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Abgehoben? Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
© dpa

Recep Tayyip Erdogan sieht sich von Feinden umringt: Kritiker: Türkischer Präsident wird immer intoleranter

Mit Karikaturen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan häufiger Probleme. Kürzlich ließ er über seine Anwälte den Zeichner einer Istanbuler Oppositionszeitung wegen Beleidigung vor Gericht stellen. Nun bestellte Erdogans Außenministerium den deutschen Botschafter ein.

Eine Karikatur, die Erdogan als knurrenden Kettenhund darstellt und die in einem baden-württembergischen Schulbuch abgedruckt wurde, hatte den Zorn der türkischen Regierung erregt. Das Außenministerium erklärte, die Verwendung der Karikatur in einem Schulbuch schüre Ausländerfeindlichkeit und Rassismus in Deutschland. Regierungstreue Medien in der Türkei verdammten die Karikatur als Respektlosigkeit und verwiesen darauf, dass Erdogan schon seit einiger Zeit im Ausland unfair behandelt und unter anderem als Politiker mit Sultans-Ambitionen dargestellt werde.

Erdogan fühlt sich von Feinden umringt. Erst vor wenigen Tagen beklagte der 60-Jährige zum wiederholten Mal eine angebliche Lügenkampagne der internationalen Presse gegen sein Land. Die Türkei werde sich aber weder den Verrätern im Innern noch den von außen kommenden Rufmord-Kampagnen beugen, sagte er. 

Selbst im Alltag entdeckt Erdogan immer häufiger Zeichen des mangelnden Respekts seiner Person und seinem Amt gegenüber. Während eines Besuchs im Istanbuler Stadtteil Esenler vor einigen Tagen bemerkte Erdogan von der Straße aus einige Cafébesucher, die sich trotz Rauchverbots eine Zigarette angesteckt hatten. Wütend über die "Unflätigkeit", in seiner Anwesenheit gegen das Rauchverbot zu verstoßen, wies Erdogan an Ort und Stelle die örtlichen Behörden an, den Café-Betreiber zu bestrafen, was auch prompt geschah: Ein Bußgeld von umgerechnet mehr als 2000 Euro wurde gegen den Unternehmer verhängt. 

Kritiker beobachten bei dem machtbewussten Erdogan, der die politische Szene der Türkei seit mehr als zehn Jahren beherrscht und seit August der erste direkt gewählte Staatspräsident seines Landes ist, eine Tendenz zu Selbstherrlichkeit, Intoleranz und Autokratie. 

Erdogans neuer Präsidentenpalast in Ankara hat rund eine halbe Milliarde Euro gekostet, sein neues Dienstflugzeug etwa 150 Millionen. Beim Palastprojekt setzte sich Erdogan laut Opposition über Bauverbote hinweg. Auch die Gezi-Proteste des vergangenen Jahres entzündeten sich zum Teil an dem Eindruck, Erdogan entwickele autokratische Tendenzen. Die Internetzeitung "Radikal" kommentierte, Erdogan stelle sich das Verhältnis zwischen Bürger und Staatspräsident wohl vor wie das eines verprügelten Kindes zu seinem Vater.

Der Kolumnist und Anwalt Orhan Kemal Cengiz schrieb auf Twitter, inzwischen werde jeder Regierungskritiker als Vaterlandsverräter verdammt. So wie die Türkei in der Vergangenheit unter der Vormundschaft der Militärs gestanden habe, sei heute ein zunehmend autoritär werdendes Regime unter Erdogans Regierungspartei AKP zu beobachten. 

Zum Teil stammt Erdogans Weltsicht aus der von Cengiz angesprochenen Vergangenheit. Islamisch-konservative Türken wurden vom damaligen säkularistischen Establishment jahrzehntelang benachteiligt. Dieses Gefühl, als Bürger zweiter Klasse behandelt worden zu sein, prägt Erdogan bis heute. Deshalb wittert er trotz mehrerer Wahlsiege überall Versuche, ihn selbst und die von ihm vertretenen konservativen Türken schlecht aussehen zu lassen oder wieder von der Macht zu vertreiben. Im Ausland reagiert er empfindlich auf alles, was darauf hindeuten könnte, dass Europäer oder Amerikaner auf ihn oder die Türkei herabblicken. Die Hunde-Karikatur gehört dazu.

Allerdings bricht Erdogans Zorn über angebliche "Unflätigkeiten" nur sehr selektiv aus, wie Kritiker anmerken. "Radikal" meldete, am selben Tag, an dem sich Erdogan über die Raucher in Esenler aufregte, seien bei Arbeiten am Dach der dortigen fünfstöckigen AKP-Vertretung bestehende Vorschriften zur Arbeitssicherheit mindestens so offen missachtet worden wie das Rauchverbot im Café. "Die Sicherheitsvorkehrungen bestanden aus Jeans und T-Shirt." Doch dazu sagte Erdogan nichts.

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