Koalitionsstreit um Entlastung der Kommunen: Kippen alte Schulden die Schuldenbremse?
Die SPD-Spitze fordert Altschuldenhilfe für Kommunen, mehr Investitionen – und denkt über neue Schuldenregeln nach. Die Sache könnte teuer werden für den Bund.
Rolf Bösinger hat gerade eine Deutschland-Tournee hinter sich. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, rechte Hand von Olaf Scholz in Bund-Länder-Dingen, ist in den vergangenen Wochen quer durch die Republik in die Landeshauptstädte getingelt, hat die Stimmung getestet und Angebote gemacht. Denn der Vizekanzler hat, zusammen mit SPD-Chef Norbert Walter-Borjans, ein größeres Projekt in Arbeit, für das er die einstigen Kollegen in den Staats- und Senatskanzleien möglicherweise braucht: die Altschuldenhilfe für Kommunen, die besonders stark mit Kassenkrediten belastet sind. Das sind in aller Regel kurzfristige Bankkredite, mit denen Städte, Gemeinden und Kreise üblicherweise Löcher im Etat überbrücken. Bei etwa 2500 Kommunen ist daraus aber ein Dauerzustand geworden, und einige hundert haben ein echtes Problem damit. Vor allem in Rheinland-Pfalz und im Saarland – und in Nordrhein-Westfalen.
Wegen NRW vor allem ist die Sache in der Bundeshauptstadt auch koalitionspolitisch interessant - und sie wird immer interessanter. Im Koalitionsausschuss, dem Machtzentrum neben dem Bundeskabinett, sitzt neben Walter-Borjans, in dessen Amtszeit als Landesfinanzminister zwischen 2010 und 2017 das Altschuldenproblem vor allem der Ruhrgebietsstädte nicht geringer geworden ist, auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, auch er kommt vom Rhein. Demnächst wird ein weiteres NRW-Gesicht als CDU-Chef in der Spitzenrunde erscheinen – Ministerpräsident Armin Laschet, ein Aachener, der Sauerländer Friedrich Merz oder der Rheinländer Norbert Röttgen.
Laschet ist auch dafür
Laschet wird, was die Altschuldenhilfe betrifft, Scholz und Walter-Borjans wenig Probleme bereiten. Er will sie auch. Seine Gegner sitzen nicht in der SPD, sondern in der eigenen Bundestagsfraktion. Angeführt von Ralph Brinkhaus, immerhin auch ein Politiker aus NRW, hat sie sich bisher immer gegen eine Schuldenübernahme durch den Bund gewehrt. Das Thema liegt auch auf dem Tisch der Arbeitsgruppe, die für den Koalitionsausschuss am kommenden Sonntag ein Finanzpaket schnüren soll, sich aber am Dienstag nochmals vertagen musste – Scholz und Brinkhaus fanden keine gemeinsame Linie.
Dabei soll im Koalitionsausschuss ein größeres Rad gedreht werden. Die Corona-Krise ist dabei behilflich. Um die Auswirkungen auf die Wirtschaft zu dämpfen, sind mehrere Maßnahmen im Gespräch. Neben vorgezogenen Steuersenkungen zur Konjunkturstützung - Solidaritätszuschlag und Unternehmenssteuern – geht es auch um mehr Investitionen. Dazu gehört für Scholz und Walter-Borjans auch die Altschuldenhilfe. Für den SPD-Chef ist es sogar „eine Frage der Handlungsfähigkeit dieser Koalition“, dass die Entschuldung der Kommunen bis zum Jahresende komme, wie er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte. Für ihn ist die Stärkung der Kommunen auf diesem Weg „der erste Schritt des Investitionspakets“, das er als großes SPD-Vorhaben auch mit Blick auf die Wahl 2021 plant.
Auf einen Schlag geht es nicht
Für den Bund geht es dabei um bis zu 20 Milliarden Euro. Scholz hat angedeutet, die Hälfte der Kassenkreditlasten in Höhe von bis zu 40 Milliarden Euro in die Bundesschuld übernehmen zu wollen. Auf einen Schlag aber geht das nicht, denn der Spielraum, den die Schuldenbremse dem Bund gibt, liegt aktuell bei maximal 12 Milliarden Euro und möglicherweise etwas mehr im kommenden Jahr. Die Länder haben seit Jahresanfang, außer bei Konjunktureinbrüchen, gar keine Neuverschuldungsmöglichkeit mehr. Daher beginnt nun die Debatte um eine Lockerung der Schuldenbremse. Scholz lässt seine Denkabteilung im Ministerium schon seit Monaten daran arbeiten und hat gerade eine einmalige Aussetzung ins Gespräch bringen lassen. In jedem Fall bräuchte eine Änderung der Schuldenbremse eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Dort sperren sich Union und FDP bisher. In NRW wiederum, wo man die Bundes-Milliarden gerne sähe, regiert Laschet mit den Freien Demokraten.
