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Ein Atomkraftwerk in Niedersachsen.
© mauritius images / Westend61

Sorge um deutsche Energieversorgung: Länder für Prüfung längerer Atom- und Kohle-Laufzeiten

Deutschland ist stark abhängig von russischem Gas. Lässt sich das ändern? Eine Debatte über den Kohle-und Atomausstieg hat begonnen.

Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat Nordrhein-Westfalens Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart die Überprüfung des Kohle- und Atomausstiegs gefordert.

„Es müssen alle Optionen auf den Tisch“, sagte der FDP-Politiker am Montag nach einer Sondersitzung mit seinen Länderkollegen. Es sollte „dringend geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Atomkraftwerke in Deutschland befristet über das Jahr 2022 hinaus in Betrieb bleiben können“, heißt es in einem Acht-Punkte-Papier, das Pinkwart vorlegte.

Aufgrund der Krise in Osteuropa müsse mit Lieferausfällen bei fossilen Energieträgern gerechnet werden, „die sich erheblich auf die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa auswirken können“. Es dürfe „keine Denkverbote und Tabus“ geben, sagte Pinkwart, der derzeit Vorsitzender der Wirtschaftsministerkonferenz ist.

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Außerdem sollten Vorfestlegungen im Zusammenhang mit dem geplanten früheren Kohleausstieg bis 2030 „aktuell unbedingt vermieden werden“, heißt es in dem der dpa vorliegenden Papier. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisensituation muss die Bundesregierung der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit nun oberste Priorität einräumen.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält beide Vorschläge für ungeeignet, um etwaige Versorgungsengpässe durch einen Lieferstopp Russlands auszugleichen. Bei der Atomenergie habe eine Vorprüfung seines Ministeriums ergeben, dass es ebenfalls kein Ausweg wäre, wenn die letzten drei AKW anders als geplant in diesem Jahr nicht abgeschaltet würden. Gleichwohl prüfe sein Ministerium das, hatte Habeck am Sonntag in der ARD gesagt. „Es gibt keine Denktabus.“

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Thomas Kutschaty sprach sich strikt dagegen aus, an den Plänen für den Kohleausstieg zu rütteln. Das führe „in die falsche Richtung und würde im schlechtesten Fall nur einen gesellschaftlichen Konflikt neu entfachen, den wir bereits in einem breiten gesellschaftlichen Konsens befriedet haben“, sagte der NRW-Landeschef der SPD am Montag in Brüssel.

Ampel will Kohle-Verstromung eigentlich bis 2030 abschaffen

„In dieser Zeit ist kaum etwas auszuschließen, aber ein Ausstieg aus dem Ausstieg wäre ein großer Schritt zurück.“ Kutschaty hatte in Brüssel den Vize-Präsidenten der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, getroffen.

Die Ampel-Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, den für 2038 vereinbarten Ausstieg aus der Kohle-Verstromung „idealerweise“ bereits 2030 zu schaffen.

[Lesen Sie auch: Abhängigkeit vom Gas gewachsen: Was Russlands Krieg für Berlins Energieversorgung bedeutet (T+)]

Deutschland bezieht nach Angaben Pinkwarts 55 Prozent seiner Gasimporte, 50 Prozent der Steinkohle und rund 30 Prozent des Erdöls aus Russland. Deutschland müsse seine hohe Abhängigkeit vor allem von russischem Gas überwinden. Es gebe „erhebliche ungenutzte Importkapazitäten der EU“ wie etwa Pipelines, die algerisches Gas nach Spanien und Italien transportierten und 2020 nur zu Hälfte ausgelastet gewesen seien, sowie Pipelineverbindungen nach Aserbaidschan, heißt es in dem Papier.

Auch der Import von Flüssiggas (LNG) müsse kurzfristig ausgeweitet werden. Der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigte Bau von zwei LNG-Terminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven könne bis zu fünf Jahre dauern. Er halte auch eine nationale Gasreserve für einen wichtigen „Ankerpunkt“ in der schwierigen Lage, sagte Pinkwart. Es müsse sichergestellt werden, dass die Gasfüllstände im nächsten Winter höher seien als in diesem Winter.

Auch Grubengas im Saarland und in NRW solle weiter gefördert werden, sagte Pinkwart. Aus anderen Bundesländern seien bei der Konferenz der Wirtschaftsminister Stimmen gekommen, die eigene Erdgasförderung in der Nordsee zu verstärken oder auch zu prüfen, ob Schiefergas in Deutschland in Zukunft gefördert werden könnte. Das sogenannte Fracking ist wegen der möglichen Umweltbelastungen umstritten. (dpa)

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