zum Hauptinhalt

Politik: Kunst kommt von Haben

Kunstsammler trennen sich nur schwer von ihrer Kollektion. Wenn doch, lassen sie sich gerne als Mäzene ehren und feiern. Doch in den meisten Fällen ist nicht Altruismus das Motiv, sondern das Geschäft.

Eine Feierstunde, wie sie im Buche steht. Sekt zum Empfang im östlichen Stülerbau, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz spricht lobende Worte, der Generaldirektor der Staatlichen Museen ebenso, dazu musizieren Schüler des Heinz-Berggruen-Gymnasiums, und der Schauspieler Burghart Klaussner liest Briefe Paul Klees an dessen Familie. Berlin feiert seinen Jubilar. 100 Jahre alt wäre Heinz Berggruen am 6. Januar, am Montag dieser Woche, geworden. So rüstig wie der Kunstsammler war, so präsent in der Stadt, hätte man ihm zugetraut, dieses Alter zu erreichen. Als Berggruen 2007 starb, war er längst zur Legende avanciert: ein Mäzen, wie er lange herbeigesehnt worden war.

Der Begründer des nach ihm benannten Museums galt den Berlinern als später Überbringer der Klassischen Moderne. Und das in einer Stadt, die wie kaum eine andere durch die Aktion „Entartete Kunst“ 1937 bleibende Verluste hatte hinnehmen müssen. Aber was noch mehr zählte: Berggruen erschien als Versöhner der Deutschen mit ihrer Nazi-Vergangenheit. Mit ihm kehrte ein jüdischer Emigrant zurück, der an eine bessere Vorzeit wieder anknüpfte. Der Sammler hat zu dieser Überhöhung durchaus beigetragen, indem er den Verkauf seiner Picassos, Giacomettis, Klees an die Staatlichen Museen als Geschenk deklarierte. Zumindest verstand er sie als generöse Gabe eines Berliners, der in den USA und Frankreich sein Glück als Kunsthändler gemacht hatte und nun für seine Werke eine „Wohnung“ suchte, wie er das Charlottenburger Quartier charmant bezeichnete.

Eine vor zwei Jahren erschienene Berggruen-Biografie hat an diesem Denkmal gekratzt. Dass durchaus Eigennutz hinter dem Deal mit den Staatlichen Museen stand, schien zunächst unvorstellbar. Die Dehnbarkeit des Begriffs Mäzen, das Verhältnis von Sammlern und Museen stand plötzlich wieder zur Debatte. Damit ereilten auch Berlins liebsten Gönner höchst kritische Fragen; nur konnte er sie nicht mehr beantworten. Vermutlich hätte sich Berggruen der Attacke nonchalant entzogen, schließlich gibt es keine feste Definition für den Mäzen. Das Etikett wird eher von der Gegenseite, den Empfangenden, verliehen, die damit ihrem Geber Ehre erweisen wollen. Da mag es vorher hinter den Kulissen noch so heftige Kämpfe um die Bedingungen des Schenkungsvertrags gegeben haben. Das öffentliche Ansehen ist die Münze, mit der zurückgezahlt wird.

Die Bezeichnung Mäzen geht zurück auf den Etrusker und Römer Gaius Cilnius Maecenas, der in Augusteischer Zeit Dichter wie Vergil und Horaz förderte. Ähnlich wie er darf auch der moderne Mäzen darauf hoffen, der Nachwelt in guter Erinnerung zu bleiben. Von diesem Geschäft mit der Eitelkeit, jedenfalls sobald der Name öffentlich wird, profitieren beide Seiten. Ganz zu schweigen von der Einflussnahme, denkt man zurück an berühmte Mäzene wie die Medicis, die sich im Florenz des 15. Jahrhunderts mit dem Instrument gezielter Förderung auch politisch positionierten. Das Verhältnis von Geber und Nehmer ist ambivalent. Der Frankfurter Soziologe Ulrich Oevermann, Mitherausgeber eines Sammelbands zu Mäzenatentum und Kulturpatronage, beschreibt sie als eine „Symmetrie der Wechselseitigkeit“.

Die Deutschen tun sich heute schwer mit den Mäzenen. Misstrauen schlägt ihnen häufig entgegen. Mangelnde Anerkennung oder auch Angst vor Neid sind weitere Gründe, warum diese Spezies so selten geworden ist. Das war nicht immer so. Zwei Weltkriege, Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus unterbrachen eine bis ins Mittelalter zurückreichende Stiftertradition, die fortan von einem bundesrepublikanischen Sozialstaat ersetzt wurde. In angelsächsischen Ländern, vor allem in den USA, herrscht ein anderes Selbstverständnis, welche Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit aus Wohlstand erwachsen. Diese Haltung mag in den Vereinigten Staaten auf die Siedlergeschichte zurückzuführen sein, wo einst hemdsärmelig der Stärkere den Schwächeren half, weil es keine staatliche Unterstützung gab.

