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Berlin sehen - und trinken. Für viele Touristen ist dies ein entscheidendes Motto.
© dpa

Gentrifizierung: Kneipenstopp in Kreuzberg

Erstmals wurde dem Wirt eines künftigen Weinlokals in Kreuzberg die Konzession verweigert. Angesichts der Ballermannisierung mancher Straßenzüge in Berlin hätte man sich eine solche Maßnahme schon viel früher gewünscht. Eine Glosse.

Eine Glosse von Helmut Schümann

Was war jetzt noch mal Kreuzberg? Ein Kiez in Berlin, schon klar, auch damals war das schon klar, als sich die westdeutschen Schüler vorbereiteten für den politischen und moralischen Pflichtbesuch in der noch geteilten Stadt. Von Friedrichshain auf der anderen Seite der Spree und der Mauer wussten sie nichts, hatten wahrscheinlich noch nie davon gehört. Aber Kreuzberg, das wussten die Schüler, war irgendwie Anarchie, irgendwie bunt, irgendwie schrill.

War auch irgendwie politisch, im Zweifel links, war der Punk und war der rechte Kampf um Wohnraum und gegen Gentrifizierung, auch wenn die damals so noch nicht hieß, sondern Mietspekulation. Kreuzberg schwamm auf keinen Fall im Mainstream, schon alleine weil wir das Wort damals noch gar nicht kannten. Und dann war Kreuzberg noch etwas, und zwar das, was die Gebrüder Blattschuss mit einem allerdings stark nervigen Liedchen Ende der Siebzigerjahre bis in die hinterste westdeutsche Provinz trällerten: „Kreuzberger Nächte sind lang, erst fang’n sie ganz langsam an, aber dann, aber dann.“ Kreuzberg war Kneipe, Kreuzberg ohne Kneipe war nicht denkbar, ein Widerspruch in sich. Und so war es ja dann auch, als die westdeutschen Schüler erst zu Besuch nach Berlin kamen und später ganz, um hier zu leben.

Es gibt sicher Leute, die das stalinistisch finden

Inzwischen kommen nicht nur Schüler auf Klassenfahrt nach Berlin, inzwischen ist Berlin weltweites Muss im touristischen Programm, und inzwischen läuft auch Kreuzberg Gefahr, im gentrifizierten Mainstream zu ersaufen. Das will Kreuzberg nicht. Erstmals in Kreuzberg wurde jetzt dem Wirt eines künftigen Weinlokals die Konzession verweigert, mit der Begründung, dass schon genug Kneipen zum Trunke laden.

Es gibt jetzt sicher ein paar Menschen, die eine solche Maßnahme ein wenig stalinistisch finden im freien Markt. Angesichts so manchen Straßenzuges in Berlin, der der Ballermannisierung anheimgefallen ist, hätte man sich eine solche Maßnahme schon viel früher gewünscht. Aber nun können wir ein neues Wort lernen: Überkneipung.

Der Überkneipung muss ein Riegel vorgeschoben werden. Das wird zwar keinen Italiener, Spanier, Franzosen oder Amerikaner abhalten, seinen Rollkoffer durch Berlin zu ziehen und Kreuzberg zu besuchen, inklusive der Kneipen. Und ich fürchte, dass damit auch die Umwandlung des alten Kiezes in ein teures, schickes, schniekes und sauberes Viertel nicht aufgehalten wird. Aber immerhin sieht es so aus, als wäre ein Anfang gemacht, als besinne sich der Kiez auf seine Wurzeln, und die sind, wie besungen, lang. Aber dann.

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