Umstrittene Regierungs-PR: Kretschmann macht vertrauliche Treffen mit Journalisten öffentlich
Anders als das Kanzleramt bringt Baden-Württembergs Regierung Transparenz in ihre Medienarbeit. Merkel will das nicht – auch nicht bei Corona-Informationen.
Zum ersten Mal hat eine Landesregierung Informationen über ihre vertraulichen Hintergrundgespräche mit Journalistinnen und Journalisten öffentlich gemacht. Wie das Baden-Württemberger Staatsministerium auf eine parlamentarische Anfrage von AfD-Abgeordneten mitteilte, hat demnach allein Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in der laufenden Legislaturperiode seit 2018 mehr als 30 solcher Treffen in Stuttgart und Berlin veranstaltet. Seit Ausbruch der Pandemie finden sie überwiegend als Videokonferenz statt.
Die Zusammenkünfte mit Kretschmann seien „ohne festgelegtes Thema“ durchgeführt worden, heißt es in der Regierungsantwort, die dem Tagesspiegel vorliegt. Aufgeführt werden auch sämtliche Treffen der Ministerinnen und Minister mit Datumsangaben, unter anderem zu Themen wie Dieselumrüstung, Luftreinhaltung, Kriminalitätslage oder Wohnungsbau.
Teilnehmende sollen Stillschweigen zusagen
Bei dieser in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannten Art von Pressekontakten informieren Regierungsvertreter über aktuelle Themen und Vorhaben. Sie verlangen dafür regelmäßig die Zusage der Teilnehmenden, Stillschweigen zu bewahren. Die Informationen dürfen daher nicht mit Hinweis auf die Quelle öffentlich verwendet werden, fließen aber oft „im Hintergrund“ in die mediale Berichterstattung ein. Politiker haben damit die Möglichkeit, Themen zu setzen oder indirekt Berichte zu veranlassen, ohne selbst öffentlich in Erscheinung zu treten.
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Auf diese Weise informiert neben den Landesregierungen auch das Bundeskanzleramt, beispielsweise über seine nächsten Schritte in der Corona-Politik. Anders als die grün-schwarze Stuttgarter Landesregierung hält die Bundesregierung die Termine jedoch vor Presse und Parlament dauerhaft geheim.
So will das Kanzleramt jetzt auf eine Anfrage des fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Mario Mieruch keine Angaben zu einem vertraulichen Corona-Informationstreffen mit der Presse machen, das mit Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und Regierungssprecher Steffen Seibert im Januar stattgefunden haben soll. Informationen zur Pandemielage würden zwar auch „in Form von Hintergrundgesprächen“ erteilt, heißt es in der Regierungsantwort, die dem Tagesspiegel vorliegt. Inhaltliche wie organisatorische Einzelheiten würden jedoch „nicht nachgehalten“.
Die Anfragen gehen auf Tagesspiegel-Klagen zurück
Die Parlamentsanfragen in Stuttgart und Berlin gehen auf Gerichtsurteile zurück, die der Tagesspiegel zur Transparenz der Regierungs-Öffentlichkeitsarbeit erstritten hat. So verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht den Bundesnachrichtendienst (BND) bereits 2019 rechtskräftig, Themen, Teilnehmer und Termine vertraulicher BND-Unterrichtungen publik zu machen. Vergangenen Herbst verlangte dies auch das Berliner Verwaltungsgericht für die Runden mit Helge Braun und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Gegen das Urteil hat das Kanzleramt jedoch Berufung eingelegt. Merkel ist weiterhin der Ansicht, ihre strikt vertraulichen Treffen mit Medienleuten seien für sie unerlässlich und gehörten zu einem geschützten, für andere nicht ausforschbaren „Kernbereich der Exekutive“.
Parlamentarier wollen noch mehr Antworten
Die Regierung Kretschmann in Stuttgart ist offenbar grundsätzlich anderer Auffassung. Allerdings ist auch das Staatsministerium zurückhaltend mit Angaben zu den eingeladenen Gästen, wie die AfD-Abgeordneten sie verlangt hatten. Es seien „weitestgehend Mitglieder der Landespressekonferenz“ eingeladen gewesen, eines Vereins, in dem Journalistinnen und Journalisten organisiert sind, die über die Stuttgarter Politik berichten.
Aus der AfD-Fraktion hieß es, dies genüge als Antwort nicht, man wolle es genauer wissen und werde die Frage der Regierung erneut vorlegen. Der Abgeordnete Mieruch, der früher der AfD angehörte und heute Mitglied der Kleinpartei „Liberal-Konservative Reformer“ ist, erklärte, er wolle den Fall vor das Bundesverfassungsgericht bringen.