Finanzierung der Alterssicherung: Kommission lehnt Systemwechsel bei der Rente ab
Die Rentenkommission empfiehlt auch nach dem Jahr 2025 eine „doppelte Haltelinie“ für Rentenniveau und Beiträge. Auf konkrete Werte legt sie sich nicht fest.
Fast zwei Jahre hat die Rentenkommission der Bundesregierung an Vorschlägen für die langfristige Finanzierung der Alterssicherung gearbeitet. Doch die ursprünglich vorgesehene persönliche Übergabe der Empfehlungen an Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) muss in Zeiten der Corona-Krise ausfallen. Stattdessen stellt die zehnköpfige Runde unter Leitung der beiden früheren Bundestagsabgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) und Karl Schiewerling (CDU) ihre Ergebnisse an diesem Freitag in einer Telefonschalte vor.
Die demografische Entwicklung werde zu einer „erheblichen finanziellen Mehrbelastung“ in der gesetzlichen Rentenversicherung führen, heißt es in dem Abschlussbericht. Das liegt daran, dass die Generation der Babyboomer in Rente geht, während gleichzeitig die Zahl der Jüngeren deutlich zurückgeht, die Rentenbeiträge zahlen. Für die nächsten Jahrzehnte müsse deshalb „das Finanzierungsgefüge neu justiert werden“, heißt es weiter. Ein dauerhaft verlässlicher Generationenvertrag verlange „die ausgewogene finanzielle Beteiligung aller“, also von Beitragszahlern, Steuerzahlern und Rentnern.
Einen kompletten Systemwechsel lehnt die Kommission jedoch ab. Das Umlageverfahren, in dem die jüngere Generation für die Renten der Älteren aufkommt, sei „durch seine Anpassungsfähigkeit zukunftsfest“, heißt es.
Bei den Koalitionsverhandlungen Anfang 2018 waren Union und SPD auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen, wie es langfristig mit der Rente weiter gehen soll. Bis 2025 beschlossen die Koalitionspartner eine so genannte „doppelte Haltelinie“: Diese sieht vor, dass das Rentenniveau in diesem Zeitraum nicht unter 48 Prozent sinken und der Rentenbeitrag nicht über 20 Prozent steige soll. Vor allem die SPD hatte darauf gedrungen: Ihr Versprechen war, dass die Jüngeren finanziell nicht überfordert werden und zugleich die Älteren ein bestimmtes Versorgungsniveau garantiert bekämen.
Union und SPD waren uneins, wie es mit der Rente weiter gehen soll
Doch wie es nach 2025 weitergehen sollte, darüber bestand zwischen Union und SPD keine Einigkeit. Deshalb setzte die Koalition die Rentenkommission ein, in die Politiker, Wissenschaftler, sowie Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften berufen wurden.
- Die Kommission schlägt nun auch für die Zeit nach 2025 eine „doppelte Haltelinie“ vor, deren Höhe alle sieben Jahre neu festgelegt werden soll. Diese könnten dazu beitragen, Beitragszahler und Rentner „vor Überforderung zu schützen“, heißt es im Bericht. Die Experten benennen allerdings lediglich Korridore.
- Der Rentenbeitrag (derzeit 18,6 Prozent) soll nicht über einen Korridor von 20 bis 24 Prozent steigen.
- Das Rentenniveau vor Steuern (derzeit 48 Prozent) soll nicht unter eine Grenze von 44 und 49 Prozent sinken.
- Da eine verlässliche Rentenpolitik auch „langfristige Orientierung und Sicherheitsversprechen“, brauche, sollten auch weiter alle 15 Jahre „perspektivische Haltelinien“ festgelegt werden.
- Außerdem sollen nach dem Willen der Kommission zwei weitere Indikatoren hinzukommen: Um eine Überforderung der Beitragszahler zu verhindern, soll jedes Jahr die Höhe der Sozialbeiträge betrachtet werden.
- Um Rentnerinnen und Rentner zu schützen, soll der Abstand zwischen der „Standardrente“, also der Rente, die jemand mit einem Durchschnittseinkommen nach 45 Schutz Beitragsjahren erhält, und der Höhe der Grundsicherung überprüft werden. Je geringer dieser Abstand, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Politik das Rentenniveau nach oben anpassen muss.
Umstritten ist, ob das Rentenalter steigen soll
Umstritten war in der Kommission die Frage, ob das gesetzliche Rentenalter weiter steigen soll. Die Wissenschaftler in der Runde plädierten dafür, die Altersgrenze nach dem Jahr 2031, wenn die Rente mit 67 erreicht ist, auch weiter anzuheben. Doch nicht nur aus den Gewerkschaften gab es erheblichen Widerstand. Zum jetzigen Zeitpunkt solle nicht über diese Frage entschieden werden, lautet nun der Kompromiss. Doch im Jahr 2026 solle ein neu zu gründender Alterssicherungsbeirat eine Einschätzung abgeben, „ob und in welcher Weise die Anhebung der Altersgrenzen erforderlich und vertretbar“ sei.
Zu den weiteren Empfehlungen der Kommission gehört:
- eine Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch abgesichert sind
- eine Prüfung, ob auf Dauer nicht doch „eine verpflichtende Lösung“ zur privaten oder betrieblichen Vorsorge notwendig sei mit der Möglichkeit der individuellen Befreiung („opt out“). Arbeitgeber sollen in dem Fall hälftig an den Kosten beteiligt werden
- eine Prüfung, Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Es gebe Argumente, die dafür sprächen, heißt es. Zu einer nachhaltigen Finanzierung der Rentenversicherung trage ein solcher Schritt allerdings nicht bei
- mehr Leistungen Prävention und Rehabilitation, um den Gesundheitszustand der Arbeitnehmer auch im Alter zu verbessern
Welche Vorschläge der Rentenkommission die Bundesregierung übernehmen wird, ist noch offen. Sozialminister Hubertus Heil hatte bei der Vorstellung des Gremiums vor knapp zwei Jahren von einer „richtig schweren Aufgabe“ gesprochen. Die Arbeitswelt verändere sich durch die Digitalisierung dramatisch, was auch Folgen für die Sozialsysteme habe. Außerdem sei die Alterung der Gesellschaft eine erhebliche Herausforderung. Es gehe „um eine neue Balance zwischen den Generationen“, sagte der Minister damals.
Die Bundesregierung werde die Vorschläge der Kommission umgehend prüfen, kündigte Sozialminister Heil nach der Vorlage des Gutachtens an. Bis zum Herbst werde er konkrete Vorschläge machen, die dann innerhalb der Bundesregierung beraten würden. Dass die Kommission grundsätzlich am System der umlagefinanzierten Rente festhält, dürfte dem Sozialminister passen. Und dass sie keine klare Empfehlung für eine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters gibt, erspart dem Sozialdemokraten zumindest unangenehme Diskussionen.