Grünen-Parteitag in Dresden: Listenkampf statt Programmdebatte
Rebecca Harms oder Ska Keller? Beim Parteitag der Grünen in Dresden könnte die Besetzung der Europa-Liste die inhaltlichen Aussagen überlagern
Rebecca Harms gibt so schnell nicht auf. Die Grünen-Politikerin will auf dem Parteitag der Grünen an diesem Wochenende in Dresden um ihren Spitzenplatz auf der Liste für die Europawahl kämpfen. Für die frühere Anti-Atomkraft- Aktivistin aus dem Wendland steht einiges auf dem Spiel. Lange galt die 57-Jährige als die unangefochtene Frontfrau der Grünen im Europaparlament. Sollte sie an diesem Samstag in der Kampfabstimmung um den ersten Platz unterliegen, wird sie nicht mehr automatisch den Anspruch auf den Vorsitz der Europafraktion erheben können.
Trittin und Künast für Harms
Herausgefordert wird Harms von ihrer Fraktionskollegin Ska Keller. Die 32-Jährige aus Brandenburg hatte sich in einer europaweiten Online-Abstimmung gegen Harms als Spitzenkandidatin der europäischen Grünen durchgesetzt. Keller beansprucht nun auch den ersten Platz auf der deutschen Kandidatenliste. Doch auch Harms hat viele Unterstützer: Ihr bisheriger Ko-Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit, der bei der Europawahl am 25. Mai nicht mehr antritt, wirbt für sie, ebenso wie die früheren Fraktionschefs im Bundestag, Renate Künast und Jürgen Trittin.
Wie das Duell ausgeht, gilt als offen. Erschwerend kommt hinzu, dass die rund 750 Delegierten auf dem Parteitag nicht nur darüber entscheiden müssen, welche der beiden Grünen-Frauen auf Platz eins landet. Ihnen wird eine Art Paketlösung angeboten. Je nach Wahlausgang wird ein anderer Grünen-Politiker auf Platz zwei kandidieren. Setzt sich Harms an der Spitze durch, bewirbt sich der Finanzexperte und Attac-Mitbegründer Sven Giegold um den zweiten Platz. Gewinnt hingegen Keller, so tritt der frühere Grünen-Chef und Vorsitzende der Europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, an.
Bütikofer oder Giegold auf Platz 2
Bütikofer hatte die Grünen 2009 zusammen mit Harms in die Europawahl geführt. Er war auch Erfinder der Urwahl, mit der die europäischen Grünen ihre beiden Spitzenkandidaten übers Internet bestimmten. Doch an der „Green Primary“ nahmen nur 23000 Menschen teil, deutlich weniger als erwartet. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach kürzlich von einem „Experiment mit einer etwas unglücklichen Versuchsanordnung“. In dieser Form werde man eine solche Abstimmung sicher nicht einfach wiederholen. Die Grünen beraten auf ihrem Parteitag auch über ihr Wahlprogramm. Im Entwurf üben sie deutliche Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung. Der einseitige Fokus auf staatliche Sparmaßnahmen und Lohnsenkungen in den überschuldeten Ländern habe die Wirtschaftskrise verschärft. Dem setzt die Ökopartei den „Green New Deal“ entgegen, ein europäisches Investitionsprogramm, das gerade in den Krisenstaaten die Energiewende voranbringen und neue Jobs schaffen soll.
Andere Flüchtlingspolitik
Die Grünen fordern außerdem eine andere Flüchtlingspolitik in Europa. Es sei „eine Schande“, dass noch immer Flüchtlingsboote auf hoher See gewaltsam abgedrängt würden, sagte Parteichefin Simone Peter in ihrer Rede am Freitagnachmittag. Der CSU warf sie „Stimmungsmache“ gegen Sinti und Roma vor. Pünktlich zum Europawahlkampf würden „platteste Vorurteile“ bedient, sagte Peter. Umstritten ist bei den Grünen die Haltung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Teile der Partei fordern, die Verhandlungen zu stoppen oder auszusetzen und verweisen auf die großen Gefahren für Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Andere argumentieren, es gebe auch Chancen, mit so einem Abkommen Standards auf beiden Seiten des Atlantiks zu definieren und grüne Branchen zu befördern.