SPD-Sonderparteitag: Kleine Mehrheit für große Koalition
Die SPD stimmt knapp für Koalitionsverhandlungen. Aber die Gegner einer großen Koalition konnten punkten.
Nach hitziger Debatte hat sich die SPD bei ihrem Sonderparteitag am Sonntag in Bonn zu Koalitionsverhandlungen mit der Union durchgerungen. Die Mehrheit der 600 Delegierten und 45 Vorstandsmitglieder folgte der Empfehlung der Parteispitze. Mit rund 56 Prozent waren die Befürworter einer großen Koalition allerdings nur knapp in der Überzahl. 279 Genossen stimmten dagegen.
Parteichef Martin Schulz rief die Delegierten in seiner Rede auf, in einer Abwägung von „Chancen und Risiken“ einer Fortführung der Gespräche mit CDU und CSU zuzustimmen. „Der mutige Weg ist der richtige Weg. Wir werden gestärkt aus er Situation hervorgehen“, sagte er. In der SPD-Parteispitze hatte es vor dem Parteitag erhebliche Zweifel daran gegeben, ob es gelingen würde, die Delegierten zu überzeugen.
Als „Leuchtturm“ stellte Schulz die Verhandlungserfolge der SPD beim Thema Bildung und Familie heraus. Dazu zählen neben Investitionen in Schulen eine Mindestausbildungsvergütung, also ein Mindestlohn für Azubis, eine Ausweitung des Bafögs und ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Kinderarmut. Schulz nannte als Erfolge außerdem eine Einschränkung der Waffenexporte und dass Mieten nach Modernisierungen nicht mehr so stark steigen dürfen sollen wie bisher.
Juso-Chef Kevin Kühnert, der in den vergangenen Wochen zum Anführer des Widerstands gegen ein Bündnis mit der Union avancierte, warnte, eine Groko sei „das Regierung gewordene Sowohl-als- auch“. Die „wahnwitzigen Wendungen unserer Partei“ hätten bei den Wählern Vertrauen gekostet. Er rief die Genossen auf, mit Nein zu stimmen: „Heute ein Zwerg sein, um zukünftig wieder ein Riese sein zu können.“ Damit spielte er auf CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an, der die Groko-Kritik in der SPD als „Zwergenaufstand“ bezeichnet hatte.
Dieses Ergebnis ist das Schlimmste, was der SPD passieren konnte: Zu schwach zum Regieren und zu schwach zum Opponieren.
schreibt NutzerIn magberlin
Nahles: "Wir werden verhandeln bis es quietscht"
Die Parteiführung versuchte mit Zugeständnissen auf die Gegner einer großen Koalition zuzugehen. Fraktionschefin Andrea Nahles warnte, die Bürger würden der SPD im Fall von Neuwahlen den „Vogel zeigen“. Mit Blick auf die Forderung des Parteitags nach Korrekturen des Sondierungsergebnisses sagte sie: „Das einzige, was ich euch versprechen kann: Wir werden verhandeln, bis es quietscht.“ Schulz versprach bei den Koalitionsgesprächen bei der sachgrundlosen Befristung „nicht locker“ zu lassen. Die SPD gebe auch das Ziel, die Zwei-Klassen-Medizin abzubauen, nicht auf. Und die Union müsse sich beim Familiennachzug bewegen. „Ich sage euch hier heute ganz klar: Eine Härtefall-Regel wird kommen.“ In den Redebeiträgen der Koalitionsgegner wurde deutlich, dass diese bezweifeln, dass der Spielraum der SPD bei den Koalitionsgesprächen groß genug ist, um diese Ziele umzusetzen.
Schulz verwies in seiner Rede auch auf die sogenannte „Revisionsklausel“ im Sondierungspapier. Diese sieht vor, dass Union und SPD nach zwei Jahren ihre Zusammenarbeit bewerten. In der SPD gilt dies als möglicher Zeitpunkt für einen Ausstieg aus der Koalition.
Unterstützt wurde Schulz von seinen Parteivorstandsmitgliedern, die zum Teil flammende Drei-Minuten-Plädoyers für eine Koalition mit der Union hielten. „Wo bleibt eigentlich unser Selbstvertrauen?“, fragte SPD-Vize Ralf Stegner. „Wir sollten die Ärmel hochkrempeln und nicht jammern und klagen.“ Die Parteioberen bemühten sich, auch auf die Bedenken der Teilnehmer einzugehen. „Es ist eine Frage zwischen schwierig und ganz schwierig“, sagte Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel. „Ich kann jeden verstehen, der Bauchschmerzen hat“, erklärte Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie verwies auf die Sondierungserfolge im bildungs- und familienpolitischen Bereich. „Hier können wir einen Durchbruch erzielen.“
Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lobte die paritätische Finanzierung der Krankenversicherung. Das sei etwas, wofür er gekämpft habe. Auch die geschäftsführende Familienministerin Katharina Barley warnte davor, die Verhandlungserfolge klein zu reden. „Da ist eine Mindestausbildungsvergütung drin. Das ist der Mindestlohn für Auszubildende. Ist das nix?“, rief sie.
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