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Griechenland auf der Kippe: Kommt der Schuldenschnitt?

Die Experten halten ihn für unausweichlich, die Kanzlerin zögert noch. Welche Konsequenzen ein Schuldenschnitt für Europa hätte.

Kaum jemand glaubt noch daran, dass Griechenland mit seinen immensen Schulden allein fertig wird, geschweige denn, sie je zurückzahlen kann. Und was vor Wochen noch als Tabu galt, wird immer wahrscheinlicher: ein Schuldenschnitt. Doch das ist ein kompliziertes, weitreichendes Szenario. Die Europäische Union hat vorsorglich schon mal ihren nächsten Gipfel um eine Woche nach hinten verschoben.

Was steckt hinter der Verschiebung des EU-Gipfels?

Als Angela Merkel und Nicolas Sarkozy am Sonntagabend vor die Presse traten und verkündeten, dass es nichts zu verkünden gebe als die gute Absicht, in einigen Wochen etwas zu verkünden – da beschrieb das die Situation ganz gut. Die Verschiebung des Europa-Gipfels hat den gleichen Grund: Europa ist sich alles andere als einig, wie im Falle eines Schuldenschnitts für die Griechen zu verfahren ist. Besonders Deutschland und Frankreich liegen über Kreuz.

Hauptgrund ist die völlig unterschiedliche Betroffenheit der Euro-Länder bei einem Schuldenschnitt. „Das reicht vom Schnupfen bis zur Intensivstation“, sagt der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing. Fachleute in der Koalition taxieren die direkten Kosten eines griechischen Schuldenschnitts für Deutschland auf kaum mehr als einen knapp zweistelligen Milliardenbetrag. Frankreichs Banken aber stecken bis zum Hals in griechischen Staatspapieren – geschätzt wird, dass in den Bilanzen bis zu 80 Milliarden Euro im Feuer stünden. Sarkozy geht es vor allem darum, im Falle eines Schuldenschnitts für Griechenland die französischen Großbanken BNP Paribas, Société Générale und Crédit Agricole abzusichern.

Kein Wunder, dass Sarkozy begehrliche Blicke auf den Euro-Rettungsschirm EFSF mit seinen 440 Milliarden Euro garantierter Mittel wirft. Der Franzose hat die – durchaus berechtigte – Sorge, dass die Rating-Agenturen sein Land sofort herabstufen würden, wenn es seine Banken allein retten und dafür an den Rand der eigenen Finanzkraft gehen müsste.

Merkel aber betont seit Tagen, dass der EFSF nur „subsidiär“ einspringen dürfe, wenn ein Staat die Bankenrettung nicht mehr allein stemme. Dahinter steckt auch die Sorge, dass der Fonds zu klein sein könnte, um neben Griechen, Spaniern, Italienern und wohl auch Belgiern noch den Franzosen beim Banken-Retten zu helfen. Im CDU-Präsidium ist am Montag deshalb erneut darüber diskutiert worden, den Fonds zu „hebeln“, also seine Mittel durch finanztechnische Tricks zu vervielfachen. Ausgeschlossen hat Generalsekretär Hermann Gröhe von solchen „effektiveren Instrumenten“ anschließend nur solche, die faktisch auf eine Gelddruck-Lizenz des Fonds bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hinauslaufen würden.

Doch spätestens an diesem Punkt kommt die deutsche Koalitionsarithmetik ins Spiel. CSU-Chef Horst Seehofer hat mit einem Veto gegen jede Art von Hebel gedroht; das FDP-Präsidium stellte am Montag noch einmal ausdrücklich fest, dass eine Ausweitung der Haftungssumme des EFSF der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedarf und „eine Zustimmung der FDP dafür nicht erwartet werden kann“. Merkel droht damit an den selbst gesetzten Haltelinien ihrer Koalition gegen eine „Transferunion“ und eine „Schuldenunion“ die europäische Handlungsfähigkeit abhandenzukommen. Und ob ein paar Tage mehr Zeit daran etwas ändern, ist eine offene Frage.

Wie könnte ein Schuldenschnitt Griechenlands aussehen?

In diesem Fall würden die Gläubiger auf einen Teil des Geldes verzichten, das sie dem griechischen Staat geliehen haben. Dazu könnten sie etwa ihre Staatsanleihen in neue Papiere mit einem geringeren Wert umtauschen. Im Gespräch ist ein Wertabschlag von 50 bis 60 Prozent.

