Bundestag im Stand-by-Modus: Linke: Eine sehr fatale Geschichte
Richtig loslegen kann der neue Bundestag erst im Januar nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen, vorerst soll es nur einen Hauptausschuss geben. "Hauptsache weg", sei das Motto von Union und SPD, schimpft Linken-Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte.
Frau Sitte, der Bundestag hat noch nicht seine geregelte Arbeit aufgenommen, weil Union und SPD mitten in den Koalitionsverhandlungen stecken. Langweilen sich die 64 Abgeordneten ihrer Fraktion gerade?
Langweilen? Das kann ich nicht bestätigen. Es gibt ja auch genügend Wahlkreistermine. Wir haben inzwischen schon fünf Initiativen zum Thema Gerechtigkeit in den Bundestag eingebracht, Rentenbeitragsstabilisierung, Mindestlohn, Erwerbsminderungsrenten … Also da gibt schon eine Menge. Und auch für die ersten hundert Tage, nachdem der Bundestag in seinen normalen Turnus gekommen ist, haben wir unsere Initiativen bereits in Arbeit.
Wenn ich Sie unterbrechen darf: Aber Sie finden den Stand-by-Modus des Bundestages ziemlich blöd?
Es ist so, als ob ein Kind eingeschult wird und es dann keinen Unterricht gibt. Bundestagspräsident Lammert hat ja selber gesagt, dass auch eine geschäftsführende Bundesregierung der parlamentarischen Kontrolle bedarf. Das sehen wir genauso. Wir müssen tagesaktuelle Dinge wie die NSA-Spähaffäre im Bundestag behandeln können, in den entsprechenden Ausschüssen.
Aber gab es dieses Problem ähnlich nicht immer schon zu Beginn einer Legislaturperiode?
Mag sein. Aber erstens ziehen sich die Regierungsbildung länger hin als üblich. Und zweitens überschlagen sich in diesem Jahr die aktuellen Diskussionen, zum Beispiel in der NSA-Affäre und beim Mindestlohn.
Ihre Fraktionskollegin Halina Wawzyniak aus Berlin hat gerade Zeit, ihr Bürgerbüro zu renovieren. Nebenbei schrieb sie in ihrem Blog, dass der geplante Hauptausschuss verfassungswidrig sei, weil er ein Zwei-Klassen-System von Abgeordneten schaffe. Sehen Sie das auch so?
Der Hauptausschuss wird 47 Vollmitglieder haben und 47 Stellvertreter. Dabei sagt die Geschäftsordnung des Bundestages, dass jeder Abgeordnete das Recht auf Mitarbeit in wenigstens einem Ausschuss hat. Das Vorgehen jetzt ist also zumindest fragwürdig. Das Grundgesetz sieht Ausschüsse wie den Verteidigungsausschuss und den Auswärtigen Ausschuss vor, beispielsweise auch um Themen wie Auslandseinsätze der Bundeswehr zu diskutieren. Dann kann man nicht einfach einen Hauptausschuss neu erfinden und da alles reinpacken. Nach dem Motto: Hauptsache weg.
Wer geht für die Linke in den Hauptausschuss? Nur Mitglieder der Fraktionsführung oder auch Hinterbänkler?
(lacht) Wir haben natürlich überhaupt keine Hinterbänkler bei uns in der Fraktion! In den Ausschuss werden wir entsprechend unserer eigenen geplanten Initiativen die Fachleute schicken.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Grünen, mit denen Sie voraussichtlich vier Jahre lang die Oppositionsbänke teilen?
Da müssen noch einige vertrauensbildende Maßnahmen laufen, einige Dinge sauber geklärt werden. Wir wollen zwar keine Koalition in der Opposition, aber beim Agieren gegen so eine große Regierungskoalition wäre es ziemlich dumm, nicht Chancen zur Zusammenarbeit zu nutzen.
Wie ist es mit dem Petitionsausschuss?
Das ist eine sehr fatale Geschichte. Der Petitionsausschuss ist im Grundgesetz vorgesehen, und gerade sind 7000 Petitionen unbearbeitet. Dahinter stecken aber noch viel mehr Petenten, weil viele Eingaben eine Vielzahl von Unterzeichnern haben. Allein 650 Petitionen sind vor dem Ende der vergangenen Legislaturperiode bis zur Beschlussreife beraten worden, nur eben nicht abschließend im Bundesstag behandelt worden. Ein echtes Problem.
Auch das neue Gremium für die Kontrolle der Geheimdienste, das PKGr, wurde noch nicht eingesetzt. Das alte arbeitet weiter, mit vier Ex-Abgeordneten, zwei von der FDP, einer von der SPD und ihrem Kollegen Steffen Bockhahn.
Das PKGr hat eine Sonderregelung erfahren, es darf über die Wahlperiodengrenzen hinaus weiterarbeiten. Rechtlich ist das alles sauber. Aber es ist schon bizarr, weil vier Mitglieder keine Anbindung mehr als Abgeordnete ans Parlament haben. Wir wollten eine Neuwahl des PKGr, aber auch in diesem Fall hat sich die künftige Koalition vor Personalentscheidungen drücken wollen. Da haben wir das erste Mal gespürt, wie Mehrheiten auch fungieren können.
Petra Sitte (52) ist neue Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion im Bundestag. Im Bundestag sitzt sie seit 2005. Zuvor war sie viele Jahre PDS-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt Das Gespräch führte Matthias Meisner
Matthias Meisner