Das Prinzip gilt noch immer. Der Stahlmilliardär Andrew Carnegie begründete die moderne Form des amerikanischen Mäzenatentums mit seinem 1889 veröffentlichten Buch „Das Evangelium des Reichtums“. Darin stellt er die Forderung auf, dass alles Geld, das nicht zur familiären Versorgung gebraucht werde, dem Wohle der Gesellschaft zu dienen habe. Carnegie selbst hielt sich daran: Auf ihn geht nicht nur die berühmte New Yorker Carnegie Hall zurück, sondern auch der Bau von rund 2500 öffentlichen Bibliotheken. Insgesamt spendete er mehr als 350 Millionen Dollar.

Seinem Credo folgten später legendäre US-Mäzene wie John Rockefeller und Jean Paul Getty. Als der Investment-Unternehmer Warren Buffet 2010 zusammen mit Bill Gates die Initiative „The Giving Pledge“ (das Gebe-Versprechen) ins Leben rief, bezog er sich auf alle drei: Carnegie, Rockefeller, Getty. Super-Reiche mögen bitte schön die Hälfte ihres Vermögens herschenken, so die Idee der Kampagne; im gleichen Jahr sollen sich bereits 40 US-Milliardäre angeschlossen haben. „Die größte Auszeichnung für einen Philanthropen ist es, wenn der Scheck vom Beerdigungsinstitut zurückkommt, weil er nicht gedeckt ist,“ beschreibt der einstige New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg das Ideal des amerikanischen Gebers. Sein Nachfolger hat gerade erst wieder zu Mantelspenden aufgerufen.

Abgesehen davon, dass es in Deutschland den Stiftern längst nicht so leicht gemacht wird wie in den Vereinigten Staaten, wo eine andere steuerliche Gesetzgebung gilt, existiert hier weit weniger die Erwartung an die Upper Class zu teilen. Im Sozialen, in der Bildung, in der Kultur steht der Staat parat. Der Deutsche Spendenrat gab den Deutschen dennoch gerade erst gute Noten für ihre Spendenbereitschaft: Über 4,5 Milliarden Euro – mehr als im Rekordjahr 2005, als der Tsunami in Südostasien wütete – werden nach Abrechnung für 2013 erwartet. Der Skandal um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst dürfte für die katholische Kirche jedoch Einbußen zur Folge gehabt haben. Allerdings handelt es sich bei diesen Gaben meist um kleinere Beträge, keine großen mäzenatischen Taten.

Trotz aller Alimentierung bleiben viele öffentlichen Einrichtungen auf die Unterstützung aus privater Hand angewiesen, auf die Freundeskreise, die Fördermitglieder. Ein halbes Prozent des Bundeshaushalts, knapp 1,3 Milliarden Euro, machte 2013 der Etat für Kultur im Bundeshaushalt aus, 192 Millionen Euro gingen davon an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, 97 Millionen Euro erhielten weitere Museen. Es reicht dennoch nicht, will man die Häuser für die Besucher ansprechend gestalten, attraktive Ausstellungen bieten und durch Kunstankäufe international den Anschluss bewahren. Umso sehnsüchtiger halten die Direktoren Ausschau nach jenem Big Spender, der bereit ist, nicht nur Geld, sondern auch seine Sammlung zu stiften.

Bürgerschaftliches Engagement lautet das Zauberwort, mit dem die Museen ihre betuchtere Klientel zur Selbstverpflichtung angesichts schrumpfender Etats zu animieren hoffen. Sie versuchen dort wieder anzuknüpfen, wo durch die Verfolgungen im „Dritten Reich“ der dramatischste Bruch zu verzeichnen war: bei den jüdischen Bankern und Industriellen, ihren einst wichtigsten Stützen. Umgekehrt bedeutete für das jüdische Großbürgertum damals das Stiften gesellschaftliche Anerkennung, Prestige und sozialer Aufstieg. Der Historiker Peter Paret hat jedoch im Sammelband „Jüdische Mäzene in der deutschen Gesellschaft“ nachgewiesen, dass mehr noch der deutsche Idealismus und dessen Vision von Bildung und Verantwortung die jüdischen Mäzene animierte.

Die Staatlichen Museen zu Berlin haben ihren bedeutendsten Vertreter in James Simon (1851 bis 1932) gefunden. Die Gebefreudigkeit des jüdischen Baumwollunternehmers sprengte alle Kategorien. Über 10 000 Objekte schenkte er. Das heutige Bode-Museum erhielt von James Simon 1904 eine 500 Objekte umfassende Renaissance-Kollektion, weitere 350 Werke der spätmittelalterlichen Holzplastik kamen einige Jahre später hinzu. Als Gründer der Deutschen Orientgesellschaft finanzierte der kunstsinnige Unternehmer außerdem die Grabungen in Babylon und in Tell el-Amarna, woher die Büste der Nofretete stammt.

