Urteil: Lebenslange Haft für Mörder von Hrant Dink
Ein türkisches Gericht hat einen Rechtsnationalisten wegen des Mordes an dem armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Es bleibt aber der Verdacht auf eine staatliche Verstrickung in die Tat.
Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der Ermordung des armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink in Istanbul ist am Dienstag ein Rechtsradikaler zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Die Vorwürfe an die türkischen Behörden verstummen aber auch nach dem Abschluss des vierjährigen Prozesses nicht: Kritiker in der Türkei gehen davon aus, dass die Angeklagten in dem Verfahren lediglich die Rolle von Bauernopfern spielten, die wahren Hintergründe des Verbrechens und die mutmaßliche Verwicklung von Behördenvertretern aber verschleiert werden sollen.
Dink war am 19. Januar 2007 von dem damals minderjährigen Rechtsradikalen Ogün Samast in Istanbul mit mehreren Kopfschüssen getötet worden. Ein Jugendgericht verurteilte den aus der nordosttürkischen Nationalisten-Hochburg Trabzon stammenden Samast im vergangenen Sommer zu fast 23 Jahren Haft, doch seine Komplizen mussten sich weiter vor dem Istanbuler Schwurgericht verantworten. Am Dienstag verurteilte Richter Rüstem Eryilmaz den Rechtsextremisten Yasin Hayal zu lebenslanger Haftstrafe. Der ebenfalls angeklagte ehemalige Polizeispitzel Erhan Tuncel wurde wegen eines anderes Vergehen zu einer zehneinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurden sie aber freigesprochen.
Bei türkischen Rechtsextremisten war Dink verhasst, weil er die türkischen Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg offen als Völkermord bezeichnete. Auch der nationalistisch geprägten Justiz war der Journalist ein Dorn im Auge: Dink wurde höchstrichterlich wegen „Beleidigung des Türkentums“ verurteilt.
Gericht und Staatsanwaltschaft halten den Mord an Dink mit der Verurteilung der tatbeteiligten Rechtsnationalisten nun für aufgeklärt – sonst aber fast niemand. Erst vergangene Woche hatte der Angeklagte Hayal vor Gericht gesagt, der türkische Staat habe ihn bei der Tat benutzt. Hayals Vater berichtete, ein Beamter habe ihn nach Dinks Tod angerufen und ihm zu seinem Sohn gratuliert.
Im Laufe des Prozesses waren noch zahlreiche andere Hinweise auf eine Verwicklung von Polizei, Armee oder Geheimdienst in den Mord aufgetaucht. So steht fest, dass die Behörden von den Mordplänen gegen Dink frühzeitig wussten, aber nichts unternahmen. Die Anwälte der Familie Dinks scheiterten mehrmals mit dem Versuch, das Verhalten hochrangiger Behördenvertreter gerichtlich untersuchen zu lassen. Todesschütze Samast fühlte sich unterdessen sicher genug, um noch im Gerichtssaal die Witwe von Dink, Rakel Dink, zu bedrohen und auf eine baldige Haftentlassung zu zählen: „Warte nur fünf Jahre, dann sprechen wir uns wieder“, rief Samast der Witwe zu.
Das Europäische Menschenrechtsgericht in Straßburg verurteilte die Türkei vor zwei Jahren, weil es der Staat trotz vorliegender Hinweise auf ein Mordkomplott gegen Dink versäumt habe, den Journalisten zu schützen. Die türkische Polizei habe von den Mordplänen gewusst, urteilten die Richter. Nach dem Verbrechen seien Untersuchungen gegen hochrangige Mitglieder der Sicherheitskräfte abgelehnt worden.
In Istanbul demonstrierten am Dienstag einige hundert Unterstützer der Dink-Familie gegen den Umgang der Behörden mit dem Fall und forderten die Bestrafung von Behördenvertretern, die in das Mordkomplott verwickelt gewesen sein sollen. „Wir werden nicht vergessen“ und „Wir werden nicht vergeben“, stand auf Transparenten der Demonstranten.
Für diesen Donnerstag, den fünften Jahrestag des Mordes, hat die Unterstützegruppe „Freunde von Dink“ zu einer großen Kundgebung aufgerufen. Ein Sprecher der Gruppe, Garo Paylan, kündigte weitere Aktionen für die Zukunft an. „Wir werden so lange auf den Straßen bleiben, bis ihr, einer nach dem anderen, aus euren Verstecken geholt worden seid“, sagte er an die Drahtzieher des Mordes gerichtet.
Noch am letzten Tag des Dink-Prozesses wurden neue Vorwürfe an die Behörden laut. Die Zeitung „Radikal“ berichtete, die Polizei in Trabzon habe das Telefon eines Tatverdächtigen in den Monaten vor dem Mord abhören lassen, dies der Staatsanwaltschaft im Dink-Prozess gegenüber aber verheimlicht und die Aufnahmen drei Monate nach dem Mord vernichtet. Aufgrund neuer Hinweise auf eine breitere Verschwörung über die unmittelbar Tatbeteiligten hinaus hält Dink-Anwältin Fethiye Cetin einen neuen Prozess für denkbar. Cetins Hoffnung stützt sich auf Dokumente der Telekommunikationsbehörde, die erst spät an das Gericht geschickt worden waren und die nach ihren Worten belegen, dass die Mörder von Dink zur Tatzeit mit fünf anderen Personen in Verbindung standen.
Thomas Seibert
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