Große Koalition und Digitalisierung: Kommt jetzt der Aufbruch nach Neuland?
Ein Ausweis als Gesundheits- und Fahrkarte, eine Netzallianz und mehr Ressourcen für Cybersicherheit, ein Pakt für Schulen: Was die Groko-Verhandler zum Thema Digitalisierung planen.
Den ersten Platz belegt Deutschland nie. Zahlreiche Studien zeigen, wie schlecht die Bundesrepublik in Sachen Digitalisierung abschneidet: Platz 28 von 32 bei der Verfügbarkeit von schnellem Internet im OECD-Vergleich. Platz 20 von 28 EU-Mitgliedstaaten beim Angebot von digitaler Verwaltung. Platz 17 beim Digitalisierungs-Indikator des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI und damit weit abgeschlagen hinter anderen Industrienationen wie Großbritannien oder den USA.
Aber das soll sich mit der neuen Großen Koalition ändern, wie nicht nur ein zehn Kapitel umfassender Entwurf zur Digitalstrategie für die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD zeigt. Am Donnerstagabend beschlossen die Verhandler noch einen weiteren Digitalpakt. Kommt jetzt der Aufbruch nach Neuland?
Wie weit ist Deutschland auf dem Weg zum „Smart Country“?
In Ländern wie Estland ist es längst üblich, dass alle Verwaltungsangelegenheiten online geregelt werden können. Das soll nun auch in Deutschland einfacher werden mithilfe eines Bürgerportals, das „den einfachen, sicheren und auch mobilen Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen“ ermöglichen soll. Über ein „Bürgerkonto“ sollen Nutzer sehen, welche Daten beim Staat vorliegen und welche Behörde darauf Zugriff genommen hat. Dafür werden 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Statt vieler einzelner Karten wird es künftig womöglich nur noch eine einzige im Portemonnaie geben: den elektronische Personalausweis. Er soll zu einem „universellen, sicheren und mobil einsetzbaren Authentifizierungsmedium“ werden, das „im Gesundheitswesen, im öffentlichen Fern- und Nahverkehr wie auch anderen öffentlichen Stellen akzeptiert wird“, heißt es in dem Entwurf.
Wie schnell soll das Netz werden?
Die letzte Groko hatte allen Nutzern bis zum Jahr 2018 50 Mbit/s versprochen – und war daran gescheitert. Nun sollen bis 2025 „Gigabitnetze“ gebaut werden. Zehn bis zwölf Milliarden Euro will die Regierung dafür in die Hand nehmen. Der Rest soll mit einer Netzallianz vereinbart werden. Die Telekommunikationsunternehmen sind auch durchaus bereit, erklärte Telefónica-Next-Chef Nicolaus Gollwitzer am Mittwochabend bei der von Tagesspiegel und Telefónica veranstalteten Data Debate in Berlin. Dafür solle der Staat aber auch auf die Lizenzgebühren verzichten. Es könne schließlich nicht verlangt werden, dass die Lizenzen für Milliardenbeträge erworben werden müssten, die Konzerne dazu aber auch die Infrastruktur in weniger urbanen Bereichen ausbauen sollten.
Empfangslöcher im Mobilfunkbereich sollen durch eine 5G-Strategie geschlossen werden. Deutschland soll hier endlich die Nummer eins, nämlich „Leitmarkt und das erste Land in Europa mit einem 5G-Netz werden“. Um die Funklöcher künftig besser ausmachen zu können, soll die Bundesnetzagentur zudem eine Meldeapp für Funklöcher zur Verfügung stellen.
Was ist in digitaler Bildung geplant?
„Wir wollen, dass kein Studierender mehr ohne Grundkompetenz in Datenanalyse und Programmierung die Hochschule verlässt“, heißt es in dem Papier von Union und SPD. Doch allein Akademiker für die Zukunft fit zu machen, reicht nicht. Auch Hauptschüler werden angesichts der zunehmenden Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche künftig kaum ohne digitale Fähigkeiten auskommen.
Bildung liegt in der Kompetenz der Länder, mit ihnen soll deshalb „kurzfristig“ ein so genannter „Digital-Pakt#D“ abgeschlossen werden. Bis 2021 sollen alle Schulen ans Glasfasernetz angebunden und umfassend digital ausgestattet, Lehrer und Berufsschullehrer digital fort- und weitergebildet werden. Eine nationale Bildungsplattform ist geplant, für Senioren sollen eLearning- und weitere digitale Bildungsangebote gestärkt werden.
Am Donnerstagabend gingen Union und SPD in diesem Punkt noch über das Ergebnis der Sondierung hinaus. Die Verhandler verständigten sich darauf, dass Kooperationsverbot in der Bildung per Grundgesetzänderung aufzuheben. Sie wollen die Einschränkung streichen, dass der Bund Geld nur an finanzschwache Kommunen geben darf, wie SPD-Vize Manuela Schwesig am späten Abend mitteilte. Dadurch sei eine direkte finanzielle Unterstützung bei der Digitalisierung der Schulen und beim Ausbau der Ganztagsschulen möglich.
