Annäherung Pjöngjang - Seoul: Koreanisches Tauwetter
Norden und Süden reden erstmals seit zwei Jahren wieder über Annäherung. Pjöngjang wird Wintersportler zu den Olympischen Spielen entsenden. Worum es geht.
Fast zwei Jahre lang machte es sich der Süden zum Ritual, den Norden jeden Tag einmal anzurufen, in der Hoffnung, dass am anderen Ende der Leitung jemand abnimmt. Doch sie blieb stumm. Dann machte am 3. Januar Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un Südkorea ein Gesprächsangebot, auf das der Süden sofort einging.
Nach turbulenten Tagen der Diplomatie haben sich Spitzenvertreter der beiden Koreas am Dienstag im innerkoreanischen Grenzort Panmunjom zu Annäherungs- und Versöhnungsgesprächen getroffen – ein historischer Moment. Die nordkoreanische Delegation überquerte dazu die Grenze innerhalb der Gemeinsamen Sicherheitszone um 9.30 Uhr Ortszeit und ging zu Fuß in das Haus des Friedens, das rund 130 Meter südlich der Grenze liegt.
Während der dreistündigen Morgenrunde war schnell vereinbart, dass Nordkorea seine besten Wintersportathleten inklusive einer hochrangigen Delegation mitsamt Cheerleader-Truppe, Journalisten, Performancekünstlern und einem Taekwondo-Showteam zu den Olympischen Winterspielen entsenden wird, die in einem Monat im südkoreanischen Pyeongchang beginnen. Südkorea will in Absprache mit den Vereinten Nationen Sanktionen lockern, um die Teilnahme der nordkoreanischen Delegation an den Winterspielen zu erleichtern.
Für Südkoreas Präsident Moon Jae In, der das Sportereignis als „Friedensspiele“ bezeichnete, war diese Zusage ein wichtiger Etappensieg. Er ist vom Konfrontationskurs seiner Vorgängerregierung abgerückt und verfolgt eine Politik des Entgegenkommens. Angeführt von Südkoreas Minister für Wiedervereinigung Cho Myoung Gyon und dessen nordkoreanischem Gegenüber Ri Son Gwon sprachen je fünf Vertreter miteinander. Doch auch die Staatschefs waren beteiligt: Südkoreas Präsident Moon über eine Livestream-Videoschaltung und der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un konnte den Ton hören. Beide waren so in der Lage, direkt in die Gespräche einzugreifen, wenn sie Bedarf sahen.
Neujahrsgeschenk
Der nordkoreanische Delegationsleiter Ri äußerte die Hoffnung, den „Menschen ein kostbares Neujahrsgeschenk“ liefern zu können: „Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass eine Reise, die von zwei Personen unternommen wird, länger dauert, als wenn man allein reist“, sagte Ri. Südkoreas Gesandte bemühten sich, auch baldige Familienzusammenführungen sowie Militärgespräche bis hin zu nuklearer Abrüstung zum Thema zu machen. Sichtbar wurde, dass der Norden im Bereich der Sicherheitspolitik auf Zeit zu spielen versucht. Immerhin äußerten die Vertreter Pjöngjangs die Bereitschaft, geopolitische Probleme durch Verhandlungen lösen zu wollen. Beide Seiten einigten sich zunächst, eine direkte militärische Telefonleitung wieder einzurichten, um Zwischenfälle an der Grenze zu vermeiden. Schon ab diesem Mittwoch soll sie funktionsfähig sein.
Am Rande der Olympischen Spiele ist auch ein Treffen von Familien vorgesehen, die durch den Koreakrieg zerrissen wurden. Beim Small Talk vor Gesprächsbeginn überraschte Pjöngjangs Chefgesandter Ri alle Beteiligten, als er sein Gegenüber Cho lächelnd bat, die Medien bei den Gesprächen zuzulassen. Das Interesse daran sei groß. Es wäre wünschenswert, sagte Ri, die „Situation für alle Menschen live auszustrahlen“. Der sichtlich perplexe südkoreanische Delegationsleiter lächelte zwar zurück, schlug den Vorschlag aber aus.
Die USA reagierten zurückhaltend und äußerten Zweifel an den generellen Erfolgsaussichten einer Annäherung auf der koreanischen Halbinsel. Die Gespräche drehten sich „lediglich um die Olympischen Spiele und vielleicht ein paar heimische Angelegenheiten“, sagte Außenamtsprecherin Heather Nauert. US-Präsident Donald Trump hatte dagegen noch in der vergangenen Woche während eines Telefongesprächs mit Moon die Hoffnung geäußert, dass die Gespräche über die Olympischen Spiele hinausführten. „Wenn sich etwas aus diesen Gesprächen ergibt, wäre das eine großartige Sache für die gesamte Menschheit“, sagte Trump damals. Am Wochenende fügte er hinzu, er wäre absolut offen für ein Telefongespräch mit Kim.
Die Spannungen wegen des Atomstreits mit Nordkorea hatten sich im vergangenen Jahr nach zahlreichen Raketentests des Landes und dem bisher stärksten Atomversuch zugespitzt. Insbesondere der verbale Schlagabtausch zwischen US-Präsident Trump und der Führung in Pjöngjang, die den USA eine feindselige Politik vorwirft, hatte Kriegsängste ausgelöst.
Daniel Kestenholz