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Rosen für Marwa. Vor Dresdens Rathaus lagen nach dem Mord im Sommer letzten Jahres Blumen und Beileidsbriefe.
© dpa

Mord an Marwa el-Sherbini: Lehrstück in Rassismus

Vor einem Jahr starb Marwa el-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal – weil sie ein Kopftuch trug. Das Drama hat Dresden zunächst überfordert. Doch dann auch aufgerüttelt.

Berlin - Es gibt keinen guten Ort für einen Mord. Aber dieser war ein besonders schlechter. Am 1. Juli 2009 starb Marwa el-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal – weil sie ein Kopftuch trug. Ihr Mörder hatte sie Wochen zuvor an diesem Kopftuch als Muslima erkannt, sie als „Terroristin“ und „Schlampe“ beschimpft und die schwangere Frau schließlich im Prozess um diese Beleidigungen mit 16 Messerstichen umgebracht, vor den Augen von Anwälten, Richter, Staatsanwältin und Schöffen.

Es war der erste islamophobe Mord in Deutschland, aber nicht nur in Dresden wollte das damals keiner verstehen. Die Oberbürgermeisterin Helma Orosz sah keinen Grund, ihren Urlaub für das erste Gedenken an die ägyptische Dresdnerin zu unterbrechen, blieb diesem im Juli 2009 fern. Die Landesregierung zögerte, aber auch die Bundespolitik reagierte spät und auffallend vorsichtig in der Frage, ob man die Dinge beim Namen nennt.

Zumindest in Dresden hat sich inzwischen etwas verändert. „Die Stadt hat seit dem Mord gewusst, dass sie etwas tun muss“, sagt Anthony Hyman. Der britische Molekularbiologe ist Mitglied im Dresdner Ausländerbeirat – und er war der Chef von Elwy Okaz, des Ehemanns von Marwa el-Sherbini, der am Dresdner Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Hymans Abteilung arbeitete. „Sachsen und Dresden scheinen aufgewacht zu sein.“ Die christdemokratische Oberbürgermeisterin Helma Orosz hat ihre Kontakte zu den Migrantenorganisationen und Gremien verstärkt, die Stadt hat Arbeitskreise eingerichtet, die Strategien für eine offene Stadt entwickeln sollen, etwa durch ein Begrüßungsprogramm für ausländische Neubürger. Beim Stadtfest sollen die Dresdner anderer Nationen und Herkunft viel präsenter werden, und es sind Plakataktionen geplant, die Dresdens Bevölkerung erreichen und empfindlich machen sollen für Fremdenhass.

Das ist nach Ansicht von Hyman auch dringend nötig. Er und seine Familie fühlten sich in Dresden sehr wohl, die Stadt sei wunderbar, aber: „Man sieht hier so viele Plakate von Rechtsradikalen. Ich habe mich immer gefragt: Wo in dieser Stadt hängt das Schild ,Ausländer schaffen Arbeitsplätze?’“ In Dresden und Sachsen sei in den vergangenen beiden Jahrzehnten „enorm viel“ ausländisches Kapital investiert worden, „der Wissenschaftsstandort Dresden wurde nach der Wende mit ausländischem Geld aufgebaut, die Hälfte der Leute an meinem Institut sind keine Deutschen“, sagt Hyman. „Aber beim ,man on the street’ ist das alles nicht angekommen. Man hatte im Alltag immer das Gefühl, doch nichts wert zu sein.“ Das sei ein Problem politischer Führung und es treffe die umworbenen Ausländer, hochbezahlte Fachkräfte und Professoren aus europäischen Nachbarländern wie er selbst, genauso wie Bürgerkriegsflüchtlinge und arme oder arbeitslose Migranten. Den Unterschied zwischen „guten“ und „schlechten“ Ausländern hält Hyman für künstlich: „Wenn Dresden groß werden will, kann es nicht trennen zwischen Asylbewerbern und Ausländern de luxe.“

Wie künstlich, hat gerade der Mord vor einem Jahr bewiesen. Marwae al-Sherbini war studierte Pharmazeutin, sie hatte in Ägyptens Handball-Nationalmannschaft gespielt, sprach gut Deutsch. Sie und ihr Mann, der am Max-Planck-Institut promovierte, hatten Freunde in der Stadt, sie selbst engagierte sich in der muslimischen Gemeinde Dresdens.

Auch Wolfgang Donsbach, Professor für Kommunikationswissenschaft an Dresdens Technischer Universität, sieht die politische Aufgabe, die man anpacken kann und muss, unter den besseren Leuten, nicht bei den Underdogs wie al-Sherbinis Mörder Alex W., einem frustrierten arbeitslosen Russlanddeutschen, der inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. „Das größere Problem sind die, die vielleicht nicht gewalttätig sind, die aber schweigen oder stillschweigend billigen. Man muss an die Leute ran, die überhaupt erreichbar sind.“ Insofern begrüße er die vielen von der Stadt jetzt gestarteten Aktionen. Dies sei „eine mittel- bis langfristige Sache“, man könne nicht „von heute auf morgen den Schalter umlegen“. Donsbach und seine Mitarbeiter hatten in einer Umfrage unter ausländischen Studenten in Dresden feststellen müssen, dass der weitaus größte Teil schon rassistische Erfahrungen gemacht hatte.

Ob sich das Klima dreht? Anthony Hyman sagt nur: „Hoffentlich.“

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