Ungarn: Kurz vor dem Staatsbankrott
Regierungschef Orban will nun doch mit dem IWF kooperieren – Pleite könnte auch den Euro gefährden.
Der EU-Währungskommissar hat Ungarn mit Strafmaßnahmen für sein „exzessives Defizit“ gedroht. Wie der zuständige EU-Kommissar Olli Rehn erklärte, droht Ungarn ab Januar 2013 ein empfindlicher Einbruch bei den EU-Fördergeldern. Budapest habe „keine effektiven Maßnahmen“ ergriffen, um das Budgetdefizit unter die Höchstgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu senken. Offiziell betrug das ungarische Budgetdefizit im vergangenen Jahr 3,8 Prozent, doch ist die tatsächliche finanzielle Situation nebulös. Selbst dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wurden in den letzten Monaten wichtige Indexzahlen vorenthalten.
Die Brüsseler Strafandrohung ist ein schwerer Schlag für Budapest. Bereits in der vorigen Woche hatten Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit Ungarns um einen Punkt auf Ramschniveau herabgestuft. Damit wurde es für die Regierung des EU-Staates immer schwieriger, neue Geldmittel aufzutreiben. Doch diese sind allein schon zur Begleichung der alten Schuldenberge dringend nötig. Experten halten einen Staatsbankrott für ausgemacht, schon Ende Januar könnte es so weit sein, US-Analysten erwarten die Pleite für den kommenden Sommer. Ein Ausweg wäre ein milliardenschwerer Stützkredit des IWF. Entsprechende Gespräche waren jedoch Ende 2011 abgebrochen worden. Zuvor hatte der rechtspopulistische ungarische Regierungschef Viktor Orban den IWF mehrmals für unerwünscht in seinem Land erklärt. Doch die drohende Staatspleite zwingt Orban nun zum Gang nach Canossa. Ungarn verfügt zwar noch über Devisenreserven von rund 35 Milliarden Euro. Diese sollen laut einer Regierungserklärung jedoch nicht zur Schuldentilgung eingesetzt werden.
Am Mittwoch war der ungarische Chefunterhändler Tamas Fellegi zu Gesprächen mit dem IWF nach Washington gereist. Budapest sei bereit, über alles zu verhandeln, selbst über die von der neuen Verfassung gefährlich beschnittene Unabhängigkeit der Zentralbank, sagte Orban der ungarischen Nachrichtenagentur MTI. Der IWF und die EU hatten Budapest ab November immer eindringlicher gewarnt, doch die Regierung setzte trotz Protesten und Demonstrationen am 1. Januar wie geplant Ungarns neue Verfassung in Kraft, die von Kritikern als undemokratisch bewertet wird.
Budapests Kehrtwende ist beachtlich. Denn für die Herabstufung der Kreditwürdigkeit hatte Orban noch letzte Woche eine ganz einfache Erklärung zur Hand: Er witterte eine Weltverschwörung und wies sogar den Geheimdienst an, die Schuldigen zu finden. Schon früher sei das Land Ziel von spekulativen Finanzangriffen gewesen. Ohnehin sollte man Kritik aus dem Ausland tunlichst ignorieren, riet Orban kürzlich, denn diese behindere nur die „Entwicklung der gesunden Volksseele“.
Um die ungarische Wirtschaft steht es jedoch nicht erst seit Orbans Machtantritt im Juni 2010 schlecht, das Land hatte massiv unter der weltweiten Finanzkrise gelitten. Allein 2009 brach die Wirtschaft um sieben Prozent ein. Eine so tiefe Rezession konnte man sich in dem einstigen Hoffnungsträger Osteuropas lange nicht vorstellen. 2010 und 2011 erarbeitete sich die vor allem exportgestützte Volkswirtschaft wieder ein bescheidenes Wachstum, Ausfuhren nach Deutschland sowie die Autobauer Audi, Mercedes und Opel halfen dabei. Trotzdem wurden Orbans mit viel populistischem Getöse vorgetragenen Wirtschaftsziele immer wieder verfehlt. 2011 sollte das Haushaltsdefizit erstmals auf unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken; die gesamte Staatsverschuldung sollte in drei Jahren zum Ende von Orbans erster Amtszeit von 80 auf 60 Prozent reduziert werden. Das war alles nur heiße Luft, wie neue Zahlen belegen. Das Haushaltdefizit liegt bei 3,8 Prozent, die Gesamtverschuldung hat sich alleine im dritten Quartal 2011 von 75 auf 82 Prozent des BIP erhöht.
Müsste Ungarn die Zahlungsunfähigkeit erklären, wären die Folgen für die EU kaum abschätzbar. Österreichische Banken gehören zu den größten Kreditgebern Ungarns. Eine Ratingabwertung für Wien wäre möglich. In der Folge könnte sogar der Euro-Rettungsschirm in Mitleidenschaft gezogen werden. Ungarn selbst hat sein Zieldatum für den Beitritt zur Gemeinschaftswährung zwar kürzlich auf die Zeit nach 2020 verlegt – für den Euro könnte eine ungarische Staatspleite allerdings schon heute unangenehme Folgen haben.