei und Fraktion festgelegt hätten. „Geht es nach Kretschmann, sollen die Grünen Wahlkampf nur noch als Juniorpartner von CDU und CSU machen“, sagte der Politiker vom linken Parteiflügel dem Tagesspiegel.
Auch über Kretschmanns Urteil über Seehofer kann Trittin nur den Kopf schütteln: "Dass er es dann noch schafft, das Lob für Merkel mit einer Sympathieerklärung für Horst Seehofer zu verknüpfen, entbehrt der Logik", meinte der frühere Fraktionschef. Seehofer sei schließlich "der schärfste Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik von rechts, der jede Abgrenzung zur AfD einreißt". Und auch das Lob der Kanzlerin für die Bewältigung der Eurokrise sei unbegründet: "Merkel hat Europa ihre Austeritätspolitik aufgedrückt und so die Krise verlängert. Sie hat Griechenland fast aus dem Euro gemobbt und so den Zusammenhalt in Europa unterminiert."
Doch auch die Realpolitiker in der Ökopartei, die Kretschmann oft verteidigen, ärgerten sich diesmal über das Merkel-Lob aus Stuttgart - ohne Kretschmann allerdings laut zu widersprechen. Denn nicht mit einem Schmusekurs gegenüber Merkel, sondern mit harter Abgrenzung von CDU und CSU wollen viele von ihnen Schwarz-Grün vorbereiten.