Sicherheitspolitische Debatte nach Berlin-Attentat: Längere Abschiebehaft, neuer Straftatbestand, elektronische Fußfessel
Nach der Mordtat vom Breitscheidplatz fordert vor allem die Union, die Gesetze zu verschärfen. SPD und Grüne zweifeln einige der Vorschläge an.
Wenn sich der Tatverdacht gegen den Tunesier Anis Amri bestätigt, dann hätte ein nordafrikanischer Krimineller die Mordtat vom Breitscheidplatz begangen, der in seinem Heimatland wegen Raub verurteilt war, der in Italien wegen mehrerer Straftaten im Gefängnis saß und der in Deutschland, wo er sich seit Juli 2015 aufhielt und einen erfolglosen Asylantrag stellte, lange Zeit als potenzieller Gefährder im Visier der Polizei war. Amri, der Kontakte zu islamistischen Kreisen hatte, war zur Abschiebung vorgesehen, was jedoch daran scheiterte, dass die tunesischen Behörden für den im eigenen Land verurteilten (und damit bekannten) Mann lange Zeit keine Ersatzpapiere ausstellten. Sie gingen erst zwei Tage nach dem Anschlag bei den zuständigen Behörden in Nordrhein-Westfalen ein. Warum gelang es nicht, Amri früher loszuwerden?
Der Fall zieht jetzt einen heftiger werdenden Streit um schärferer Maßnahmen nach sich. Es geht um bekannte und teils seit längerem debattierte Forderungen: strengere Regeln für die Abschiebehaft, Transitzonen, ein auf Gefährder zugeschnittener Straftatbestand, Fußfesseln, Videoüberwachung, die bisher von den Grünen im Bundesrat verhinderte Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte schon im Oktober Maßnahmen zur Inhaftierung von Gefährdern und zur Abschiebung vorgeschlagen. Er will einen Haftgrund „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ schaffen.
"Fall Amri zeigt, wo Defizite liegen"
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), fordert jetzt eine Verlängerung der Abschiebehaft. Der Fall Amri zeige, wo die Defizite lägen, sagte Mayer dem RBB-Inforadio. Amri sei in Abschiebehaft gewesen, hätte aber nach einem Tag wieder entlassen werden müssen. Mayer forderte eine stärkere Differenzierung bei ausreisepflichtigen Personen zwischen denen, die „unverschuldet nicht ausreisen können und denen, die es selbstverschuldet renitent verhindern“. Abschiebehaft kann in bestimmten Fällen schon jetzt bis zu sechs Monaten verhängt werden, was jedoch selten vorkommt. Es geht dann meist um die Durchsetzung einer Abschiebung. Wenn es Abschiebehindernisse gibt, darunter das Fehlen von Papieren, dürfen abgelehnte Asylbewerber nicht in Haft genommen werden.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Michael Grosse-Brömer, forderte den Bundesrat auf, dem Gesetz zuzustimmen, mit dem Tunesien als sicheres Herkunftsland eingestuft werden soll. Damit könnten Asylanträge einfacher abgewiesen werden, Abschiebungen könnten früher beginnen. Allerdings ist das nur der Fall, wenn die Herkunftsländer ihre Bürger anerkennen und zurücknehmen, wofür Ausweispapiere oder eben Ersatzdokumente nötig sind.
"Maßnahmen mit klarer Richtung"
Der CDU-Außen- und Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter hielt der Kritik aus den eigenen Reihen, insbesondere von CSU-Chef Horst Seehofer, entgegen, dass Regierung und CDU/CSU-Fraktion bereits Maßnahmen beschlossen hätten, die in eine klare Richtung wiesen. „Beschleunigte Abschiebeverfahren, ein strengeres Sanktionsregime für Flüchtlinge bis hin zur Kooperation mit Drittstaaten zur Rücknahme von Staatsbürgern zeigen doch einen klaren Weg“, sagte Kiesewetter dem Tagesspiegel. Die CDU habe auf ihrem Parteitag zudem bekräftigt, möglichst vor Eintritt in die EU in Aufnahmezentren Nordafrikas eine Registrierung und Entscheidung zum Asylstatus zu gewährleisten. „Das braucht aber auch Zeit“, sagte Kiesewetter.
