zum Hauptinhalt
Parteivize Christian Lindner will die Nachfolge von Philipp Rösler antreten und die FDP zurück in den Bundestag führen.
© dpa

Die FDP nach dem Wahldebakel: Lindner soll retten, was zu retten ist

Die Parteispitze der FDP um Philipp Rösler hat die Konsequenzen aus dem Wahldebakel gezogen und ihren Rücktritt angeboten. Christian Lindner wird nun als Hoffnungsträger gehandelt. Er soll retten, was zu retten ist.

Wie übernimmt man eine Partei, die sich im Sturzflug befindet? Christian Lindner steigt an diesem Montagmorgen um 10 Uhr und 13 Minuten aus dem gläsernen Fahrstuhl im Reichstag. Am Sonntag ist seine FDP mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag geflogen. Jetzt trifft sich die Führungsriege der Partei hier zum letzten Mal. Lindner, 34 Jahre alter Chef des größten Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen, wird seit der Nacht zum Montag als Hoffnungsträger gehandelt. Er soll retten, was noch zu retten ist. Zusammenhalten, neu ausrichten, spätestens in vier Jahren Wiedereinzug ins Parlament: So lautet, kurz gefasst, seine Aufgabe.

Rösler, Brüderle und das gesamte Präsidium bieten Rücktritt an

Christian Lindner kommt erst einmal zu spät. Bewusste Abgrenzung von den Verlierern, könnte man vermuten. Drinnen im Protokollsaal Nummer Zwei des Bundestages sitzen schon seit einer Viertelstunde die zusammen, die verantwortlich sind für das Debakel vom Sonntag – und sich auch verantwortlich dafür fühlen: Parteichef Philipp Rösler, Spitzenkandidat Rainer Brüderle und das gesamte Parteipräsidium. Die Stimmung ist gedrückt, berichten später Teilnehmer der Runde. Es wird wenig gesprochen, rasch ist man sich einig: Jetzt übereinander herzufallen und den jeweils anderen für die verlorene Bundestagswahl verantwortlich zu machen, wäre falsch. Eine Partei, die gerade ihre Verankerung im Bund verloren hat, droht ohnehin auseinander zu fallen. Streit würde den Zerfallsprozess nur unnötig beschleunigen. Lindner will offenkundig auch durch seinen Auftritt – alle sitzen im Raum, während er allein hineinkommt und zu seinem Platz geht – Abgrenzung dokumentieren.

Die Neuausrichtung der FDP ist gescheitert

„Keine Schlammschlacht“ wird er später die Anwesenden ermahnen und tröstende Worte finden: „Nicht alles war falsch.“ Nun müsse die Erneuerung aus den Landesverbänden heraus kommen. Später wird er bekennen: Wenn es um die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden geht, werde er sich dem Votum eines Parteitages stellen. Doch zunächst muss erst einmal das Alte verschwinden.

Philipp Rösler wird an diesem Montag nicht lange herumreden: „Man hat ganz bewusst diese FDP abgewählt“, sagte er. Es sei eben nicht gelungen, die politischen Inhalte der FDP in die Anhängerschaft zu kommunizieren. Auch eine Neuausrichtung der Partei (nach dem Ende der wirtschaftsliberalen Ära Westerwelle) sei gescheitert. Von Glaubwürdigkeit und auch von fehlendem Stil im öffentlichen Auftritt und im Umgang der Führungskräfte untereinander wird die Rede sein. Nun müsse es einen „wirklichen Neuanfang“ geben, sagt der gescheiterte Parteivorsitzende. Rösler kündigt seinen Rücktritt an. Geordnet solle das vonstatten gehen. Man werde prüfen, ob ein Parteitag, der für Januar 2014 geplant ist, auf den Winter in diesem Jahr vorgezogen werden kann.

Röslers Beispiel wird an diesem Vormittag das gesamte Präsidium und später auch der Vorstand folgen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger tritt nicht nur vom Präsidium sondern auch als Parteichefin in Bayern zurück. Trotz aller Beteuerungen, sich gegenseitig jetzt nicht mit Vorwürfen zu zerfleischen, bleibt die persönliche Abrechnung nicht aus. „Wer sich klein macht, der wird auch klein gewählt.“ Seit der Bekanntgabe des desaströsen Ergebnisses am Sonntag wiederholt Wolfgang Kubicki diesen Satz immer wieder. Kubicki spielt dabei auf die Entscheidung von Rösler und Brüderle vor einer guten Woche an. Nach dem herben Verlust der FDP in Bayern (knapp über drei Prozent) hatten beide öffentlich beteuert, es gehe nun „um’s Ganze“, um die Zukunft des Liberalismus und eine massive Zweitstimmenkampagne angefahren. Sie waren darin ausdrücklich von den anwesenden Präsidiumsmitgliedern ermuntert worden, einzelne Zweifler wurden überstimmt.

