zum Hauptinhalt
Angela Merkel zweifelt an Ursula von der Leyens Rentenplänen.
© dapd

Zuschussrente gegen Altersarmut: Kritik an von der Leyen wird schärfer

Die Kritik an Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen in der Debatte über eine Zuschussrente gewinnt an Schärfe. Mit ihrer Warnung vor Altersarmut hat die Ministerin auch die Kanzlerin gegen sich aufgebracht.

Philipp Mißfelder bemüht sich um einen diplomatischen Ton. „Sehr freundschaftlich“ sei das Gespräch mit der Ministerin über die Zuschussrente verlaufen, „denn wir wissen, was wir an Ursula von der Leyen haben“. Die Angesprochene lächelt verbindlich zu dem langen Junge-Union-Chef hinauf. Zu viert stehen sie um die Ministerin herum, die Sozialpolitiker der Jungen Gruppe der Union, allesamt in ernsten schwarzen Anzügen. Leyen hat sich vorher auch schon bedankt, doch, es sei ein „ausgesprochen konstruktives Gespräch“ gewesen. Wenn Parteifreunde vor laufenden Kameras derart abgezirkelte Höflichkeiten austauschen, dann weiß man: Da brennt’s.

Auf offener Bühne ist das Feuer im Moment nicht so deutlich zu erkennen. Da sieht man nur eine Arbeitsministerin, die mit voller Kraft für ihr Projekt trommelt. Interview in der „Bild“-Zeitung, Auftritt im „Morgenmagazin“ – Leyen scheint allgegenwärtig. Ihre zentrale Botschaft ist so schlicht wie drängelnd. Erstens, lautet sie, meine Warnungen vor drohender Altersarmut für Kleinverdiener sind richtig, und zweitens: „Ich erwarte, dass wir bis Ende Oktober eine Antwort finden.“

Das Feuer brennt derweil in Hinterzimmern, dort aber lichterloh. Und die Kritik der Koalitionspartner wird immer schärfer. FDP-Generalsekretär Patrick Döring warf der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden am Donnerstag vor, Zahlen, die die Dringlichkeit ihres Konzepts gegen Altersarmut belegen sollen, bestellt zu haben. Dies wies Philipp Mißfelder zwar zurück, bekräftigte aber zugleich seine Kritik an der Zuschussrente. Auch die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, lehnte das Konzept ab.

Döring sagte dem „Handelsblatt“, von der Leyen habe sich mit ihrem Vorstoß „völlig vergaloppiert“. Er fügte hinzu: „Mit den bestellten Zahlen kann sie offensichtlich nicht einmal die eigenen Parteifreunde überzeugen.“ Mißfelder sagte im Deutschlandfunk, er stimme Dörings Einschätzung zur Entstehung der von der Ministerin verwendeten Daten nicht zu. Es gebe verschiedene Modelle, die etwa eine unterschiedliche Lebensarbeitszeit zugrunde legten. Mißfelder sagte aber, man müsse „über die Interpretation der Zahlen streiten“. Es gebe „große Zweifel“, ob tatsächlich große Teile der Mittelschicht künftig von Altersarmut bedroht seien.

Kanzlerin zweifelt an von der Leyens Zahlen

Am Dienstagabend ist die Kanzlerin zu Gast beim Klausurtreffen der CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen. Die Bundestagsabgeordneten erleben eine sehr skeptische Angela Merkel, auch eine sichtlich verärgerte. Dass ihre Ministerin am Wochenende über die Presse mit bedrohlichen Zahlen „Rentenalarm“ geschlagen hat, hat Merkel überhaupt nicht gefallen. Besonders geärgert, berichten Teilnehmer, habe sie dabei der Verdacht, dass Leyens Lösungsvorschlag gar nicht zu dem behaupteten Problem passe. Ronald Pofalla, als CDU-Abgeordneter aus Kleve Mitglied der Landesgruppe, hat die Zuschussrente sogar kurzerhand für tot erklärt: „Die kommt nicht“, zitiert ein Teilnehmer den Chef des Kanzleramts.

Am nächsten Morgen beim Kabinettsfrühstück bekräftigt Merkel ihre Skepsis. Bis zum Wochenende habe sie diese Zuschussrente ja für eine gute Sache gehalten, zitieren Teilnehmer der Runde die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende. „Aber je besser ich die Zahlen kenne, desto stärker wachsen meine Zweifel.“

Damit steht sie nicht alleine. Anerkannte Experten wie der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, Franz Ruland, werfen der Ministerin vor, sie rechne mit selektiven Beispielen. Dass jemand, der 2030 in Rente geht, nur 35 Jahre lang Beiträge gezahlt habe, sei nämlich höchst unwahrscheinlich. „Die Zahlen des Ministeriums sind ärgerlich, weil mit ihnen wegen des untauglichen Versuchs, die Zuschussrente zu begründen, die Rentenversicherung schlechtgeredet wird“, kritisiert Ruland in der „Süddeutschen Zeitung“.

Leyen weist solche Kritik zurück. Bei 40 oder 45 Beitragsjahren, sagt sie nach dem Treffen mit den Jungen, sehe die Sache nicht viel besser aus für Menschen mit niedrigen Einkommen um die 2000 Euro. „Den Zahlen hat keiner widersprochen“, versichert sie. Zugestimmt hat aber auch keiner. Für ihn und seine Mitstreiter, sagt Mißfelder, blieben „erhebliche Bedenken“.

Robert Birnbaum

Zur Startseite