USA stürzen von der Fiskalklippe: Kompromiss im US-Etatstreit - Zustimmung im Abgeordnetenhaus offen
Drama pur am Neujahrstag: Erst stürzen die USA von der Fiskalklippe. Dann kommt ein Kompromiss im Haushaltsstreit, den der Senat billigt. Nun kommt es auf das Abgeordnetenhaus mit der republikanischen Mehrheit an. Und die Republikaner taktieren und zeigen Muskeln.
Erleichterung in Washington: Nach wochenlangem erbitterten Streit über die künftige Haushaltspolitik der USA ist der Weg für einen Kompromiss frei und ein drohender Konjunktureinbruch in der weltgrößten Volkswirtschaft wohl abgewendet. Demokraten und Republikaner einigten sich am Dienstag buchstäblich auf den letzten Drücker auf den Kompromiss. Der Senat beschloss mit klarer Mehrheit von 89 gegen acht Stimmen den Plan, den der demokratische Vize-Präsidenten Joe Biden und dem Republikaner Mitch McConnell ausgehandelt hatten. Allerdings zeichnete sich im Abgeordnetenhaus, das von den Republikanern beherrscht wird, eine wohl taktisch motivierte Hängepartie ab. Die Abgeordneten wollten am Neujahrstag zwar um 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit Beratungen aufnehmen, eine Abstimmung setzten sie aber zunächst nicht an. Um die Vorlage abzusegnen, müssen knapp 30 Konservative mit den Demokraten stimmen. Das Paket tritt erst in Kraft, wenn Senat und Abgeordnetenhaus eine identische Fassung beschlossen haben. Unter den republikanischen Abgeordneten gibt es teils massiven Widerstand gegen jegliche Steuererhöhungen. Unter anderem sprach sich der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, gegen den Kompromiss aus. „Ich unterstütze diesen Text nicht“, sagte Cantor am Dienstag nach Angaben seines Parteifreundes Tim Huelskamp bei einem Treffen der republikanischen Abgeordneten in Washington. „Dies bedeutet eine Verletzung der konservativen Grundsätze.“ Auch mehrere andere Republikaner sprachen sich gegen den Kompromiss aus. Wie sich die Republikaner weiter taktisch verhalten werden und wann und ob es zu einer Abstimmung kommen wird, war am späten Dienstagabend europäischer Zeit unklar, die Fraktionen des Abgeordnetenhauses trafen sich zu internen Beratungen.
Der jetzt vereinbarte Plan schütze 98 Prozent der Amerikaner und 97 Prozent der kleiner Unternehmer vor Steuererhöhungen, sagte US-Präsident Barack Obama nach der Abstimmung in der kleineren Kongresskammer. Mit dem Kompromiss sollen eben Steuererleichterungen für die Mittelschicht verlängert werden. Erhöht wird der Höchststeuersatz für Spitzenverdiener, wie Präsident Barack Obama gefordert hatte, und zwar von 35 auf 39,6 Prozent. Er greift aber erst ab einem Jahresverdienst von 400 000 Dollar für Singles und 450 000 Dollar für Ehepaare. Das verbuchen die Republikaner als Erfolg.
Es bleibt bei der Anhebung des Steuersatzes auf Kapitaleinkünfte von 15 auf 20 Prozent. Auch bei der Erbschaftsteuer auf Immobilienbesitz erreichten die Konservativen Zugeständnisse. Sie soll erst ab einem Wert von fünf Millionen Dollar für Alleinstehende und zehn Millionen Dollar für Ehepaare anfallen und ist zudem mit einem Inflationsausgleich kombiniert, so dass im Jahr 2020 selbst die Vererbung von Immobilienwerten von 15 Millionen Dollar steuerfrei bleiben wird. Der Steuersatz auf diese Erbschaften steigt von 35 auf 40 Prozent. Kommentatoren bewerten diese Anhebungen als historische Wende, auch wenn sie so begrenzt ausfallen. Damit würden zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten Steuersätze in den USA erhöht.
