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Tarifdebatte: Kompromiss nach dem Kompromiss

Über die Mindestlöhne wird in der Koalition noch mal verhandelt – und die Tarifautonomie hat Vorrang. Reichlich Gesprächsbedarf mit Wirtschaftsverbänden und Abeitnehmervertretern ist auch schon gewiss.

Berlin - Der Beifall für die Kanzlerin ist ein bisschen dünne, aber das mag daran liegen, dass der Großteil des Publikums beim Jahrestreffen des CDU-Wirtschaftsrats den jüngsten Streit über den Mindestlohn nicht so genau kennt. „Unser Grundsatz wird sein: Die Tarifautonomie hat Vorrang“, sagt Angela Merkel. Und zwar eine „funktionierende, weite Tarifautonomie“. Das klingt wie ein Allgemeinplatz. Es ist aber die Absage an ein zentrales Element der Mindestlohn-Gesetzentwürfe, die Merkels eigener Amtschef Thomas de Maiziere mit Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) ausgehandelt hatte.

Der Zank versetzt Regierung wie Fraktionen und Verbände in Aufregung. Öffentlich stellt er sich so dar, dass Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) den bockigen Teil seines fränkischen Temperaments vorzeigt. Das Vorhaben finde nicht seine „Billigung“, sagt der CSU- Mann und droht mit Blockade: „Ich bin überzeugt, wenn wir erneut in Verhandlungen treten, wird es zu diesem Punkt eine Lösung geben – oder dieses Gesetz wird so nicht kommen.“

Zu dem Zeitpunkt wusste Glos freilich schon, dass neu verhandelt wird. Merkel und die ihren waren aufgeschreckt worden durch Proteste nicht nur aus dem Hause Glos und aus Wirtschaftsverbänden, sondern auch aus dem Wirtschafts- wie – bemerkenswert genug – dem Arbeitnehmerflügel der eigenen Fraktion. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) hatte schon am Montag bei einem internen Treffen mit Arbeitgeber-Funktionären zugesichert, dass der Kompromiss von Scholz und de Maiziere so keinen Bestand haben werde.

Als nicht akzeptabel gilt der CDU- Spitze und Glos vor allem eine Passage im Entwurf des Mindestarbeitsbedingungengesetzes, die nach Ablauf der alten Tarifverträge in spätestens zwei Jahren die Tariffreiheit für ganze Branchen außer Kraft setzen könnte. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt spricht von einem „massiven Eingriff in die Tarifautonomie“. Da solle „der Staat gesetzlich ermächtigt werden, künftig vereinbarte Tarifverträge per Rechtsverordnung außer Kraft setzen zu können“. Das sei nicht hinnehmbar. Dass Merkel das genauso sieht, ist in ihrem Hinweis auf den Vorrang der Tarifautonomie versteckt.

Einen zweiten Streitpunkt sehen CDU-Führungsleute hingegen etwas gelassener. Das neue Entsendegesetz soll es dem Staat ermöglichen, Dumping-Tarifverträge von Kleinstgewerkschaften beiseite zu schieben. Dieser Passus richte sich „im Klartext gegen die christlichen Gewerkschaften“, die etwa in der Zeitarbeit niedrigere Löhne ausgehandelt haben, heißt es bei den Arbeitgebern. Offenbar wolle der Sozialdemokrat Scholz allen bestimmte Verträge „aufs Auge drücken“. Das werde in der Praxis aber so nicht geschehen, hält ein CDU- Spitzenmann dagegen. Die Union als Regierungspartei könne darüber bestimmen, ob es für eine Branche überhaupt einen Mindestlohn geben solle. „Das ist also mehr ein theoretisches Problem“, sagt ein Christdemokrat. Das Wirtschaftsministerium will allerdings auf Nummer Sicher gehen und durchsetzen, dass die Frage, welcher von zwei oder mehr konkurrierenden Tarifverträgen für allgemeinverbindlich erklärt wird, förmlich vom ganzen Kabinett entschieden werden muss. „Dann hat man zumindest noch einen Fuß in der Tür“, heißt es im Hause Glos.

Gesprochen werden soll jetzt jedenfalls noch mal, auch zwischen den Hauptstreithähnen in der Regierung. „Wir haben die schriftliche Zusage vom Kanzleramt, dass man über strittige Fragen noch redet“, heißt es im Wirtschaftsministerium. Bis zum 24. Juni, kommenden Dienstag also, soll das Ministerium seine Stellungnahme zu den zwei Gesetzentwürfen abgeben. Ob das reicht, sie wie geplant vor der Sommerpause durchs Kabinett zu bringen, ist ungewiss.

In der Sache scheint immerhin Einigung möglich, zumal auch Scholz Gesprächsbereitschaft signalisiert hat. Atmosphärisch ist der Vorgang schwieriger zu bereinigen. In Glos’ Ministerium kursiert schon ein Papier, das mit Datum versehen nachweisen soll, wie das Haus von de Maiziere in der Schlussphase der Verhandlungen ignoriert worden sei. Das Kanzleramt habe offenbar das heikle Thema Mindestlohn „so geräuschlos wie möglich“ abräumen wollen. Doch nun habe man das Gefühl, de Maizière habe zumindest nachträglich „ein schlechtes Gewissen“.

Da mag der Wunsch der Vater der Wahrnehmung sein. Aber ob mit, ob ohne Reumut, de Maiziere muss nachbessern. Bei den Areitgebern sehen sie es mit Genugtuung. Schon möglich, dass der Kanzlerin an einer zügigen Einigung gelegen habe, heißt es dort. Aber keinesfalls an so einer.

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