Afghanistan: Kriegsfotografin Anja Niedringhaus erschossen
Sie wollte den Alltag im Krieg festhalten: Die bekannte deutsche Fotoreporterin Anja Niedringhaus ist in Afghanistan von einem Polizisten getötet worden. Auch eine kanadische Journalistin wurde bei dem Anschlag schwer verletzt.
Kollegen und Politiker haben mit Erschütterung auf die Ermordung der deutschen Fotografin Anja Niedringhaus in Afghanistan reagiert. Bei dem Anschlag in der Unruheregion Chost war auch die kanidische Reporterin Kathy Gannon schwer verletzt worden. "Anja und Kathy haben gemeinsam Jahre in Afghanistan verbracht und über den Konflikt und die Menschen berichtet“, erklärte AP-Chefredakteurin Kathleen Carroll. „Anja war eine lebhafte und dynamische Journalistin, die für ihre einfühlsamen Fotos geliebt wurde.“ Bundespräsident Joachim Gauck sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus und erklärte, mit Niedringhaus habe die Welt eine wichtige „Augen-Zeugin“ von Not, Elend und Gewalt in Krisenregionen verloren. Ohne Journalisten wie sie, „ohne ihre Arbeit, ihren Mut und ihr Engagement“, wäre „unser Bild von der Welt unvollständig“. Regierungssprecher Steffen Seibert schrieb auf Twitter: „Die Nachricht vom Tod der wunderbaren Fotografin Anja Niedringhaus ist erschütternd“, auch das Auswärtige Amt verurteilte „den feigen Anschlag in aller Schärfe“.
Anja Niedringhaus hatte über zwei Jahrzehnte in Afghanistan, Pakistan, Libyen, Nahost und Bosnien gearbeitet; auch Sportfotos hat sie regelmäßig gemacht. Für ihre Irak-Reportagen gewann sie mit einem AP-Team 2005 den Pulitzerpreis. Ihre Bilder zeigen den Alltag des Krieges, den menschlichen Moment in unmenschlichen Zeiten. Den Busfahrer, der vor der Kühlerhaube zum Gebet niederkniet. Männer im teppichbehängten Teehaus mit Blechofen, die einer Wahlsendung auf dem Flatscreen folgen. Einen afghanischen Familienvater, mit fünf Kindern auf dem Moped. Oder, noch ein Bild aus Kabul, einen Jungen auf dem Kettenkarussell, der mit einer Spielzeug-MP feuert.
Die 48-jährige Reporterin ist am Freitag im Osten Afghanistans unweit der Grenze zu Pakistan erschossen worden. Gemeinsam mit ihrer kanadischen Journalisten-Kollegin Kathy Gannon (60) saß sie in einem Autokonvoi, die beiden berichteten über die Präsidentschaftswahlen am morgigen Samstag in Afghanistan.
Ein mutmaßlicher Polizist näherte sich dem Wagen und eröffnete mit den Worten "Allahu Akbar" (Gott ist größer) das Feuer, anschließend ließ sich er sich widerstandslos verhaften. Niedringhaus war sofort tot, Gannon überlebte schwer verletzt und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Die Taliban - die Angriffe auf die Wahlen angekündigt haben - wiesen bereits jede Verantwortung für den Mord zurück. Auch die Bundesregierung schaltete sich in den Fall ein. Die deutsche Botschaft in Kabul sei „mit Nachdruck um Aufklärung bemüht“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Bundespräsident Joachim Gauck sprach den Hinterbliebenen sein Beileid aus und erklärte, mit Niedringhaus habe die Welt eine wichtige „Augen-Zeugin“ von Not, Elend und Gewalt in Krisenregionen verloren. Ohne Journalisten wie sie, „ohne ihre Arbeit, ihren Mut und ihr Engagement“, wäre „unser Bild von der Welt unvollständig“. Regierungssprecher Steffen Seibert schrieb auf Twitter: „Die Nachricht vom Tod der wunderbaren Fotografin Anja Niedringhaus ist erschütternd.“ Das Auswärtige Amt verurteilte „den feigen Anschlag in aller Schärfe“.