Parteichef Philipp Rösler klagt nur versteckt über mangelnde Unterstützung

Nur Kubicki, Chef der schleswig-holsteinischen Landtagsfraktion, war nicht in Berlin und daher an der Strategie der letzten Woche nicht beteiligt. Später hatte er dagegen gewettert und für seinen Landesverband eine „Mitleidskampagne“ vehement abgelehnt. Nach der Wahl fand der Kieler einige Unterstützung für seine Einschätzung. Aber auch das wurde laut: Dass Kubicki im Endspurt des Wahlkampfes die Entscheidung der FDP-Führung öffentlich kritisiert hatte, so meinten einige Liberale, das habe der Partei nicht gut getan. Denn es sei in den Augen der Kritiker der FDP „mal wieder“ ein Beweis dafür gewesen, dass Zank und Streit die Partei beherrschen. Auch Rösler wird an diesem Montag, versteckt zwar, über fehlende Unterstützung seiner Arbeit klagen. Was beide, Parteichef Rösler und auch der bisherige Fraktionschef Brüderle noch für die Zeit vor ihrem Abgang versprechen, das ist, sich um die Mitarbeiter zu kümmern.

Wahlergebnis der FDP kostet fast 600 Menschen ihre Arbeit

Mehr als neunzig Bundestagsabgeordnete haben ihre Mandate verloren, jeder hat mindestens drei Referenten, es gibt in der Fraktion und auch in der Parteizentrale angestellte Beschäftigte. Sie alle, wahrscheinlich fast 600 Menschen, werden in wenigen Wochen ohne Arbeit dastehen. Am Montagnachmittag hat Brüderle zumindest die Fraktionsmitarbeiter zu einer Personalversammlung eingeladen. Man werde sich kümmern, das wollte er signalisieren. Die meisten haben die Tragweite des Wahlergebnisses vom Sonntag für ihr weiteres berufliches Leben noch nicht wirklich erfasst. Wo man sie an diesem Montag ihren Job verrichten sieht, da sieht man in müde und verweinte Augen. Nicht jeder wird das Glück haben, einen Job bei einer anderen Bundestagsfraktion ergattern zu können.

Die Erneuerung der FDP soll in Gang gesetzt werden

„Anschlussverwendung“, dieses kalte trostlose Wort, das der FDP-Chef und Wirtschaftsminister Rösler den arbeitslosen Frauen der Drogeriemarktkette „Schlecker“ vor einiger Zeit zugerufen hatte, macht nun bei seinen eigenen Mitarbeitern die Runde. Der Neue, „Bambi“, wie ihn einst sein Ziehvater Jürgen Möllemann nannte, will nun „eine sichtbare, für jeden nachvollziehbare Erneuerung der FDP“ in Gang setzen. Mit welchem Personal? Wahrscheinlich mit Kubicki als Generalsekretär. Ein „unberechenbarer Haudegen“, wie manche ihn nennen und Lindner, der eine in Kiel, der andere in Düsseldorf? Schon gleich, nachdem das Gerücht vom „Hoffnungsduo“ die Runde machte, gab es heftiges Kopfschütteln und Zweifel. Zumal auch inhaltlich noch lange nicht klar ist, wohin sich die FDP entwickeln wird.

Christian Lindner will sich auf "klassische liberale Werte" besinnen

Während Lindner, eher theoretisierend, von einer „Besinnung auf klassische liberale Werte“ schwärmt, denken andere an eine Rückbesinnung auf harte ökonomische Themen. Zumal die Wahl zum Europaparlament 2014 ins Haus steht. Der nordrhein-westfälische Liberale und scharfe Euro-Kritiker Frank Schaeffler wollte es sich auf jeden Fall am Montag nicht nehmen lassen darauf hinzuweisen, dass es offenbar viele Wähler der FDP gegeben habe, denen der Euro-Rettungskurs nicht gepasst habe und die dann zur „Alternative für Deutschland“ (AfD) gewechselt sind. Schaeffler findet nun, diesen Wählern müsse die „neue FDP“ ein Angebot zur Rückkehr machen. Auf jeden Fall aber müsse das Thema Europa „neu debattiert und entschieden werden“. Harten Zeiten geht die FDP also auf jeden Fall entgegen.

Antje Sirleschtov

Zur Startseite