Bundesentwicklungsminister Gerd Müller: „Lobbyverbände verhindern Nachhaltigkeit im globalen Handel“
Lobbyverbände hätten immer noch zu großen Einfluss auf Regierungen weltweit, kritisiert Müller. Konkrete Lösungen könnten nur global erarbeitet werden.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller kritisierte bei der Konferenz „Europe 2021“ von Tagesspiegel, „Zeit“, „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“, dass in der Bekämpfung der Klimakrise „der politische Wille fehlt“. Wir wüssten, was zu tun sei, täten es aber nicht, sagte Müller am Dienstag im Gespräch mit Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt.
Die Lobbyverbände der globalen Wirtschaft seien so stark in den Regierungen vernetzt, dass sie verhindern würden, die Nachhaltigkeitskapitel in internationalen Freihandelsabkommen nachprüfbar zu verfestigen. Als Beispiel nannte der Entwicklungsminister das „Mercosur“-Freihandelsabkommen.
Darin sei ein „Nachhaltigkeitskapitel“ festgelegt, die Umsetzung werde jedoch nicht kontrolliert und Verstöße nicht sanktioniert. Müller fordere bereits seit fünf Jahren, dass Europa nur noch Soja und Palmöl aus zertifiziertem Anbau importieren solle – eine Forderung, die bislang nicht umgesetzt wurde.
Elf Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes entsteht durch die Brandrodung von Regenwäldern, Deutschland trägt mit zwei Prozent bei. Auf diesen Flächen wird ein Großteil des importierten Sojas angebaut. „Ich habe die herrlichste Traubenernte in diesem Jahr. Bei mir in Franken kann man Trauben und Ananas züchten“, sagte Müller ernst. Diese Entwicklung sei vor zehn Jahren undenkbar gewesen und zeige, wie der Klimawandel in Europa und Deutschland angekommen sei.
Doch Müller blickt nicht nur negativ in die Zukunft: Seit 1990 habe sich der Ausstoß von CO2 um 40 Prozent verringert, während sich das Bruttoinlandsprodukt verdoppelt habe. „Der Klimawandel hat begonnen, ist aber langwierig und noch lange nicht am Ziel“, sagte Gerd Müller.
Ein „New Green Deal“ mit dem afrikanischen Kontinent?
Der Entwicklungsminister forderte bei der Zukunftskonferenz „Europe2021“ zudem, den afrikanischen Kontinent stärker im Kampf gegen den Klimawandel einzubeziehen. Derzeit seien dort 400 Kohlekraftwerke im Bau. Das sei das Ende des Zwei-Prozent-Ziels, sagte Müller.
Eine Wende sei aber jetzt noch möglich: Etwa dadurch, dass man den Kontinent in den europäischen „New Green Deal“ aufnimmt, den „Fahrplan“ für eine nachhaltige EU-Wirtschaft. Die Entwicklung Afrikas voranzubringen, sei Europas historische Verantwortung, bediene aber auch ein Eigeninteresse.
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„Der New Green Deal muss um eine Afrika-Komponente ergänzt werden, damit unser Nachbarkontinent zum grünen Kontinent der erneuerbaren Energien wird“, sagte Müller. Ihm sei es unverständlich, „was Brüssel da macht“: Die Europäische Kommission würde sich nur an die sechs Prozent der Weltbevölkerung richten, die in Europa wohnten.
In diesem Zusammenhang müsse die Europäische Investitionsbank weiterentwickelt werden in eine „Europäische Entwicklungsbank“ nach chinesischem Vorbild zur Finanzierung von Großprojekten auf dem afrikanischen Kontinent.
„Wir denken, dass wir der Nabel der Welt sind“
Die Klima- und die Coronakrise sieht Müller in engem Zusammenhang: Mensch und Natur kämen sich immer näher. „Die gefährlichsten Erkrankungen sind Zoonosen“, sagte Müller. „Am härtesten trifft es die Ärmsten auf der Welt.“ In den afrikanischen Ländern fehle es etwa durch die unterbrochenen Lieferketten in der Pandemie an Medikamenten gegen Malaria und Tuberkulose.
Es baue sich eine „gewaltige Hunger- und Armutskrise, aber auch eine Wirtschaftskrise“ auf. Deshalb appellierte Müller an eine internationale Solidarität und ein internationales Krisenmanagement.
Müller bemängelt auch, dass die Menschen in Europa und Deutschland in der Pandemie ausschließlich auf sich selbst blicken würden. „Wir denken, dass wir der Nabel der Welt sind." Besonders in der Coronakrise falle ihm das auf. "Corona besiegen wir nur weltweit."
16 Prozent der Weltbevölkerung haben sich 60 Prozent der Impfdosen gesichert. Diesen Fakt findet Müller fatal für die Pandemiebekämpfung: "Es ist eine Illusion zu glauben, dass Europa dieses Virus besiegen kann, ohne, dass es weltweit besiegt wird."
Deshalb appellierte Müller an ein internationales Krisenmanagement, das ärmere Länder außerhalb Europas in den Blick nimmt. „Zwei Drittel der Weltbevölkerung lebt nicht im Reichtum.“ Diese Menschen hätten bislang keine Perspektive auf einen Zugang zu Impfstoff. Das Ziel, rund 20 Prozent dieses Teils der Weltbevölkerung in diesem Jahr ein Impfangebot zu machen, könne nur erreicht werden, wenn die internationale Gemeinschaft in dieses Ziel investiere.
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