Europapolitiker gehen davon aus, dass zunächst noch das Ergebnis der „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), die bis Wochenanfang die Bücher in Athen prüfte, abgewartet wird. Aus dem Umfeld der „Troika“ hieß es am Montag, die Experten würden voraussichtlich an diesem Dienstag eine Erklärung abgeben. Ihr eigentlicher Bericht über den Stand der griechischen Reformbemühungen, der für die Auszahlung der nächsten Acht-Milliarden-Euro- Hilfstranche maßgeblich ist, werde voraussichtlich in ein bis zwei Wochen vorliegen.

Nicolaus Heinen von Deutsche Bank Research hält es für „realistisch“, dass im November oder Dezember in der EU über einen Schuldenschnitt für Griechenland entschieden wird. Zuvor müsse unter anderem noch geklärt werden, ob und in welcher Form die Auswirkungen eines Schuldenschnitts für die Finanzsysteme anderer Euro-Mitglieder durch Zahlungen über den erweiterten Rettungsfonds EFSF abgefangen werden könnten.

Welche Auswirkungen hätte ein Schuldenschnitt auf die Banken?

Unter einem Schuldenschnitt würden alle Banken leiden, die dem griechischen Staat Anleihen abgekauft haben. Die Papiere wären dann auf einmal nur noch die Hälfte wert – vorausgesetzt, sie stehen noch mit ihrem ursprünglichen Preis in der Bilanz. Am stärksten betroffen wären die griechischen Banken, die ihrem Staat das meiste Geld geliehen haben. Da sie nicht genügend Kapitalreserven hätten, um die Verluste aufzufangen, würden sie ohne Hilfe von außen pleitegehen. Auch französische Banken sind stark in Griechenland engagiert. Die deutschen Banken haben Griechenland insgesamt etwa 17,5 Milliarden Euro geliehen. Davon ist ein Teil aber bereits wertberichtigt worden.

Olaf Kayser, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg, geht davon aus, dass alle deutschen Banken einen Schuldenschnitt in Griechenland verkraften würden. Er fürchtet aber, dass ein Zahlungsausfall bei den griechischen Anleihen negative Auswirkungen auf die Refinanzierung anderer Schuldenstaaten wie Italien oder Spanien hätte. Sollten diese ebenfalls pleitegehen, „dann könnten die deutschen Banken erhebliche Schwierigkeiten bekommen“, sagte Kayser.

Aus welchen Mitteln würden die Banken dann gestützt?

Normalerweise besorgen sich Banken Geld am Kapitalmarkt. Die Investoren, vor allem in Amerika und Asien, sind derzeit aber äußerst skeptisch, was europäische Finanzwerte betrifft. An ihrer Stelle könnte der Staat einspringen. Wie das aussehen kann, zeigt das Beispiel Commerzbank aus dem Jahr 2009. Als sie während der Finanzkrise in Schwierigkeiten kam, half ihr die Regierung mit einer stillen Einlage in Höhe von 16,2 Milliarden Euro. Zusätzlich übernahm der Staat 25 Prozent der Aktien plus eine Aktie. Eine Staatshilfe bedeutet aber noch keine Verstaatlichung. Davon kann man erst sprechen, wenn der Staat die Mehrheit der Aktien und damit die meisten Stimmrechte besitzt. Eine stille Einlage ist nämlich nicht mit Stimmrechten verbunden.

Wie könnte der deutsche Steuerzahler

betroffen sein?

Erstmals in der Euro-Schuldenkrise droht ein echter Verlust von Steuergeld. Kommt es in Griechenland zum Schuldenschnitt von etwa 60 Prozent, ist neben deutschen Banken auch der Staat betroffen. Aus dem ersten internationalen Griechenland-Paket vom Mai 2010 flossen bisher 65 Milliarden der 110 Milliarden Euro nach Athen. Deutschlands Notkredite beliefen sich nach den fünf Raten zuletzt auf etwa 13,45 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um Kredite der staatlichen Förderbank KfW, für die der Bund bürgt. Von den 13,45 Milliarden wären aber nicht automatisch 60 Prozent verloren, weil die genauen Bedingungen einer drohenden Umschuldung in Athen noch unklar sind.

Robert Birnbaum, Albrecht Meier, Miriam Schröder, Antje Sirleschtov

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