Terror in Dänemark: Kopenhagen: Attentäter war 22 Jahre jung
Die Polizei hat zwei Verdächtige festgenommen und mehrere Wohnungen durchsucht. Merkel sichert Dänemark derweil Kooperation im Kampf gegen Terrorismus zu.
Nach dem Terrorangriff auf ein Kulturcafé in Kopenhagen und Schüssen vor einer Synagoge haben zahlreiche schwer bewaffnete Polizisten am Sonntag ein in der Nähe gelegenes Internetcafé gestürmt. Der Fernsehsender TV2 berichtete vor Ort, zwei Verdächtige seien festgenommen worden. Ein Polizeisprecher sagte dem Radiosender DR, die Razzia sei Teil der Ermittlungen. Am Sonntag durchsuchte die Polizei mehrere Wohnungen in dem Viertel Nörrebro, in dem sie im Morgengrauen den mutmaßlichen Täter erschossen hatte. Nach Überzeugung der Ermittler handelt es sich um den Mann, der offenbar als Einzeltäter beide Anschläge verübte. Möglicherweise habe ihn der tödliche Anschlag auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" Anfang Januar in Paris beeinflusst.
Die dänische Polizei hat den mutmaßlichen Attentäter identifiziert. Er sei den Ermittlern bekanntgewesen, hieß es bei einer Pressekonferenz am Sonntagmittag. Der mutmaßliche Attentäter von Kopenhagen war der Polizei demnach unter anderem durch Gewaltdelikte und Verstöße gegen das Waffengesetz bekannt. Das teilten die dänischen Ermittler am Sonntagabend mit. Der 22-Jährige sei in Dänemark geboren und im Bandenmilieu aufgefallen. Bei Durchsuchungen in einem Park und in der Wohnung des Mannes im Stadtteil Nørrebro fand die Polizei Kleidungsstücke und eine automatische Waffe, die der Täter beim ersten Anschlag auf ein Café benutzt haben könnte. Technische Untersuchungen sollen das klären.
Als eine Spezialeinheit den Mann am frühen Sonntagmorgen bei seiner Wohnung antraf und tötete, war er laut Mitteilung im Besitz von zwei Pistolen. Zuvor hatte der Täter bei zwei Anschlägen in der dänischen Hauptstadt zwei Menschen erschossen und fünf verletzt.
Der Anschlag gegen das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Januar in Paris könnte den Attentäter nach Einschätzung von PET zu den Taten inspiriert haben. Nichts deute bislang darauf hin, dass der Mann einen Komplizen gehabt habe, sagte Madsen, noch gebe es Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Täter sich als Dschihadist in Syrien oder im Irak aufgehalten habe. Die Ermittler fanden eine Waffe, die die Tatwaffe sein könnte.
Am frühen Sonntagmorgen tötete die Polizei in der dänischen Hauptstadt einen Mann. Er habe nahe des Bahnhofs Nørrebro das Feuer auf die Polizisten eröffnet, diese hätten es erwidert, teilte die Polizei mit. Bei dem getöteten Mann handelt es sich vermutlich um den Attentäter, der für die beiden Angriffe auf ein Cafe und eine Synagoge verantwortlich ist. Das gab die dänische Polizei am Sonntagmorgen nach der Auswertung von Videomaterial aus Überwachungskameras bekannt.
"Wir werden unsere Demokratie verteidigen"
Die Polizei hatte demnach eine Adresse im Stadtteil Nørrebro observiert. Nach einiger Zeit sei eine Person zu dem Haus gekommen, die für die Ermittlungen interessant sein könne, hieß es in einer Mitteilung. Die Polizei habe nach dem Mann gerufen, dieser habe daraufhin geschossen. Er starb, Polizisten wurden nicht getroffen.
Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt brachte ihre Erleichterung zum Ausdruck. „Die Polizei hat nach Lage der Dinge den mutmaßlichen Täter, der hinter beiden Angriffen steckt, neutralisiert“, heißt es einem Statement der Regierungschefin. „Es gibt viele Fragen, die die Polizei noch beantworten muss. Aber es gibt eine Antwort, die wir heute schon geben können. Und die lautet, dass wir unsere Demokratie verteidigen werden.“ Dänemark habe einige Stunden erlebt, die das Land nicht vergessen werde. „Wir wissen nicht, was die Motive für die Attacken waren, aber wir wissen, dass es Kräfte gibt, die Dänemark schaden wollen, die unsere Meinungsfreiheit und unseren Glauben an Freiheit zerstören wollen. Die jüdische Gemeinde ist ein wichtiger Teil von Dänemark. Ihr steht nicht alleine da“, sagte Thorning-Schmidt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kondolierte am Sonntag der dänischen Ministerpräsidentin. Laut einem Regierungssprecher übermittelte Merkel ihr „tief empfundenes Beileid und Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer“. Auch sicherte sie Dänemark „einen weiterhin engen Kontakt bei Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus“ zu.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilte die Tat. „Die Ereignisse in Kopenhagen haben uns erschüttert. Mit großer Trauer habe ich von Toten und Verletzten Kenntnis genommen, die Opfer dieses feigen Anschlags geworden sind. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der Opfer. Ich verurteile diese Anschläge, die sich nach allem was wir bisher wissen gegen die Werte unserer Gesellschaft und gegen unsere Grundüberzeugung wie Meinungs- und Pressefreiheit gerichtet haben, zutiefst", sagte er am Sonntag. Umso wichtiger sei es, dass "wir jetzt als Wertegemeinschaft zusammenstehen". Die Gefährdungslage in Deutschland sei unverändert hoch. Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern gingen dabei jedem Hinweis und jeder Information, die sie erreichten mit größter Sorgfalt nach. Sofern Maßnahmen erforderlich seien, würden diese ergriffen. "Dadurch machen wir deutlich: Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie die Ihre Gegner mit allen zur Verfügung stehenden rechtstaatlichen Mitteln bekämpft."
Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erklärten Nutzer nach Bekanntwerden der Tat ihr Mitgefühl unter dem Hashtag „#iamcopenhagen“. Nach den Anschlägen von Paris zu Beginn des Jahres war „#jesuischarlie“ zu einem der meistgenutzten Hashtags aller Zeiten geworden.
Für „Charlie Hebdo“ sind die Anschläge von Kopenhagen kein Anlass, aus Furcht Selbstzensur zu üben. „Es ist fürchterlich, denn das geschieht jetzt einen Monat nach den Attentaten von Paris, und das lässt die ganze Traurigkeit wieder hochkommen“, sagte der „Charlie-Hebdo“-Chronist Patrick Pelloux. „Diese faschistischen Integristen führen einen Krieg gegen die Kultur.“ Sie versuchten, die Schriftsteller, Zeichner und Filmschaffenden über die Angst auszuschalten.
Zwei Menschen sterben
Am späten Samstagnachmittag hatte ein Unbekannter mit einer automatischen Waffe auf ein Kulturcafé geschossen, in dem eine Veranstaltung mit dem Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks stattfand. Zeugen zufolge feuerte der Angreifer etwa 30 Schuss ab, in den Fenstern waren später zahlreiche Einschusslöcher zu sehen. Die Polizei ging davon aus, dass Vilks Ziel des Anschlags war. Die Regierung sprach von einem Terrorakt. Ein 55-jähriger Mann starb. Die Polizei hatte sein Alter zunächst mit 40 angegeben.
Wenige Stunden später fielen nahe einer Synagoge in der Kopenhagener Innenstadt erneut Schüsse. Nach Polizeiangaben wurde ein junger jüdischer Wachmann am Kopf getroffen und getötet. Er hatte die Menschen kontrolliert, die in die Synagoge zur Feier einer Bar Mitzwa kamen. Zudem erlitten zwei Polizisten Schusswunden an Armen beziehungsweise Beinen. Der Täter sei zu Fuß vom Tatort geflohen, hieß es. Bei dem Getöteten handele es sich um einen jungen jüdischen Mann, sagte der Präsident der jüdischen Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen, dem Fernsehsender TV2 News.