Schwesig zufolge soll es einen Digitalpakt für Schulen mit einem Volumen von fünf Milliarden Euro geben. Dieser ist in dem Finanzrahmen von zusätzlichen 46 Milliarden Euro nicht vorgesehen, auf den man sich in den Sondierungen geeinigt hatte. "Wir waren uns einig, dass wir diese zusätzlichen Mittel noch stemmen müssen, weil es wichtig ist, unsere Schulen ins 21. Jahrhundert zu holen", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin. Die Zustimmung der Union gilt als sicher: Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hatte zuvor betont, dass sie einen größeren finanziellen Spielraum sehe und Mehreinnahmen des Bundes unter anderem in Digitalisierung fließen solle.
Welche Zukunftstechnologien werden gefördert?
„Wir brauchen eine Bildungs- und Forschungsinitiative in allen Digitalisierungsfeldern“, heißt es im Sondierungspapier allgemein. Genannt werden unter anderem Cybersicherheit, Datenanalyse, Quanten-Computing und Künstliche Intelligenz. Chinas Regierung will das Land bis 2025 zum führenden Standort für Künstliche Intelligenz (KI) ausbauen. Die neue deutsche Regierung will mit einem Masterplan KI dagegen halten und gemeinsam mit Frankreich ein Zentrum für KI aufbauen. Auch die Forschungsfelder Robotik oder Quanten-Computing sollen gefördert werden.
Das Trendthema Blockchain könnte auch Einzug in den Koalitionsvertrag halten. So ist angedacht, dass die Bundesregierung die Technologie hinter dem Bitcoin in Pilotprojekten selbst im Zuge der Digitalisierung der Verwaltung testet. Diese Erfahrungen sollen auch genutzt werden, um einen Rechtsrahmen für den Einsatz von Blockchain-Technologien zu schaffen.
Wie wird Datensicherheit gestärkt?
Cybersicherheit soll ein Schwerpunkt der neuen High-Tech-Strategie werden. Dafür soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gestärkt werden. Dabei ringen die Parteien aber noch um Details. So will die SPD eine „vollständig präventive“ Rolle festschreiben. Auch beim Umgang mit Sicherheitslücken möchten die Sozialdemokraten gern festschreiben, dass staatliche Stellen verpflichtet werden, diese zu melden und die Nutzung solcher Einfallstore nicht zu fördern.
Hintergrund: Der Innenminister hatte 2017 die neue Behörde Zitis gegründet, die auch Überwachungssoftware für staatliche Stellen entwickeln soll. Dabei können auch Sicherheitslücken auf dem Schwarzmarkt aufgekauft werden. Diese Praxis ist umstritten. Denn wenn sich Staaten an diesem Handel beteiligen, sorgen sie dafür, dass Lücken auch für Kriminelle offen bleiben.
Wie wird die Digitalwirtschaft gefördert?
Die Gründung von Startups soll einfacher und die Bürokratie für junge Unternehmen reduziert werden. Zudem könnte analog zur Familienpflegezeit eine Gründerzeit eingeführt werden. Auch der Zugang zu Kapital soll durch einen sogenannten Tech Growth Fund verbessert werden, der Startups Kredite zur Verfügung stellt. Außerdem soll dafür gesorgt werden, dass mehr Geld von institutionellen Anlegern in Startups fließt.
Aber auch etablierte Unternehmen sollen beim digitalen Wandel unterstützt werden. Die Arbeitsgruppe Wirtschaft schlägt ein „Digi-Afa“ vor – dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, Investitionen in Digitalisierung steuerlich abzuschreiben .
Wird es ein Digitalministerium geben?
Federführend für den Telekommunikationssektor ist bislang das SPD-geführte Wirtschaftsministerium, allein der Ausbau des Breitbandnetzes ist Sache des Verkehrsministeriums unter Alexander Dobrindt (CSU). Dieses wollen die Unionsparteien nun aber zum „Superministerium“ für Wirtschaft und Digitales ausbauen: „Wir bündeln die Zuständigkeit für die Telekommunikation im zuständigen Ministerium für Verkehr und Digitalisierung“, heißt es in einem Arbeitspapier für die Koalitionsverhandlungen.
Aus Sicht von Florian Nöll, Bundesvorsitzender des Verbands Deutsche Startups, ist das keine gute Idee: „Das Bundesverkehrsministerium ist in der vergangenen Legislaturperiode damit gescheitert, den Breitbandausbau in Deutschland voranzubringen. Das qualifiziert dieses Ressort eindeutig nicht dafür, weitere Zuständigkeiten in der Digitalisierung zu übernehmen.“ Nöll fordert ein „eigenständiges Digitalministerium“.
Dagegen sagt Ulf Rinne vom Institut zur Zukunft der Arbeit: „Ich warne davor, alle Hoffnung in einen Digital-Zar zu setzen“. Auch die Verhandler der SPD sind noch uneins, die Kanzlerin favorisierte bislang einen Digitalstaatsminister im Kanzleramt. Die Entscheidung dürfte von der generell noch ausstehenden Verteilung von Ministerämtern und Posten unter den Koalitionären abhängen. (mit dpa)