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Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel spricht am 09.01.2016 auf einer Pressekonferenz nach der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstandes in Mainz (Rheinland-Pfalz).
© dpa

Jahresklausur der CDU: "Köln hat alles verändert"

Die Übergriffe in Köln befeuern die Flüchtlingsdebatte. Bei der Jahresklausur der CDU reden selbst Merkel-Gefolgsleute von einem Plan B. Angela Merkel ist für härtere Gesetze, bleibt aber bei ihrem Konzept.

„Zeitenwende“ fand Angela Merkel ein bisschen zu stark als Beschreibung dafür, was die Kölner Silvesternacht für ihre Flüchtlingspolitik bedeutet. Ein „Paukenschlag“ sei es aber schon gewesen, gestand die CDU-Chefin zu. Für ihre Verhältnisse ist schon das ein starkes Wort. Die brutalen Übergriffe auf Frauen am Hauptbahnhof, dazu der Verdacht, dass Hinweise auf Migranten und Flüchtlinge als mutmaßliche Täter womöglich sogar gezielt unterdrückt worden sind aus falscher politisch korrekter Rücksichtnahme – man kann sich ein übleres Gemisch kaum vorstellen. „Wer schon immer gegen die Willkommenskultur war, sieht sich bestätigt“, sagt ein CDU-Mann, als der Bundesvorstand sich zum Wochenende in Mainz zur Jahresklausur versammelt. „Aber wenn jetzt auch die Wohlwollenden verunsichert sind ...“

Er bringt den Satz nicht zu Ende. Die Konsequenzen sind allen klar. Das Wort von der „Zeitenwende“ hat nicht zufällig Guido Wolf in die internen Beratungen geworfen. Der Mann will am 13. März die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewinnen. Bisher konnte er die AfD relativ gelassen als unfreiwillige Helfer einpreisen, die mit ihrem Einzug in den Landtag Grün-Rot um die Mehrheit bringen könnten.

Doch nach Köln geht die Furcht um, die Rechtspopulisten könnten zu stark werden – und die eigenen Anhänger sich frustriert abwenden. „Die Stimmung an der Basis ist unterirdisch“, warnte der Mittelstandsvorsitzende Carsten Linnemann in der Sitzung. Auch das mag sich Merkel nicht zu Eigen machen: „Jeder kann die Worte so wählen, wie er das für richtig hält“, sagt sie am Samstag in der Abschlusspressekonferenz. Aber dass sich Linnemanns Wahrnehmung bewahrheiten kann, wenn sie und ihre Partei falsch reagieren, ist ihr sichtlich klar. Ein „sensibler Bereich“ sei berührt durch die „widerwärtigen“ Taten und den Umgang damit.

Diesen sensiblen Bereich hat einer in der Klausur sehr klar beschrieben. Köln, hat Volker Bouffier gesagt, habe „alles verändert“. Denn es gehe jetzt um Sicherheit. Und Sicherheit, das weiß der Mann genau, der vor seiner Wandlung zum schwarz-grünen Landesvater ein profilierter CDU-Innenminister war, Sicherheit ist die Kernkompetenz der Union. Die Kölner Ereignisse aber demonstrieren eine „gespürte Ohnmacht des Staates“, wie es ein anderer Vorständler ausdrückt, die diese Kompetenz in Frage stellt und herausfordert.

Auch Merkel fordert harte Gesetze

Die unmittelbare Reaktion findet sich im Abschlussdokument der Tagung: Die CDU, ausdrücklich auch Merkel, fordert neue, harte Gesetze. Vergewaltigung soll künftig auch dann strafbar sein, wenn der Täter keine Gewalt anwendet. Flüchtlinge und Migranten sollen ihre Aufenthaltstitel nicht erst verlieren, wenn sie ein Gericht in Haft schickt, sondern auch schon bei Bewährungsstrafen.

Dahinter steckt die ernüchternde Erkenntnis, dass die meisten Täter von Köln nach heutigem Recht eine Abschiebung nicht mal theoretisch befürchten müssen. Aber, betont Merkel, neues Recht helfe gar nichts, wenn es dann von der Justiz nicht auch konsequent angewandt werde: „Die Menschen werden uns am Ende nur an dem messen, was wir auch umgesetzt haben“, sagt die Kanzlerin.

Der Satz gilt freilich auch für den Kern der Flüchtlingspolitik. Merkel hat in der Sitzung selbst betont, die Zahlen der Neuankömmlinge seien zwar zurückgegangen, aber immer noch „deutlich“ zu hoch. Der Druck, die Zahl zu senken, war vorher schon hoch. Nach Köln ist er noch einmal gewachsen. Allen da drin sei bewusst, „dass das nicht mehr lange gut geht“, sagt ein Präsidiumsmitglied.

In der „Mainzer Erklärung“ findet sich von diesem Druck nichts; sie bekräftigt meist die Beschlüsse des CDU-Parteitags von Karlsruhe. In den öffentlichen und selbst den halböffentlichen Stellungnahmen in der Klausur stellen sich auch alle hinter Merkels Mantra, dass nur eine europäische Lösung das Problem vernünftig und dauerhaft in den Griff kriegen könne.

Aber abseits der Kameras und Konferenztische ist eine bemerkenswerte Entwicklung im Gange. Nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen reden von einem „Plan B“, zu dem Merkel notfalls greifen müsste, wenn sich die Partner in Europa weiterhin verweigern. Auch bei Merkel-Gefolgsleuten schleichen sich Formeln ein, die noch zwei Wochen vorher undenkbar waren. Irgendwann, sagt etwa einer von denen, müsse man sich entscheiden, „was kann ich der Bevölkerung zumuten“.

Und nicht irgendwann, sondern sehr bald muss Merkels Europa-Kurs Wirkung zeigen. In der Sitzung hat da eine gedachte Kurve eine große Rolle gespielt: die der Flüchtlingszahlen, die im Herbst 2015 auf 210000 im Monat hochgeschnellt und seither wieder gefallen ist. „Das darf ab März nicht wieder ansteigen!“ sagt ein Merkelianer. Selbst ein strikter Verfechter der europäischen Lösung konzediert, dass es „einen Punkt gibt, wo die Grenzen geschlossen werden müssten“, mit allen negativen Folgen für das Projekt Europa.

Und, versteht sich, für Merkel. Trotzdem kann sich ein Vorständler eine solche Kehrtwende vorstellen. „Wir Deutsche müssen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir inhuman sind“, sagt der Mann. Wenn aber die anderen partout nicht mithelfen wollten, was bleibe dann? Wenn Merkel eine gute Begründung finde und einen passenden Anlass, dann könne sie unbeschädigt bleiben: „Wir haben ja schon andere Wenden geschafft.“

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