Nach Angaben Asmussens gelang es dem Angreifer nicht, in das Gebäude vorzudringen, wo etwa 80 Menschen versammelt waren. Laut Asmussen hatte die jüdische Gemeinde die Sicherheitsvorkehrungen nach den Terroranschlägen in Paris Anfang Januar verstärkt. „Das ist das, was wir immer befürchtet haben. Und das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, dass es in Dänemark passieren könnte“, sagte Asmussen.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief am Sonntag die Juden in Europa zur Auswanderung in den jüdischen Staat auf. „Juden wurden auf europäischem Boden ermordet, nur weil sie Juden waren“, sagte Netanjahu während einer Kabinettssitzung in Jerusalem. „Diese Terrorwelle wird weitergehen.“ Er wende sich an die Juden in Europa: „Israel ist eure Heimstätte.“ Auf die Anschläge in Paris im Januar, bei denen auch vier Juden getötet worden waren, hatte Netanjahu bereits mit einem ähnlichen Aufruf reagiert.
Die höchst umstrittene dänische Grimhøj-Moschee in Aarhus distanzierte sich scharf von den Terrorangriffen. „Wir sind natürlich gegen jede Art von Gewalt und Terror gegen Unschuldige“, sagte der Vorsitzende der Moschee, Oussama Mohamad El-Saadi, der Zeitung „Jyllands-Posten“. Er sei traurig über die Ereignisse. El-Saadi warnte vor einer pauschalen Verurteilung aller Muslime, falls es sich bei dem Täter um einen Muslim handele. „Wir sollten in dieser Gesellschaft keinen Hass aufeinander schüren“, sagte er. Aus dem Umfeld der Grimhøj-Moschee sollen viele der mutmaßlichen dänischen Dschihadisten stammen, die sich in Syrien und im Irak der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben.
Ermittler veröffentlichten Fahndungsfoto
Fünf Wochen nach dem blutigen Anschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und den anschließenden Terrorattacken in Paris mit insgesamt 20 Toten lösten die Schüsse in Kopenhagen einen Ausnahmezustand aus. Die Polizei riegelte die Innenstadt ab und errichtete Straßensperren. In dem Kulturcafé hatten der Zeichner Vilks und zahlreiche andere Menschen über Kunst, Gotteslästerung und freie Meinung diskutiert.
Eine Zeitung hatte 2007 eine Zeichnung des bekannten Karikaturisten aus Schweden veröffentlicht, die den Propheten Mohammed als Hund darstellte. Daraufhin wurde im Internet von einem Al-Kaida-Ableger im Irak ein Kopfgeld von 150.000 Dollar auf ihn ausgesetzt. Seither war der Künstler bereits mehrfach Ziel von Extremisten, er wird deshalb von Sicherheitskräften bewacht.
Als der Täter das Feuer eröffnete, brachte sich Vilks gemeinsam mit der Mitorganisatorin der Veranstaltung, der Journalistin Helle Merete Brix, in einem Kühlraum in Sicherheit. Der französische Botschafter in Kopenhagen, François Zimeray, und die bekannte Aktivistin Inna Schewtschenko von der Feministinnen-Gruppe Femen waren ebenfalls unter dem Gästen der Veranstaltung. Schewtschenko hatte gerade ihre Rede begonnen, als die Schüsse fielen. Beide blieben unverletzt.
Die Polizei gab nach dem Angriff bekannt, dass sie einen etwa 25 bis 30 Jahre alten Mann arabischen Aussehens sucht. Der Täter flüchtete nach dem ersten Vorfall mit einem dunklen VW Polo. Später wurde der Wagen in Kopenhagen gefunden. Die Ermittler veröffentlichten ein Bild aus einer Überwachungskamera in der Nähe dieser Stelle. Die Aufnahme zeigt einen dunkel gekleideten Mann mit einer roten Mütze.
