Am Sonntag wählt die Türkei: Kurde erschossen - Erdogan-Partei im Abwärtstrend
Demoskopen sagen Erdogans Partei große Verluste bei der Wahl in der Türkei am Sonntag voraus. Im Wahlkampf kommt es zu gewalttätigen Angriffen gegen Anhänger der Kurdenpartei HDP, die auch bei Nichtkurden großen Zulauf erhält. Am Freitag sterben bei einer Wahlkampfveranstaltung mindestens zwei Menschen.
Eskalierende politische Spannungen und tödliche Gewaltaktionen prägen die Endphase des Wahlkampfs in der Türkei vor der Parlamentswahl am Sonntag. In Südostanatolien wurde ein Fahrer der Kurdenpartei HDP erschossen. Am Freitag wurden dann auf einer HDP-Kundgebung im Osten des Landes mindestens zwei Menschen getötet und mehr als 100 verletzt. Die Wahlveranstaltung sei von zwei Detonationen erschüttert worden, sagte Agrarminister Mehdi Eker. Ob es sich um ein Unglück oder einen Anschlag handelte war zunächst unklar. Zudem brachen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Nationalisten und HDP-Anhängern in der als Nationalisten-Hochburg bekannten Stadt Erzurum aus. Dabei wurden mehrere Dutzend Menschen zum Teil schwer verletzt.
Es war nicht das erste Mal, dass die HDP zum Ziel gewalttätiger Attacken wurde. Mitte Mai explodierten Bomben in HDP-Wahlbüros in Adana und Mersin. Insgesamt hat die Partei nach eigenen Angaben mehr als hundert Angriffe auf Büros, Fahrzeuge und Mitarbeiter registriert.
Die HDP ist wegen ihrer Nähe zur Rebellengruppe PKK insbesondere bei türkischen Nationalisten verhasst. Die Kurdenpartei steht zudem im Mittelpunkt des Interesses, weil ihr Abschneiden am Sonntag den Ausgang der Wahl entscheiden könnte. Sollte die Kurdenpartei den Sprung über die Zehnprozent-Hürde ins Parlament schaffen, wäre der Plan von Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen islamisch-konservativer Regierungspartei AKP für die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei erst einmal geplatzt.
Umfragen sagen herbe Verluste für Erdogan und seine Partei AKP voraus
Umfragen der renommierten Demoskopie-Institute Konda und A&G sagten den sicheren Parlamentseinzug der HDP sowie herbe Verluste für die AKP voraus, die demnach von knapp 50 Prozent bei der Parlamentswahl von 2011 auf 41 bis 42 Prozent absacken könnte. Mit einem solchen Ergebnis müsste die AKP um ihre absolute Mehrheit im Parlament fürchten.
Die AKP-Regierung selbst etwa setzt den eigenen Stimmenanteil mit 45 bis 46 Prozent an. Einige Umfragen sehen die HDP zudem unter der Schwelle von zehn Prozent. Dennoch ist die Nervosität im Regierungslager unübersehbar. Erdogan beschimpfte trotz der Neutralitätspflicht für den Staatspräsidenten die Politiker der Oppositionsparteien als Lügner, Ungläubige und Statthalter von Terroristen.
In Teilen der AKP wächst unterdessen die Kritik an Erdogan. Vizepremier Bülent Arinc mahnte mit Blick auf die raue Rhetorik des Präsidenten, auch in der politischen Auseiandersetzung des Wahlkampfs dürfe der Gegner nicht herabgewürdigt werden.
Einer der Gründe für den Abwärtstrend der AKP in den Umfragen ist die sich eintrübende Konjunktur. Die Inflationsrate ist auf den neuen Jahres-Höchststand von 8,1 Prozent geklettert, die Arbeitslosigkeit liegt bei 11,2 Prozent, das Wachstum ist mit drei Prozent für türkische Verhältnisse sehr niedrig.
Das „Wall Street Journal“ meldete, einige Merktteilnehmer seien besorgt, dass die AKP die Reformkraft ihrer ersten Jahre eingebüßt habe. Laut der Nachrichtenagentur Reuters rechnen Investoren mit einer Fortsetzung der AKP-Regierung, doch werde die Erdogan-Partei Stimmenverluste hinnehmen müssen. Ein solcher Rückschlag für die AKP könnte ein „Weckruf“ für die Regierung sein, sich wieder mehr der Reformpolitik zu widmen.