Unsichere Nuklearanlagen: Kurzschluss nahe am Herzen des Atomkraftwerks Fessenheim
Im französischen Atomkraftwerk Fessenheim ist 2014 Wasser aus dem nicht-nuklearen Teil der Anlage eingedrungen. Der Reaktor wurde notabgeschaltet. Grüne Ministerin in Frankreich erinnert an Stilllegungsversprechen.
Am Wochenende hat die grüne Bauministerin Emmanuelle Cosse den französischen Präsidenten François Hollande an sein Versprechen erinnert, das älteste Atomkraftwerk des Landes in Fessenheim Ende 2016 stillzulegen. Deutsche Regierungskreise weisen aber darauf hin, dass sich die Grünen damit in der französischen Koalition nie durchgesetzt hätten. Hollande hatte 2015 eine weitere Laufzeitverlängerung für das Akw an der deutschen Grenze angekündigt, weil ein Neubau in Flamanville sich verzögert. Die ehemalige Vorsitzende der französischen Grünen meldete sich zu Wort, nachdem Ende vergangener Woche ein gravierender Störfall aus dem Jahr 2014 bekannt geworden war.
Das französische Atomkraftwerk Fessenheim musste im April 2014 wegen eines Wasserschadens notabgeschaltet werden. Die Belegschaft hatte daraufhin keine Informationen mehr darüber, an welcher Stelle im Reaktor die sogenannten Steuerstäbe standen. Diese gehören zu einem der Abschaltsysteme eines Atomkraftwerks. Christian Küppers vom Öko-Institut sieht darin einen weiteren Beleg dafür, dass es in dem an der deutschen Grenze gelegenen Atomkraftwerk „systematische Sicherheitsdefizite“ gibt. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) forderte erneut die Abschaltung des Kraftwerks. Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) dürfte der Vorfall weiteren Rückenwind für die Landtagswahl geben.
Der „Schrottreaktor Fessenheim“ müsse abgeschaltet werden. Das forderten am Freitag grüne Umweltminister, Bundes- und Europaabgeordnete. Und auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) schloss sich dem an. „Der Vorfall zeigt einmal mehr, dass unsere Forderung gegenüber der französischen Regierung, Fessenheim vom Netz zu nehmen, gute Gründe hat“, sagte sie.
Wasser überschwemmt einen Schaltkasten
Die „Süddeutsche Zeitung“ und der WDR haben berichtet, dass am 9. April 2014 um 17 Uhr ein Schaltkasten im Steuerungsbereich des Atomkraftwerks einen Kurzschluss hatte. Grund dafür war ein Wassereinbruch. Nach Informationen der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS), die den Vorfall im Auftrag des Umweltministeriums auswertet, haben drei Kubikmeter Wasser den besagten Schaltkasten überschwemmt. Dieses Wasser kam nach Informationen des Atomexperten Christian Küppers vom Öko-Institut aus einem Überlaufbehälter, der Kühlwasser enthielt. Was damit genau gekühlt wurde, weiß er allerdings auch nicht. Er verfüge nur über „wenig hilfreiche technische Zeichnungen“ aus der Anlage. Doch zu der Überschwemmung kam es seines Wissens, weil ein Überlaufrohr über einen längeren Zeitraum hinweg verstopfte. „Das spricht nicht dafür, dass da intensiv danach geguckt worden ist“, sagte er dem Tagesspiegel.
Wie das Wasser aus dem nicht-nuklearen Teil der Anlage bis nahe ans Herz der Anlage fließen konnte, ist Küppers ein Rätsel. Und auch der ehemalige Leiter des Atomkraftwerks Neckarwestheim II, Eberhard Grauf, findet das „eigentlich unmöglich“. Denn „Wasser und Elektrik sind immer unschön“, sagt das Mitglied der Reaktorsicherheitskommission (RSK). Ein GRS-Experte sagte am Freitag bei einer Pressekonferenz, dass das Wasser auf den Fußboden geflossen und dort in Luftschächte nahe am Boden ins Belüftungssystem geflossen sei. WDR und „Süddeutsche Zeitung“ berichten, das Wasser sei über Kabelverkleidungen in den Schaltkasten gekommen.