„Ich habe ein Umkippen der Gesellschaft erlebt“
Der französische Botschafter François Zimeray erlebte den Anschlag auf das Kulturcafé als intensive Augenblicke des Schreckens. „Ich bin mit dem Fahrrad angekommen, also auf dänische Art, und bin in einem gepanzerten Fahrzeug wieder abgefahren“, berichtete Zimeray der Pariser Zeitung „Le Monde“. „Ich habe ein Umkippen der Gesellschaft erlebt.“ Die Schüsse fielen, kurz nachdem Zimeray als Ehrengast gesprochen und die ukrainische Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko das Wort ergriffen hatte. Zimeray spielte am Telefon den Journalisten eine Tonaufnahme vor: 40 bis 50 Schüsse aus einer automatischen Waffe sind zu hören. Sie dauern gut 20 Sekunden - eine gefühlte Ewigkeit.
„Als sie sprach, haben wir plötzlich einen großen Lärm gehört“, berichtete Zimeray der Zeitung „Le Journal du Dimanche“. „Ich habe mir gesagt, dass ein Schrank umgekippt ist oder es sich um einen Knallkörper handelt. Aber nein. Das waren wirklich aufeinanderfolgende Schüsse. Ich habe das nicht glauben können. Das konnte doch nicht wieder losgehen wie in Paris! Doch in wenigen Sekunden war mir klar, dass wir dasselbe erleben wie bei „Charlie Hebdo“.“ Die Schüsse kommen durch die Glastür von außen. Wer kann, wirft sich spontan auf den Boden unter die Tische. Im Raum wird niemand getötet - wohl aber ein Mensch vor dem Café.
„Wir sind alle auf der Erde in Richtung Notausgang gekrochen, während die Schüsse durch die Tür weitergingen“, sagte Zimeray. „Die Polizei spricht von 200 Einschüssen. Erst als ich in den Saal zurückkam, habe ich gesehen, dass es einen Toten gab.“ Botschafter Zimeray wollte den Dänen an dem Abend „für die wunderbare Solidarität mit Frankreich“ nach dem Anschlag auf das Satireblatt „Charlie Hebdo“ im Januar danken. Die Solidarität sei für ihn erstaunlich gewesen, sagt er. Als er die Ereignisse noch am Fernseher verfolgt habe, hätten sich 700 Menschen vor der Botschaft eingefunden - „in der Kälte, gekommen, um Blumensträuße und Kerzen zu bringen, um ihre Unterstützung Frankreichs zu zeigen“.
Westergaard: Anschlag macht mich wütend
Der dänische Zeichner Kurt Westergaard (79) zeigte sich schockiert über den Anschlag. „Das ist ja ganz furchtbar“, sagte er am Samstag. „Vielleicht konnte man es erwarten nach dem, was in Paris geschah, aber es ist doch ganz nah. Mein erstes Gefühl war: Ich wurde ganz wütend.“ Die Mohammed-Karikaturen, die Westergaard für die Zeitung „Jyllands-Posten“ zeichnete, lösten 2005 gewaltsame Proteste in der islamischen Welt aus. Mehrfach waren Westergaard und die Zeitung in den Jahren darauf Ziel von Anschlägen.
Er fühle sich seit dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ mehr bedroht, sagte der 79-Jährige. „Und so ist es auch, glaube ich, mit all meinen Kollegen.“ Bedroht zu werden, sei ein absurder Gedanke. „Journalisten, Zeichner und Karikaturisten arbeiten natürlich weiter“, sagte Westergaard. „Man kann sie nicht verhindern, aber man kann ihnen natürlich drohen, und das macht auch einen sehr tiefen Eindruck.“ Den schwedischen Mohammed-Karikaturisten Lars Vilks, dem die Schüsse in Kopenhagen offensichtlich galten, habe er mehrmals getroffen. „Er ist ein sehr scharfer Karikaturist, und man kann ihn auch nicht stoppen“, sagte Westergaard. (dpa/AFP/Reuters)
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