Nach dem Vorstoß von Daniel Günther: Können CDU und Linke wirklich koalieren?
Nach den nächsten Landtagswahlen könnten Regierungsbildungen deutlich schwieriger werden. Wie notwendig sind Bündnisse von CDU und Linken? Fragen und Antworten zum Thema.
Koalitionen zwischen CDU und Linken in Ostdeutschland: Mit diesem Gedankenspiel hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) die halbe Union gegen sich aufgebracht. Die Empörung ändert aber nichts daran, dass die Regierungsbildung in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nach den Wahlen im kommenden Jahr enorm schwierig werden könnte - vor allem der erstarkenden AfD wegen. Die Rechtspopulisten legen in allen fünf neuen Bundesländern deutlich zu und kommen einer Forsa-Umfrage zufolge nun mit 20 Prozent auf Platz zwei in Ostdeutschland. Einen Vorgeschmack auf die Folgen gibt es seit 2016 in Sachsen-Anhalt. Dort war die AfD zweitstärkste Kraft geworden. CDU, SPD und Grüne wurden deshalb in eine Kenia-Koalition gezwungen, die seither als Regierung in der Dauerkrise gilt.
Wie sehen die Umfragen aus?
Wenn Linke und AfD zusammen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, wird es richtig schwierig. Dann muss entweder eine der beiden Parteien direkt als Partner einer Koalition oder indirekt als Unterstützerin einer Minderheitsregierung gewonnen werden. In den Umfragen sind AfD und Linke von solchen Ergebnissen noch ein gutes Stück entfernt. Dennoch könnte die Regierungsbildung etwa in Sachsen kompliziert werden. Laut einer INSA-Umfrage von Juni würde die CDU dort zwar noch stärkste Kraft, Platz zwei und drei gingen aber an AfD und Linke. Die SPD käme nur auf neun Prozent. FDP und Grüne zögen knapp in den Landtag ein. Würde dieses Stimmungsbild Realität, gäbe es weder eine Mehrheit für Schwarz-Rot, noch für eine Kenia-Koalition oder Schwarz-Rot-Gelb. Ein Viererbündnis müsste her, um die Linke aus der Regierung zu halten.
In Thüringen zeigen die Umfragen ein ähnliches Bild – nur dass die Linke an zweiter und die AfD an dritter Stelle stünde. Die amtierende rot-rot-grüne Koalition hätte keine Mehrheit mehr. Eine Koalition aus CDU und Linken wäre in Sachsen und Thüringen die einzige Option, um ein Zweierbündnis zu erreichen, an dem die AfD nicht beteiligt ist.
In Brandenburg ist zumindest die Lage der SPD deutlich besser – sie liegt in einer Umfrage von April gleich auf mit der CDU bei 23 Prozent. Würden beide Parteien noch etwas zulegen, könnte es für eine große Koalition reichen, für eine Fortsetzung von Rot-Rot wohl aber nicht.
Warum sind weite Teile der CDU so empört über Günthers Vorstoß?
Die CDU ist in der Ära Merkel einen weiten Weg gegangen. Abschied vom traditionellen Familienbild, Blitz-Ausstieg aus der Kernenergie, Aussetzung der Wehrpflicht – das alles hat die ehemals konservative Partei mehrheitsfähig gehalten, aber aus Sicht der Merkel-Kritiker auch recht beliebig gemacht. Viele sehen im Mitte-Kurs der Vorsitzenden die Voraussetzung dafür, dass die AfD seit dem Flüchtlingsjahr 2015 zu einer echten Bedrohung für die Union werden könnte. Wenn nun einer der entschiedensten Unterstützer Merkels unter den CDU-Ministerpräsidenten eine Regierungskooperation mit der Linkspartei ins Gespräch bringt, dann stellt er damit eine der letzten Gewissheiten der CDU infrage. Wenn nicht einmal mehr die Absage an die Nachfolgepartei der SED gilt, wofür steht die Union dann noch – außer für den reinen Machterhalt? Zudem fürchten die Günther-Kritiker um die Glaubwürdigkeit der Union. Schließlich hatten CDU und CSU jahrelang mit „Rote-Socken“- Kampagnen Stimmung gemacht gegen rot-rote Regierungsbündnisse in den neuen Ländern. Und noch etwas führen die Gegner der Annäherung ins Feld: Wenn sich die CDU jetzt zur Linken öffnet, ebnet sie die Unterschiede zwischen den Parteien weiter ein und macht damit die AfD erst recht stark – als vermeintlich einzige Alternative zu einem All-Parteien-Konsortium.
Brandenburgs CDU-Vorsitzender Ingo Senftleben wirbt für einen differenzierten Blick. „Daniel Günther hat etwas ausgesprochen, was viele Menschen in Ostdeutschland bewegt“, sagte Senftleben dem Tagesspiegel. Er habe durchaus Verständnis für die kritischen Reaktionen. „Das Wiederholen alter Vorurteile“ helfe aber nicht nicht weiter. „Das gilt für beide Richtungen.“ Senftleben selbst war der erste führende CDU-Politiker, der vor einigen Monaten den Stein ins Wasser geworfen und sich offen für ein CDU- Linke-Bündnis nach der Brandenburg- Wahl im nächsten Jahr gezeigt hatte. Er hatte angekündigt, nach einem CDU-Wahlsieg mit Linken und der AfD reden zu wollen, wobei er ein Bündnis mit der AfD ausschloss.