Wie auch immer das Wasser dort angekommen ist, es löste einen Kurzschluss aus. Dabei fiel die Anzeige aus, die den Reaktorfahrern den Stand der Steuerstäbe im Reaktorkern hätte zeigen sollen. Womöglich haben die Stäbe auch geklemmt. Wäre das so gewesen, hätten die Techniker sie immer noch von Hand auslösen können. Dann wären sie vollständig in den Reaktordruckbehälter gefallen und hätten die Kettenreaktion gebremst. Das passiert bei einer Schnellabschaltung.
Notabschaltung mit Bor
Küppers vermutet aber, dass die Betreiber den Reaktor schonen wollten und deshalb eine Abschaltung mit Hilfe einer Chemikalie, eine Borverbindung, eingeleitet haben. Eberhard Grauf dagegen lobt die Notabschaltung mit Hilfe von Bor, weil das auch bei einer regulären Abschaltung, beispielsweise für den Austausch von Brennelementen, gemacht werde. Dann würden die Steuerstäbe langsam ins Reaktorbecken gesenkt, zugleich werde aber auch schon Bor dazu gegeben. Denn ohne Borzugabe ließe sich der Reaktor nach der „Abschaltung“ nicht unterkritisch halten. Das bedeutet: Sind die Steuerstäbe komplett in den Reaktorkern eingefahren, bremsen sie die Kettenreaktion nicht mehr. Um nicht Gefahr zu laufen, sie wieder in Gang zu setzen, wenn die Temperaturen wieder steigen, wird Bor zugegeben. „Das war eine sichere Variante, den Reaktor abzuschalten“, sagt Grauf. Auch wenn der GRS-Experte sich mit Ausnahme des bulgarischen Atomkraftwerks Kosloduj an keinen weiteren Fall einer solchen Notabschaltung mit Bor in Europa erinnern kann.
Schwere Sicherheitsmängel in Fessenheim
Das Umweltministerium und die GRS bestreiten die Darstellung, dass die Steuerstäbe geklemmt hätten und es zu einer Temperaturerhöhung im Reaktor gekommen sei. Für Küppers, der erst vor wenigen Wochen ein aktualisiertes Gutachten über den Zustand der Sicherheitssysteme in Fessenheim für das baden-württembergische Umweltministerium vorgelegt hat, ist der Vorfall ein weiterer Hinweis auf die „mangelnde Sicherheitskultur“ im Kraftwerk. Selbst wenn der Vorfall nur mit der Störfallmeldestufe Ines 1 erfasst worden ist, und der Reaktor selbst auch nicht gefährdet war, wünscht er sich eine Untersuchung über weitere mögliche Schwachstellen. In seinem Gutachten beschreibt er, dass das auch für die Bewertung der Erdbebensicherheit der Anlage gilt. Zwar seien die „einzelnen Komponenten“ wie etwa eine Kühlwasserpumpe auf ihre Standsicherheit bei einem Erdbeben überprüft worden. „Aber die danebenstehende Wand hätte einstürzen dürfen, weil sie nicht tragend war“, berichtet er. Dabei hätte sie aber womöglich die Pumpe zerstört. Erst „30 Jahre später“ sei diese Wand mit Metallplatten verstärkt worden, kritisiert Küppers.
Das gebrochene Versprechen des französischen Präsidenten
Eigentlich hatte Frankreichs Präsident François Hollande versprochen, die zwei 1977 in Betrieb genommenen Reaktorblöcke in Fessenheim 2016 oder zumindest in seiner Amtszeit bis Frühjahr 2017 vom Netz zu nehmen. Inzwischen hat er dieses Versprechen zurückgenommen. Nun ist von 2018 als möglichem Abschalttermin die Rede. Allerdings soll das Atomkraftwerk Flamanville, das gerade gebaut wird, die Anlage ersetzen. In Flamanville ist aber gerade ein Reaktordruckbehälter eingebaut worden, der nicht zur Anlage passt. Wann das auch bei den Kosten völlig aus dem Ruder gelaufene Atomkraftwerk ans Netz gehen kann, ist nicht absehbar. So gesehen, ist es vielleicht sogar konsequent, dass viele der Sicherheitsauflagen, die die französische Atomaufsichtsbehörde ASN nach dem europäischen Stresstest der Anlagen nach der Atomkatastrophe in Fukushima für den Weiterbetrieb verlangt hatte, erst in den Jahren 2018 bis 2020 in Angriff genommen werden sollen. Also lange nach dem eigentlich geplanten Stilllegungstermin.
Dagmar Dehmer