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In einem völlig überfüllten Gummiboot sind diese Flüchtlingen von der libyschen Küste aufgebrochen.
© Emilio Morettani/dpa

Verdacht gegen Helfer: Kooperation mit Schleppern im Mittelmeer

Ein italienischer Staatsanwalt wirft den Hilfsorganisationen vor, sie würden sich von den kriminellen Schleuserorganisationen bezahlen lassen.

Carmelo Zuccaro, Staatsanwalt in der sizilianischen Stadt Catania, hat sich weit aus dem Fenster gelehnt. Es gebe Hinweise, behauptet er, dass einige Hilfsorganisationen gemeinsame Sache mit den Schleppern im Mittelmeer machten. Der Staatsanwalt stützte seinen Vorwurf auf ein abgehörtes Gespräch zwischen Personen auf dem libyschen Festland und der Besatzung eines privaten Rettungsschiffs. In dem arabisch geführten Dialog habe ein libyscher Schlepper gefragt, ob er die Flüchtlinge trotz der rauen See losschicken könne, worauf die Besatzung des Schiffs geantwortet habe, dass das kein Problem sei. Sie stehe bereit, die Leute aufzunehmen.

Zuccaro unterstellt den privaten Helfern, von den kriminellen Schleppern Geld entgegenzunehmen, um damit die hohen Kosten der Seerettungen zu finanzieren. Anerkannte Organisationen wie „Save the Children“ und „Ärzte ohne Grenzen“ nahm der Ermittler von seinen Vorwürfen aus. In einem Interview mit der Zeitung „La Stampa“ erwähnte er dagegen Hilfsorganisationen wie „Jugend rettet“, „Sea-Eye“, „Sea Watch“, „LifeBoat“ oder die maltesische „Migrant Offshore Aid Station“. Inzwischen werden bis zu 40 Prozent der Migranten, die in Seenot geraten, von privaten Organisationen gerettet. Vor einem Jahr waren es noch fünf Prozent.

"Schändliche Hetzkampagne"

Zuccaro hat mit seiner Aussage eine heftige Kontroverse ausgelöst. Ein Vertreter von „Ärzte ohne Grenzen“ sprach am Dienstag bei einer Anhörung im italienischen Senat von einer „schändlichen Hetzkampagne“ gegen die Helfer. Auch die Mitte-Links-Regierung von Premier Paolo Gentiloni hat auf die Ausführungen Zuccaros verärgert reagiert. Justizminister Andrea Orlando forderte den Staatsanwalt auf, Fakten und Beweise vorzulegen, statt unbewiesene Verdächtigungen zu verbreiten. Auch Ermittler-Kollegen Zuccaros übten Kritik: Es gebe keine Hinweise auf eine Finanzierung der privaten Helfer durch Schlepperbanden, betonten sowohl der Staatsanwalt von Palermo als auch jener von Syrakus in dieser Woche.

Die angeblichen Geschäftsbeziehungen zwischen einigen NGOs und den Schleppern sind freilich nicht der Kern des Problems. Die Kritik an den privaten Rettern ist eine grundsätzliche: Weil ihre Schiffe meistens nur wenige Seemeilen vor der libyschen Küste operieren, stelle ihre Tätigkeit für die Schlepper einen Anreiz dar, noch mehr Menschen auf die Boote zu pferchen – die Flüchtlinge würden im Fall einer Havarie ja ohnehin gerettet. Tatsächlich füllen die Schlepper oft nur gerade soviel Treibstoff in die Tanks der Flüchtlingsboote, dass sie die 12-Meilen-Zone Libyens überwinden – wo dann die Retter warten. Für Notfälle erhalten die Migranten die Rufnummern der italienischen Küstenwache oder von privaten Rettungsschiffen auf den Weg.

Zahl der Toten steigt an

Der Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer, Luigi Di Maio von Beppe Grillos Protestbewegung, hat sarkastisch von einem „Taxidienst im Mittelmeer“ gesprochen und klare Einsatzregeln für die privaten Helfer verlangt. Insbesondere müssten diese sich von der libyschen Küste zurückziehen. Inzwischen erwägt die italienische Regierung, „unkooperativen“ Hilfsorganisationen künftig das Anlegen in den Häfen zu verweigern, wie das Malta schon lange macht. Auch in Italien sieht man immer weniger ein, warum die unter ausländischen Flaggen fahrenden NGO-Schiffe die Flüchtlinge immer nach Italien bringen und nicht, zum Beispiel, auch mal nach Frankreich oder Deutschland.

Auch Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz äußerte sich bereits kritisch: „Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden“, sagte der ÖVP-Politiker im März bei einem Besuch auf Malta. Kurz und andere argumentieren, dass durch die privaten Rettungseinsätze nicht weniger, sondern mehr Flüchtlinge ums Leben kämen. Tatsächlich ist die Zahl der Toten in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Starben im Jahr 2014 noch 3500 Flüchtlinge auf der gefährlichen Überfahrt von Afrika nach Europa, waren es 2015 schon 3771 und im vergangenen Jahr, als die Einsätze der privaten Retter stark zunahmen, über 5000.

Ein europäisches Programm fehlt

Die Hilfswerke sind freilich überzeugt davon, dass die Zahl der Toten ohne ihren Einsatz noch weit höher gelegen hätte. „Als Italien 2014 die Aktion ,Mare Nostrum' beendete, wurde sie von den europäischen Behörden nicht durch ein gleichwertiges Programm ersetzt, und die Zahl der Toten stieg an“, betont der Direktor der italienischen Abteilung der „Ärzte ohne Grenzen“, Gabriele Eminente. „Wenn wir nicht wären – wer würde dann diese vielen Menschen retten?“, fragt er. Dominik Straub

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