"Ein raues Lachen, das wir niemals vergessen werden"
Frauen als Kriegsfotografinnen sind eher selten. “Sie war eine lebhafte, dynamische Journalistin, die wir alle wegen ihrer einfühlsamen Aufnahmen, ihrer Warmherzigkeit und ihrer Liebe zum Leben sehr mochten“, würdigte AP-Chefredakteurin Kathleen Carroll ihr ermordete Kollegin Niedringhaus in New York. AP-Präsident Gary Pruitt beschrieb sie in einer Botschaft an die Mitarbeiter der Agentur als “geistreich, kühn und furchtlos - und mit einem rauen Lachen, das wir niemals vergessen werden“.
Auch Reuters-Kollegen zollten ihr Tribut. “Anja zählte zu den Besten der Welt - egal, ob es Bilder vom Schlachtfeld oder aus dem Tennis-Court ging“, sagte Chris Helgren, einer der leitenden Reuters-Fotoredakteure. “Sie wirkte furchtlos, aber sie war auch eine sehr loyale Freundin mit viel Witz. Mit ihrer Anwesenheit konnte sie uns noch in den schlimmsten Einsätzen aufmuntern.“
Keine Zuschauerin, sondern mittendrin
Wer keine Angst hat, sagte Niedringhaus einmal, bei dem stimmt etwas nicht. Ihre Fotos lassen den Betrachter erahnen, wie unerschrocken sie dennoch war. Vernarbte Schädel, verwundete Zivilisten, verstümmelte Bombenopfer, tote Soldaten zeigt sie auf ihren Bildern, im Hintergrund die Feuer und Rauchschwaden der Schlacht. Sie war keine Zuschauerin, sie war mittendrin. Und die Kamera, hat sie einmal ehrlich gestanden, sei ihr dabei ein Schutz, etwas, das Distanz schafft - schon weil sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren musste. Gleichwohl wurde sie auf ihren Reportagereisen öfter verletzt.
Dokumentieren, stellvertretend für andere
„Was ist eigentlich da, wo es einschlägt?“, wollte Niedringhaus wissen. Und hat vor allem die menschlichen Momente mitten in der Unmenschlichkeit des Krieges festgehalten, die Absurditäten eines eigentlich unmöglichen Alltags. Die Sonnenblume am Helm des GIs. Das Kistchen mit Kerzenstummeln, die sich ein deutscher Soldat zum Geburtstag in den afghanischen Bergen anzündet. Die Palästinenserinnen, die sich am Rande von Gaza City auf einem Rummelplatz vergnügen. Oder ein bis an die Zähne bewaffneter Soldat, der einem afghanischen Jungen am staubigen Straßenrand den Fußball zurückkickt.
Auf ihrer Website www.anjaniedringhaus.com finden sich zahlreiche solcher Schnappschüsse, aber auch sorgsam, ja liebevoll ausgeleuchtete Bildkompositionen. Eins ihrer bekanntesten Fotos aus dem Irak zeigt einen blutjungen US-Soldaten, der auf dem Rücken eine GI-Joe-Puppe in seine Schutzweste gesteckt hat. Ein Kinderspielzeug als Voodoo-Puppe gegen den Tod.
Gefährliche Zeiten für Journalisten auch in Afghanistan
1965 in Höxter, Westfalen, geboren, machte sie zunächst Fotos für die „Neue Westfälische“, studierte Germanistik, Philosophie und Journalismus, fotografierte den Mauerfall. Ihre Mauer-Fotos verschafften ihr einen Job bei der European Press Photo Agency, seit 2002 arbeitete sie für AP. Den Begriff „Kriegsfotografin“ mochte sie übrigens gar nicht. Sie könne nicht helfen, nur dokumentieren, dabei sein, sagte sie. Stellvertretend für tausende andere. Ihren letzten Einsatz hat die 48-Jährige nun nicht überlebt.
Die Sicherheitslage in Kabul ist extrem angespannt, weshalb auch Reporter in Afghanistan zur Zeit besonders gefährdet sind. Der scheidende Präsident ordnete eine Untersuchung der Gewalttat an, nachdem zuvor schon der schwedisch-britische Reporter Nils Horner sowie der AFP-Journalist Sardar Ahmad während der Wahlkampagne in Afghanistan getötet worden waren. (mit dpa, Reuters)