Nur Kretschmann lehnt eindeutig ab
Auch durch den Bundesrat müsste die Verfassungsänderung, daher Bösingers Reise. Wie die Länder reagieren, ist noch unklar. Allein Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat eindeutig abgewunken, er will keine Veränderung der Schuldenbremse. Allerdings hat der Südwesten auch keine überschuldeten Kommunen, so wie auch Bayern, Sachsen und Thüringen. Andere aber haben durchaus Interesse gezeigt. Hessen gehörte auch lange zu den Ländern mit hohen Kassenkreditlasten der Kommunen, aber da hat die Landesregierung mittlerweile das Problem über einen Entschuldungsfonds, die Hessenkasse, selbst gelöst. Soll aber nun, ist zu hören, dafür nachträglich noch Unterstützung des Bundes bekommen. Weitere Länder werden dann auch etwas haben wollen. So könnte die Sache für Scholz ein bisschen teurer werden als gedacht. Die Stadtstaaten wollen sich zusammen positionieren, heißt es, andere Länder denken über angeblich über eine Entlastung bei den Landesschulden nach.
Zwölf Milliarden - auch für die Länder?
Zum Gesamtpaket gehört, dass der Bund seine Investitionen nochmals erhöhen will. Scholz hat durch den hohen Überschuss 2019 einen Spielraum von bis zu 17 Milliarden Euro, wovon nach den bisherigen Vorstellungen zwölf Milliarden für investive Zwecke und fünf Milliarden für Entlastungen vorgesehen sind, bei der EEG-Umlage oder beim Soli. Die Investitionsmittel sollen über vier Jahre hinweg in Drei-Milliarden-Tranchen in den Etat eingeplant werden. Ein Teil des Geldes scheint für die Förderung Künstlicher Intelligenz vorgesehen zu sein, aber es sind auch Bereiche im Gespräch, die bei den Ländern und Kommunen liegen: Digitalausbau etwa, sozialer Wohnungsbau, Ganztagsbetreuung, Sportstätten. Also Felder, über die wohl auch Bösinger mit den Landespolitikern geredet hat.
Landkreistag: Völlig absurd
Der Städtetag und der Städte- und Gemeindebund sind für die Entlastung der Kommunen mit hohen Kassenkrediten. Ausgerechnet vom dritten Kommunalverband aber kommt handfeste Kritik an dem ganzen Bund-Länder-Verfahren um Schuldenhilfe, Schuldenbremse und Investitionsmittel. Hans-Günter Henneke, Präsidialmitglied beim Landkreistag, verweist darauf, dass die Vollwirkung der Schuldenbremse für Bund und Länder erst seit dem 1. Januar in Kraft sei. „Dann soll sie jetzt gleich wieder ausgesetzt werden? Das ist völlig absurd“, sagte Henneke dem Tagesspiegel. Er fürchtet jedoch auch Nachteile für seine Klientel. Denn eine entscheidende Frage sei, wie der geforderte Beitrag des Landes Nordrhein-Westfalen aussähe. „Es ist völlig unklar, woher die bis zu zehn Milliarden Euro kommen sollen. Wir können uns aber nicht vorstellen, dass dieser Beitrag zur Altschuldenhilfe auch durch Umschichtungen im kommunalen Finanzausgleich zu Lasten prosperierender ländlicher Räume, etwa des Sauerlandes, Ostwestfalens oder der Siegerlands, finanziert wird.“
Das Problem der Kassenkredite habe sich zudem „deutlich abgemildert, weil die Niedrigzinsphase schon so lange läuft“, betont Henneke. Die aber werde noch länger dauern. „Es gäbe eigentlich keinen Grund, ausgerechnet jetzt die große Entschuldungslösung zu suchen.“
Mehr Kontrollen aus Berlin?
Henneke stört auch, dass Scholz und Walter-Borjans offenbar mehr Einfluss und, damit verbunden, eine stärkere Kontrolle des Bundes in den Ländern und Kommunen planen. Der Bundesfinanzminister will nämlich die Bundeshilfe daran binden, dass Kommunalschulden nicht ein weiteres Mal aus dem Ruder laufen wie in NRW, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Ein Problem war dabei eine zu lockere Kommunalaufsicht der Landesregierungen, vor allem in Mainz. Nun könnte also ein zusätzliches Kontrollrecht des Bundes kommen. Walter-Borjans, der Ex-Landespolitiker, wäre dazu bereit – wenn gleichzeitig der Bund sich verpflichtet, das Geld mitzuliefern, wenn er künftig Aufgaben an die Kommunen delegiert. Eine direkte Finanzbeziehung zwischen Bund und Kommunalebene gibt es bisher nicht, verfassungsrechtlich sind Städte, Gemeinden und Kreise Teil ihrer Länder. Henneke lehnt diese Überlegungen ab. „Der Bund kann sich nicht einfach bei einer ureigenen Aufgabe der Länder, der Kommunalaufsicht, eigene Rechte einräumen lassen. Es kann doch nicht sein, dass die Kommunen hier sozusagen zwei Befehlsgeber hätten. Das wäre ein Unding.“