Parallel wird die Arbeitslosenhilfe für ein Jahr verlängert; davon sind zwei Millionen Haushalte betroffen. Das kostet 30 Milliarden Dollar, die durch keine Einsparungen gegenfinanziert werden, wie das die Republikaner gefordert hatten. Auch die steuerliche Förderung von Studienkrediten bleibt im alten Umfang erhalten. Die automatischen Etatkürzungen von insgesamt 110 Milliarden Dollar werden für zwei Monate ausgesetzt. Die künstliche Ermäßigung der Sozialabgaben für die Rentenkassen um zwei Prozentpunkte, die in der Finanzkrise zur Entlastung der Unternehmen eingeführt worden war, läuft aus. Der Satz steigt wieder auf 6,2 Prozent des sozialabgabepflichtigen Lohnanteils. Insgesamt, rechneten Experten vor, hat der Kompromiss einen Umfang von 600 Milliarden Dollar (knapp 454 Milliarden Euro).
Ursprünglich hatte der Kongress wegen der hohen Verschuldung der USA beschlossen, dass die Steuerermäßigungen aus der Bush-Zeit für alle Einkommensklassen auslaufen und der Staat in den meisten Feldern die Ausgaben senkt. Diese Maßnahmen sollten zum 1. Januar in Kraft treten und hätten der Volkswirtschaft in der Summe 500 bis 600 Milliarden Dollar an Kaufkraft entzogen. Ökonomen befürchteten einen negativen Effekt auf das Wirtschaftswachstum von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Kritiker der Einigung bemängeln, dass nun die Schulden ungebremst weiter steigen. Sie betragen mehr als 16 Billionen Dollar.
Die Fraktionsführungen teilten mit, der Kompromiss müsse erst einmal begutachtet werden. Ursprünglich gab es Überlegungen, noch vor Öffnung der Börsen am Mittwoch zu einem Ergebnis zu kommen und abzustimmen. Grundsätzlich sei aber auch ein Votum an diesem Mittwoch oder Donnerstag möglich, hieß es.
Da der Kompromiss eben nicht vor Mitternacht vom Kongress verabschiedet wurde, sind die USA nun zumindest kurzfristig von der sogenannten Fiskalklippe gestürzt. Das heißt, es traten planmäßig Steuererhöhungen für alle und massive Ausgabenkürzungen nach dem Rasenmäher-Prinzip querbeet durch den Haushalt in Kraft.
Obama zeigte sich, nachdem nun ein Kompromiss gefunden wurde, aber zufrieden. Um das enorme Haushaltsdefizit des Landes zu reduzieren, sei noch viel zu tun, fügte er hinzu. Die Vereinbarung stelle sicher, dass dies durch eine „Kombination von Ausgabenreduzierungen und Einnahmesteigerungen“ geschehe. Die automatischen Einsparungen unter anderem im milliardenschweren Verteidigungsetat sollen nun ausgesetzt werden, um Zeit für ein durchdachtes Sparprogramm zu gewinnen. Die dadurch verlorenen Kürzungen sollen später aufgeholt werden.
Allerdings zeichnete sich ein neues heftiges Tauziehen um diese künftigen Sparmaßnahmen ab. Wie US-Finanzminister Timothy Geithner dem Kongress bereits ins Stammbuch geschrieben hatte, haben die USA zum Jahresende ihre Schuldenobergrenze von 16,4 Billionen Dollar erreicht. Damit beginnen laut Geithner nun Haushaltsumschichtungen, damit das Land zumindest zwei Monate lang zahlungsfähig bleiben.
Dies bedeutet wiederum, dass der Kongress die Schuldengrenze spätestens Ende Februar oder Anfang März erhöhen muss - genau dann, wenn auch dem Kompromiss zufolge das erst einmal vertagte umfassende Sparprogramm zum Defizitabbau neu festgezurrt werden soll. Republikaner wie Senator John McCain haben bereits klargemacht, dass sie die Erhöhung des Schuldenlimits als Gelegenheit nutzen wollen, ihre Sparvorstellungen durchzudrücken. McCain sprach am Montag sogar von einem bevorstehenden Showdown, der noch heftiger sein werde als der derzeitige Haushaltsstreit. (mit dpa)