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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will keine Kehrtwende in der Klimapolitik erkennen. Aber die Schiefergasrevolution in den USA habe die Rahmenbedingungen verändert, argumentierte sie in Brüssel.
© dpa

EU-Gipfel: Klimaschutz ist nicht mehr so wichtig

Staats- und Regierungschefs wollen Schiefergas fördern und die Energiepreise senken. Sie wollen lieber den Wettbewerb fördern als die globale Erwärmung aufzuhalten.

Antworten auf drei Fragen wollte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy beim EU-Gipfel am Mittwoch von den versammelten Staats- und Regierungschef hören: Wie können wir auf europäischer Ebene das Energiesparen weiter forcieren? Wie kann die Energiepolitik so verlässlich gemacht werden, um die nötigen Investitionen in die Leitungsnetze anzulocken? Und wie können eigene Ressourcen besser ausgeschöpft werden? Allein die letzte Frage, mit der der Belgier in seinem Einladungsschreiben auf die Schiefergasgewinnung mit Hilfe der umstrittenen Frackingtechnik anspielt, birgt viel politischen Sprengstoff.

Handlungsbedarf aber gibt es. „Für europäische Unternehmen haben sich steigende Energiepreise zu einem Wettbewerbsnachteil ausgewachsen“, sagte Martin Schulz (SPD), Präsident des Europaparlaments. „Wenn wir nichts unternehmen, steigen die Energiekosten weiter, und unsere Abhängigkeit von Drittländern bei der Energieversorgung nimmt weiter zu.“ Ohne Kurswechsel machen Importe im Jahr 2035 nach Angaben der EU-Kommission 80 Prozent aus.

Weniger zu verbrauchen wäre eine Möglichkeit: Viel Platz nimmt die Energieeffizienz in der Abschlusserklärung des Gipfels aber nicht ein. Die Brüsseler Kommission wird ermuntert, bis kommendes Jahr strenge Effizienzvorgaben für energiefressende Haushaltsgeräte vorzuschlagen. Außerdem wird die Umsetzung der schon verabschiedeten Richtlinien angemahnt. So weist etwa die irische Ratspräsidentschaft darauf hin, dass die energetische Gebäudesanierung dem darbenden europäischen „Baugewerbe einen Riesenschub geben könnte“. Den europäischen Energiebinnenmarkt wie bereits zugesagt bis kommendes Jahr wirklich zu vollenden könnte die Strompreise zumindest etwas im Zaum halten. Auch darauf pochen die Staats- und Regierungschefs.

Neu ist vor allem, dass die Staats- und Regierungschefs sich die Energiepolitik erstmals „nicht durch die Brille des Klimaschutzes, sondern durch die Brille der Wettbewerbsfähigkeit angeschaut haben“, sagt ein EU-Diplomat. Zwar unterstützt der Gipfel neue Klimaziele, wenn er „einen berechenbaren klima- und energiepolitischen Rahmen für die Zeit nach 2020“ fordert. Auch taucht die Notwendigkeit eines „gut funktionierenden Emissionshandels“ kurz im Text des Gipfels auf, die Frage nach dem Wie aber wird nicht beantwortet.

Stimmt es also, wenn sich der FDP-Europaabgeordnete Holger Krahmer freut, dass „der EU-Gipfel das Ende der Klimahysterie einläutet“ und „neuer Realismus“ einkehrt? Sein CDU-Kollege Herbert Reul, Chef der Unions-Abgeordneten im Europaparlament, fordert offen eine „Kehrtwende in der Energiepolitik. Sie darf nicht mehr Einseitig auf Klimaschutz ausgerichtet sein“. Entsprechend warnt die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms vor einer „Rolle rückwärts in die Energievergangenheit“. Es gelte immer noch, „uns unabhängiger von klimaschädlichen fossilen Energieträgern zu machen“.

Es mag als Beweis des Gegenteils gelten, dass der Gipfel das Vorgehen der EU-Kommission ausdrücklich billigte, noch dieses Jahr einen Rahmen für die „sichere und nachhaltige Ausbeutung eigener Energiequellen“ wie Schiefergas zu erarbeiten. In deutschen Regierungskreisen ist von einem „wichtigen Beitrag zur Objektivierung der Debatte“ die Rede. Bundeskanzlerin Angela Merkel will darin „überhaupt keinen Kurswechsel“ sehen. Doch habe die Schiefergasrevolution in den USA „eine völlig veränderte globale Situation“ geschaffen: „Nur weil man eine solche Wahrheit ausspricht, hat man sich doch nicht vom Klimaschutz abgewandt.“

„In einem optimistischen Szenario“, heißt es in einem Papier der EU-Kommission, „könnte das unkonventionelle Gas die Abhängigkeit von Importen auf etwa 60 Prozent begrenzen.“ Dies bedeute aber keinen radikalen Kurswechsel, beharrte auch Energiekommissar Günther Oettinger: „Ich strebe keine Kehrtwende an. Ich will eine Balance zwischen Klimaschutz und einer Lösung der wirtschaftlichen Probleme Europas.“

Die Kosten des Klimaschutzes will Oettinger dennoch eindämmen. Noch dieses Jahr wird seine Behörde eine Rückführung der Subventionen für Solar- und Windkraft vorschlagen. „Wir können nicht  erneuerbare Energien um jeden Preis immer weiter ausbauen“, sagte sein Parteifreund Reul. Zugleich solle vermieden werden, dass neue Kraftwerke Beihilfen erhalten. Um Engpässe zu beseitigen, favorisiert die EU-Kommission nach Angaben aus Oettingers Umfeld Lieferverträge mit Nachbarn: „In Baden- Württemberg  sollte man lieber mit Österreich und Frankreich reden, statt neue Gaskraftwerke zu bauen.“

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