Bis zur offiziellen Weitergabe stand die Schöne als privates Eigentum bei James Simon zu Hause auf dem Kaminsims. Dass sich nun in Sichtweite der Nofretete im westlichen Kuppelsaal des Neuen Museums als einziges weiteres Artefakt eine Büste dieses bedeutenden Mäzens befindet, ist eine vergleichsweise kleine Verbeugung gegenüber dem Mann, dem die Stiftung Preußischer Kulturbesitz so viel zu verdanken hat. Weit öffentlichkeitswirksamer wird sich das von David Chipperfield geplante Eingangsgebäude für die Museumsinsel ausnehmen. Sie trägt den Namen James-Simon-Galerie. Nach baulichen Verzögerungen wurde endlich im vergangenen Herbst der Grundstein gelegt. In der darin eingeschlossenen Zeitkapsel steckt unter anderem das Faksimile eines Briefes von James Simon, in dem er die einzige Bedingung seiner ersten großen Schenkung nennt: Sie solle „für die nächsten 100 Jahre in einem besonderen Kabinet des Kaiser-Friedrich-Museums als ein Teil der Sammlung italienischer Skulpturen vereinigt bleiben“.

Mit diesem Wunsch steht er nicht allein. Die meisten Kunstaficionados versuchen die Einheit ihrer manchmal über Jahrzehnte aufgebauten Kollektion auch im Museum noch zu bewahren – weil nur so die individuelle Passion, das besondere Profil ablesbar bleibt. Sammler trennen sich deshalb nur schwer. Seit in den vergangenen Jahren private Käufer auf dem Kunstmarkt den Ton angeben, weil nicht mehr die öffentlichen Häuser, sondern die Hedgefonds und individuellen Bieter auf den Versteigerungen mithalten können, hat sich ihre Position gewandelt. Eine neue selbstbewusste Generation ist herangewachsen, die nicht mehr die Anerkennung des Museums sucht, sondern sich ihre Schatzhäuser selbst baut.

Die Münchner Sammlerin Ingvild Goetz ließ sich einen exklusiven Showroom vom Schweizer Architektenduo Herzog & de Meuron entwerfen. Der Verleger Frieder Burda erhielt in Baden-Baden von Richard Meier einen Kunstpalast nach seiner Façon. Das Berliner Büro Kuehn Malvezzi verwandelte für Julia Stoschek eine alte Fabrik in Düsseldorf-Oberkassel in die perfekte Hülle für ihre Video-Kollektion. Der Hamburger Harald Falckenberg zog mit seiner Kollektion in die ehemaligen Werkhallen einer Reifenfabrik im Arbeiterviertel Harburg ein. In Berlin funktionierten Karen und Christian Boros einen Bunker spektakulär für ihre Sammlung um.

Für die Museen sah es lange Zeit gar nicht gut aus, selbst ihre kunsthistorische Expertise wurde abgezogen. Der ausgewiesene Museumsmann Eckhart Schneider etwa folgte dem Lockruf der russischen Oligarchen und wechselte vom renommierten Kunsthaus Bregenz an das Pinchuk Art Centre in Kiew. Und doch spielt die Zeit den öffentlichen Häusern in die Hände. Zum 1. Januar hat Bayern den Münchner Sammlungsbau von Ingvild Goetz, dazu 375 Werke als Schenkung übernommen, den Rest ihrer umfangreichen Kollektion erhält das Land als Dauerleihgabe. „Entscheidend war für mich die Zusage des Freistaats, die optimale Betreuung und Unterbringung der Sammlung zu gewährleisten“, so die Geberin. Das Blatt wendet sich. Harald Falckenbergs Sammlung hatte sich bereits drei Jahre zuvor in ein „Weihnachtsgeschenk“ für die Hamburger verwandelt, wie es der Intendant der Hamburger Deichtorhallen und künftige Hüter Dirk Lukow nannte. Ebenfalls zum 1. Januar hatte die Bürgerschaft einer Kooperation zwischen Sammler und öffentlichem Haus zugestimmt, die heftigen Auseinandersetzungen um die Höhe der laufenden Kosten waren vergessen.

„Am Ende landen die wichtigsten Werke doch bei uns“, sagt der Direktor der Berliner Nationalgalerie Udo Kittelmann selbstbewusst zuletzt bei der Eröffnung der „Wallworks“-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Hier beherbergt er bereits die Sammlungen Marx, Marzona und Flick. Für die Surrealisten-Kollektion von Ulla und Heiner Pietzsch sucht er im künftigen Erweiterungsbau der Neuen Nationalgalerie als Nächstes Platz zu schaffen. Obwohl als Geschenk gedacht, wehte dem Berliner Sammlerpaar mächtig Wind entgegen, als ihre Werke Argumentationshilfe für den nun abgesagten Auszug der Gemäldegalerie liefern sollten. Die Öffentlichkeit schaut kritischer hin, Verträge zwischen Mäzen und Museum werden hinterfragt, die Gönner sehen sich mit Argwohn ins Visier genommen. Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen dem Bestreben, mit gutem Tun Vorbild zu sein, und dem Verdacht, vor allem die persönliche Eitelkeit befriedigen zu wollen, so der Berliner Politikwissenschaftler Knut Bergmann. Jede Zeit vermisst diesen Grat neu.

Die Feierstunde zu Heinz Berggruens 100. Geburtstag blieb von solchen Balanceakten unberührt. Allerdings war von Geschenk keine Rede mehr, und auch die Bezeichnung Mäzen blieb unerwähnt.

Nicola Kuhn

Zur Startseite