SPD-Vize Ralf Stegner wies Forderungen der Union nach weiteren Verschärfungen zurück. Dem Tagesspiegel sagte er: „Schärfere Gesetze machen Deutschland nicht sicherer. Die Union sollte sich vor reiner Symbolpolitik für den Stammtisch hüten, denn damit betreibt sie nur das Geschäft der AfD.“ Stegner spricht sich gegen eine pauschale Verlängerung der Abschiebehaft bei abgelehnten Asylbwerbern aus. Er appellierte an de Maizière, „endlich dafür zu sorgen, dass es praktikable und funktionierende bestehende Rückführungsabkommen mit nordafrikanischen Staaten gibt“.
"Gefährder besser im Blick haben"
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt allerdings die Einführung der elektronischen Fußfessel zur besseren Kontrolle von so genannten Gefährdern. Das kündigte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eva Högl an. "Wir müssen die Gefährder noch besser im Blick haben", sagte die SPD-Innenexpertin dem Tagesspiegel mit Blick auf die Pläne der Bundesregierung, extremistische Straftäter nach ihrer Haft künftig mit elektronischen Fußfesseln zu überwachen. Ein entsprechender Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) befindet sich derzeit ist der Ressortabstimmung. Auf die Maßnahme hatte sich Maas im November mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verständigt.
Eine Präventivhaft für Gefährder lehnt Högl dagegen ab. "Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann für einen Rechtsstaat kein Haftgrund sein." Auch die Einrichtung von Transitzonen für Flüchtlinge komme für die SPD nicht in Frage: "Das ist purer Populismus, der in der Sache nicht weiter hilft." Zugleich wies Högl Vorwürfe der Unionsparteien zurück, wonach die SPD mit der Verweigerung von Transitzentren eine zügige Abschiebung abgelehnter Asylbewerber blockiere. "Das ist ein extrem unfreundlicher Akt. Die SPD hat alle notwendigen Reformen des Asylrechts in den vergangenen vier Jahren gemeinsam mit der Union verabschiedet. Wenn wir alle Fakten zu diesem Anschlag auf den Tisch haben, schauen wir uns genau an, wo wir noch nachsteuern müssen." Um Menschen, die in Deutschland keinen Anspruch auf Asyl haben, konsequenter abzuschieben, sei die geltende Rechtslage völlig ausreichend. "Wir brauchen aber konsequente Rückführungsabkommen mit sicheren Herkunftsländern", fügte Högl hinzu. Es könne nicht angehen, dass die notwendigen Papiere für die Abschiebung von den Herkunftsländern zurückgehalten würden.
"Auf ganz dünnem Eis"
Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz hält die Diskussion um neue Sicherheitsmaßnahmen für rein politisch motiviert. „Viele wollen jetzt durch das Attentat ihre Forderungen durchdrücken, die sie schon lange haben. Das ist schäbig“, sagte er dem Tagesspiegel. „Einige fordern jetzt einen Straftatbestand für Gefährder, die abgeschoben werden sollen. Da begibt man sich rechtsstaatlich auf ganz dünnes Eis“, sagte von Notz dem Tagesspiegel. Es schließe sich dann die Frage an, warum man nicht auch deutsche Gefährder ins Gefängnis stecke. Durch Videoüberwachung könnten Anschläge nicht verhindert werden, gab der Grüne zu bedenken. Die Regierung will die Einrichtung von Videoanlagen an öffentlich zugänglichen Orten wie Einkaufszentren oder Stadien erleichtern. Rundweg ablehnen will Notz diese Form der Überwachung nicht: „An bestimmten, sehr sensiblen Orten ist sie sinnvoll.“ Auch die elektronisches Fußfessel sieht Notz kritisch. Damit werde Sicherheit nur suggeriert. „Wir brauchen aber nicht subjektiv, sondern objektiv mehr Sicherheit.“