zum Hauptinhalt
Ein gut gefüllter Anatomie-Hörsaal. Rein kommt nur, wer als Spitzenschüler geglänzt hat.
© Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/dpa

Streit um Numerus clausus: Lasst die Streber streben

Die Abiturnote ist als Auswahlkriterium für Studienbewerber wert- und sinnvoll. Trotzdem: Bei Medizin läuft die Sache schief. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Sie hatten es sich so schön vorgestellt. Nach dem Turbo-Abi strömen Wissbegierige an die Universitäten, erwartet von einer brummenden Wirtschaft, die überdurchschnittlich bezahlt. In der Wirklichkeit tut sich stattdessen eine Leerstelle auf. Abiturienten ohne Spitzenzeugnis müssen teils Jahre warten, um ihr Wunschfach studieren zu können, gestoppt vom Numerus clausus (NC).

Dem Bundesverfassungsgericht liegt nun am Beispiel des Medizinstudiums die Frage vor, ob sich die strenge Auswahl nach Note mit der Berufsfreiheit verträgt. Das Gericht war bisher der Ansicht, dass jeder und jedem mit dem Reifezeugnis das Recht auf eine Chance zusteht. So können auch weniger gute Schüler in den Arztberuf gelangen, sofern sie nur warten.

Die Note sagt etwas über Auffassungsgabe, Fleiß und Leistungsbereitschaft aus

Eine Form irdischer Gerechtigkeit, die man sich leisten können muss. Der Staat subventioniert jeden Medizinstudenten mit einer Summe, für die ein Durchschnittsverdiener ein paar Jahre arbeiten muss. Wer soll in den Genuss dieses Privilegs kommen? Begabte Schüler? Abiturienten mit Erfahrung in Pflegeberufen? Solche, denen Psychotests Einfühlungsvermögen bescheinigen?

Gute Schüler hießen früher mal Streber. Eine Einschätzung, die vor allem etwas über die aussagt, die sie vornehmen. Die Abiturnote ist ein Indiz für die Auffassungsgabe, die man in manchen akademischen Berufen benötigt und in allen anderen gut gebrauchen kann. Sie steht auch für Leistungsbereitschaft und Fleiß. Eigenschaften, die den Studienerfolg begünstigen und im Berufsleben weiterhelfen. Eine Antwort auf die vor Gericht erörterte putzige Frage, ob Letzteres empirisch belegt sei, darf man sich sparen.

Weltreise als Wartesemester?

Das Reifezeugnis ist ein Kriterium von Wert und sollte es bleiben. Es muss nur sichergestellt sein, dass die föderalen Differenzen fair ausgeglichen werden. Hier mangelt es bisher. Es fehlt auch an klaren ergänzenden Kriterien. Dass fünf Jahre Weltreise als Wartesemester so viel zählen wie fünf Jahre Krankenschwester, würden selbst Matheversager korrigieren.

Auf dieser Ebene wird ein Urteil des Gerichts möglicherweise weiterhelfen. Auf der politischen nicht. Hier, wo mit Hochschulthemen ideologische Gräben gezogen werden, sollte man sich „ehrlich machen“, wie der Bundespräsident es formulieren würde. Wenn es denn mehr Studienplätze geben soll, dann zum Beispiel mit der Bedingung, sich als Arzt aufs Land schicken zu lassen. Dort, wo die Ausbildung weniger kostet, müsste es mehr Kapazitäten an den Unis geben.

Niemand braucht ein Heer von Psychologen

Denn auch dass Ausbildung und Beruf frei wählbar sein sollen, ist ein Grundsatz, der erhalten gehört. Es mag sein, dass niemand ein Heer von Psychologen braucht. Aber sie finden ihren Weg, wie die Massen von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen. Studiert haben alle. Wer irgendwo nach oben will, muss mehr leisten als das.

Zur Startseite