Was plant die AfD?
Die Rechtspopulisten setzen in den östlichen Bundesländern darauf, dass sie selbst so stark werden, dass die Regierungsbildung ohne sie schwierig wird. Der AfD-Vize in Sachsen, Siegbert Droese, erklärte im Gespräch mit dem Tagesspiegel Anfang dieses Jahres, dass man „die SPD mit sozialen Themen schwach machen“ wolle. Auch der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke hat schon oft gesagt, dass die AfD der politischen Linken die „soziale Frage“ abjagen solle. Die AfD spekuliert außerdem darauf, dass Grüne und FDP den Einzug in die Landesparlamente verpassen. Auch wenn es dann nicht zu einer Regierungsbeteiligung der AfD kommt, glauben die Strategen in der Partei, dass ihr nützen würde, wenn sich die CDU in einem Bündnis etwa mit der Linkspartei weiter nach links bewegt.
Haben CDU-Linke-Koalitionen eine Chance?
Der Parteienforscher Gero Neugebauer sieht gute Chancen für zukünftige ostdeutsche Koalitionen aus CDU und Linken. „Die Mehrheitsverhältnisse könnten sich durchaus so entwickeln“, sagt er. Auch gebe es heute keine unüberbrückbaren ideologischen Gräben zwischen den beiden Parteien mehr. In der Linken seien die alten SED-Kader ausgestorben, die Union im Osten sei „linker als die Gesamt-CDU“. Er sieht deshalb „keine unmittelbaren Hindernisse“, die Schwarz- Dunkelrot im Osten ausschließen würden. Anders als auf Bundesebene könnten sich CDU und Linke auch thematisch einigen, sagt Neugebauer. Schwierige Streitthemen wie etwa der von Linken gewünschte Nato-Ausstieg kämen auf Landesebene schlicht nicht vor.
Der katholische Publizist und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann stellt aber klar: „Die Linkspartei wäre in den ostdeutschen Bundesländern für die CDU nur der Notnagel, das kleinere Übel sozusagen, wenn sonst nur eine Zusammenarbeit mit der AfD möglich wäre.“ Für den Bund oder für die westdeutschen Bundesländer komme so ein Bündnis nicht in Frage.
Dennoch müsse die Diskussion über bislang unübliche Koalitionen geführt werden, meint der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder. Er erwartet, dass AfD und Linke zukünftig in manchen ostdeutschen Ländern gemeinsam mehr als 40 Prozent erreichen können. Bei der Suche nach Koalitionen führe dann an einer der beiden Parteien kein Weg mehr vorbei.
Wie regierungsfähig ist die Linke?
In Brandenburg, Berlin und Thüringen regiert die Linke bereits – und betreibe dort längst „Realpolitik“, meint Schroeder. Auf die Regierungsverantwortung der Linken in den Ländern verweist auch Senftleben. Laut Schroeder stellt sich eher für die Union die Frage, ob sie mit den Linken koalieren wolle. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sei das durchaus vorstellbar, meint Schroeder. Anders in Sachsen: Dort konkurriert die CDU mit der AfD um Platz eins in den Umfragen. Die sächsischen Konservativen stehen traditionell ein Stück weiter rechts als der Rest der Union.
In Sachsen müsse sich die CDU wohl bald überlegen, ob sie mit den Rechtspopulisten eine Regierung bilden wollen, sagt Schroeder voraus. Eine AfD-CDU-Regierung „wäre allerdings tödlich für die CDU.“ Zugleich sieht der Politikwissenschaftler keine Chance, dass CDU und Linke in Dresden gemeinsam auf der Regierungsbank Platz nehmen: „Die sächsische CDU kann nicht mir den Linken.“
Was halten die Linken von einer Koalition mit der CDU?
„Das passt einfach nicht zusammen“, sagte Linken-Chefin Katja Kipping im April. Auch Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte sagt jetzt nein: „Die CDU steht für Sozialabbau und die Linke für einen starken Sozialstaat. Und da die Linke Überzeugungen hat, geht es schwerlich zusammen.“ Deutlicher noch wird die Linke in Sachsen: „Es ist allgemein bekannt, dass die sächsische Union eine absolute Rechtsaußen-Position unter allen CDU-Landesverbänden einnimmt“, sagt ihr Fraktionschef Rico Gebhardt. „Beachtlich“ seien hingehen die Schnittmengen zwischen CDU und AfD im Dresdner Landtag.
Spannend könnte die Diskussion werden, wenn AfD und Linke bei einer Landtagswahl gemeinsam mehr Sitze holen als alle Fraktionen zusammen – was vor allem in den Ost-Bundesländern nicht ausgeschlossen ist.
Thüringens Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow weicht der Frage aus, wofür sie in diesem Fall plädieren würde – und erklärt den erfolgreichen Kampf um die Fortführung von Rot-Rot-Grün unter Führung von des Linken-Politikers Bodo Ramelow für realistisch. Wünscht sie sich nicht ein entspanntes Verhältnis zwischen CDU und Linkspartei? Hennig-Wellsow sagt dazu: „Wünschenswert mag vieles sein. Aber ich orientiere mich an dem, was realistisch und politisch möglich ist.“
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