Schwerer Vorwurf: Kosovos Premier soll mit Organen gehandelt haben
Laut eines Berichts des Europarats soll es im Kosovo Ende der 90er Jahre zu organisiertem Organhandel gekommen sein. Besonders schwerwiegend: Kopf der Aktivitätenwar demnach der kosovarische Regierungschef Hashim Thaci.
Die Vorwürfe sind monströs, und doch ist der Sonderberichterstatter des Europarats überzeugt, dass sie stimmen. Dick Marty, ein ehemaliger Schweizer Staatsanwalt, der sich schon mit Enthüllungen zur Existenz von CIA-Geheimgefängnissen einen Namen machte, ist nun Organhändlern im Kosovo auf der Spur. Zwei Jahre hat er akribisch ermittelt. Das Ergebnis liest sich wie die Vorlage zu einem Horrorfilm.
Auf einem Bauernhof im Norden Albaniens sollen Mitglieder der kosovarischen Rebellentruppe UCK 1999 serbischen Gefangenen Organe entnommen haben, die sie dann an die Organmafia verkauften. Die Leichen wurden danach beseitigt. Laut Marty, Chef des Anti-Terror-Ausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, war dies jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Auch im Kosovo selbst habe es ein ganzes Netz an Lagern gegeben, in denen Gefangene einer „unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung“ ausgesetzt gewesen seien, schreibt Marty in seinem Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt. Und: Kopf der Aktivitäten war kein anderer als der gerade wiedergewählte Premierminister des Kosovo, Hashim Thaci.
Thaci führte die UCK im Konflikt mit Serbien 1998/99 und leitete später die Delegation der Kosovoalbaner bei den Friedensverhandlungen. Marty geht davon aus, dass die Machenschaften des heutigen Regierungschefs westlichen Regierungen lange bekannt waren, diese hätten jedoch nach der Intervention der Nato zugunsten der Kosovoalbaner einen Kurs „kurzfristiger Stabilität um jeden Preis verfolgt und dafür rechtsstaatliche Grundsätze preisgegeben“.
Dabei gingen Folterungen und Morde an Serben und vermeintlichen Verrätern aus den eigenen Reihen laut Marty auch nach der Nato-Intervention und dem Einmarsch der Friedenstruppe Kfor im Juni 1999 weiter. 500 Menschen seien danach noch verschwunden. Die Vorwürfe gehörten in den Kontext der Aufarbeitung des Unrechts des Kosovo- Krieges, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. „An dieser Aufarbeitung hat Deutschland ein großes Interesse. Deswegen war es auch eine treibende Kraft bei der Einrichtung des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag.
Martys Recherchen bestätigen Anschuldigungen, die die Ex-Chefanklägerin des Jugoslawientribunals, Carla Del Ponte, 2008 in einem Buch erhoben hatte. Schon 2004 gab es Vorermittlungen des Tribunals, die jedoch nicht zu gerichtsverwertbaren Ergebnissen führten. Marty kritisiert, dass damals keine professionelle Untersuchung angeordnet worden sei. Zeugen seien zudem nur schwer zu Aussagen zu bewegen. Einige seien bereits ermordet worden. Ihm selbst sei es hingegen gelungen, mit sehr vertrauenswürdigen Zeugen zu sprechen, die die Verbrechen bestätigten. Dafür habe er ihnen allerdings absolute Anonymität zusichern müssen.
Dennoch ist Marty überzeugt, genug Beweise für ein offizielles Verfahren gesammelt zu haben. „Die Indizien für eine Verbindung von Kriminalität und Personen in politischer Verantwortung sind zu zahlreich und schwerwiegend, um sie ignorieren zu können“, schreibt er. Thaci wird auch in Berichten des BND als „Schlüsselfigur“ der organisierten Kriminalität im Kosovo bezeichnet. Diese Mafia schreckt offenbar auch heute vor nichts zurück. Marty verweist auf Ermittlungen der EU-Rechtsstaatsmission Eulex in einer Klinik in Pristina. Fünf Personen, darunter Ärzte und ein Beamter des Gesundheitsministeriums, wurden im Oktober von Eulex-Beamten festgenommen, die die Unabhängigkeit des Kosovo überwachen. Der Vorwurf: Organhandel.
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