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In Washington bereiten sich viele Geschäfte auf die Wahlnacht vor - und verbarrikadieren aus Angst vor Protesten ihre Fensterfronten.
© Mike Theiler/imago

Twenty/Twenty täglich - noch 1 Tag bis zur US-Wahl: Krallt sich Trump ans Weiße Haus?

Morgen wird gewählt – und die Zweifel am Wahlausgang nehmen genauso zu wie die Angst darüber, was in der Wahlnacht passiert. Unser US-Newsletter, jetzt täglich.

Die USA sind im Wahl-Endspurt. Deshalb informieren wir sie in den kommenden zwei Wochen in unserem US-Newsletter „Twenty/Twenty“ täglich über die Geschehnisse in den Vereinigten Staaten. Heute schreibt Juliane Schäuble über Gedankenspiele zum Ausgang der Präsidentschaftswahl und ein sich verbarrikadierendes Washington. Zum kostenlosen Abo geht es hier.

Der Zweifel ist zu unserem ständigen Begleiter geworden. Je näher der 3. November rückt, desto stärker zweifeln wir Beobachter daran, dass die Wahl am Dienstag so ausgeht, wie es die Umfragen seit Monaten nahelegen. Zu tief hat sich die Erfahrung von 2016 eingebrannt, dass in diesen polarisierten Zeiten, in denen viele sich nicht trauen oder keine Lust mehr haben, ihre politische Präferenz offenzulegen, auf die Prognosen kein Verlass mehr ist. Und damit zweifeln wir auch an unserer Überzeugung, dass die Amerikaner diesem Präsidenten doch eigentlich keine zweite Amtszeit ermöglichen können – nach all dem, was in den vergangenen vier Jahren los war. Donald Trump selbst schürt derweil immer offener Zweifel an dem Wahlergebnis, von dem er ganz offensichtlich nicht erwartet, dass es für ihn positiv ausfällt.

Wie werden sich die Verlierer in der Nacht verhalten?

Wer ständig zweifelt, ist kein ausgeglichener Mensch – und sich häufig seiner selbst nicht sicher. Auch Amerika, um im Bild zu bleiben, ist sich seiner selbst nicht mehr sicher. Sind die Vereinigten Staaten noch eine funktionierende Demokratie, in der extreme Auswüchse in eine Richtung als solche erkannt und in absehbarer Zeit wieder korrigiert werden können? Funktioniert die Gewaltenteilung, das System der „checks and balances“ noch? Stoppt der Supreme Court, das Oberste und damit letztentscheidende Gericht, Versuche eines Kandidaten, einer Partei, die Macht an sich zu reißen? Oder wird das eigentlich Undenkbare Wirklichkeit: Der Amtsinhaber krallt sich im Weißen Haus an die Macht, stürzt das Land in eine quälend lange Phase der Unsicherheit – um am Ende eine Antwort auf die Frage zu provozieren, ob man ihn mit Gewalt entfernen kann? Und: Wie verhalten sich die Verlierer, wie gefährlich wird die Wahlnacht? Auch im liberalen Washington soll die Zahl der Waffenkäufe gestiegen sein.

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Solche Spekulationen hört man in der Hauptstadt rauf und runter, wie genau es kommen wird, vermag kaum einer zu sagen. Bei meinem heutigen, wohl letzten Joggingausflug vor der Wahl nach Georgetown habe ich wieder gemerkt, wie sehr diese Unsicherheit den Menschen zusetzt. Selbst hier, mehrere Kilometer vom Weißen Haus entfernt, verbarrikadieren Ladeninhaber in etwas abgelegenen Straßen ihre Schaufenster. Sie haben die Nacht im Frühsommer nicht vergessen, als Randalierer und Plünderer ihren idyllischen Stadtteil heimsuchten, weil die Polizei mit den „Black-Lives-Matter“-Protesten in der Innenstadt vollauf beschäftigt war.

Trump will sich wohl noch in der Nacht zum Sieger ausrufen

Die Unruhen verschärft haben am Sonntagabend Medienberichte, nach denen Trump offenbar vorhat, sich noch in der Nacht vorzeitig zum Sieger auszurufen, wenn er vorne liegt – ohne darauf zu warten, was die wohl ein paar Tage andauernde Auszählung der Briefwahlstimmen in Swing States wie Pennsylvania ergibt, an deren Ende womöglich Joe Biden gewonnen hätte. Ganz neu sind solche Gedankenspiele nicht. Aber nun berichtete nicht nur die Nachrichtenseite Axios über ungenannte Stimmen aus dem Umfeld von Trump, die von diesen Absichten erzählten, sondern auch CNN berief sich sogar explizit auf Trump-Berater.

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Dass der Präsident, der offiziell dementiert, diesen Plan gefasst zu haben, dazu in der Lage wäre – daran zweifelt tatsächlich kaum einer. Über all dies und über die Frage, was bei der morgigen Wahl auf dem Spiel steht, habe ich mir in den vergangenen Tagen viele Gedanken gemacht. Das Ergebnis lesen Sie in diesem Essay. Seit ich 2018 hierhergezogen bin, in das Land und die Stadt, die ich seit einem Studienaufenthalt nicht mehr vergessen konnte, war eigentlich alles auf diesen einen Tag ausgerichtet. Nun waren die letzten Wahlkampfmonate coronabedingt so ganz anders, als ich es erhofft hatte. Aber eben auch einzigartig. Wenn Sie am Mittwochmorgen das nächste Mal von mir hören, ist der Wahltag schon vorbei. Ob wir dann schon ein Ergebnis haben werden? Auch daran gibt es Zweifel.

Morgen meldet sich an dieser Stelle wieder meine Kollegin Anna Sauerbrey aus Pennsylvania, die bei ihren Recherchen in dem womöglich entscheidenden Swing State ständig über irgendein Mitglied des Trump-Clans stolpert. Ich habe fast aufgegeben, all die Trump-Auftritte zu zählen: Es werden täglich mehr. Am Sonntag absolvierte der Präsident gleich fünf Rallyes. Er will es definitiv wissen. Wir allerdings auch.

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