Handelsverbot für Nacktbilder von Kindern gefordert: Kinderpornografie im Internet
Zu jeder Zeit des Tages sind 750 000 Menschen im Internet auf der Suche nach kinderpornografischem Material. Experten fordern ein Handelsverbot von Nacktbildern – auch wenn das nicht kommerziell passiert.
Sie heißt „Sweetie“, ist höchstens acht, neun Jahre alt, und sieht so süß aus, wie sich ihr Kosename anhört. Vor einer Web-Kamera auf den Philippinen präsentiert sich das Mädchen fremden Blicken. Dort macht das Kind, was immer der zahlende Kunde vor dem Bildschirm in Berlin, Amsterdam, London oder Sydney von ihm verlangt. Der Kunde muss nicht nach Asien reisen, um via Internet sein sexuelles Verlangen nach vorpubertären Kindern zu stillen. Das geht zu Hause im Sessel. So funktioniert „Webcam Sex Child Tourism“, digitaler Missbrauch, eine neue Variante der Cyber-Kriminalität. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen und des FBI sind in jedem Augenblick zu jeder Tages- und Nachtzeit etwa 750 000 „Touristen“ dieser Art im weltweiten Netz unterwegs.
Mit „Sweetie“ allerdings hatten die Kunden Pech. Das Kind war gar keines, sondern eine virtuelle, animierte Figur, ins Netz gestellt wurde es durch die Niederländische Sektion von „Terre des Hommes“ – inzwischen auf Youtube zu finden. Binnen weniger Wochen gelang es den Aktivisten mit ihrer Falle, an die tausend IP-Adressen von Konsumenten solcher Kinderpornografie an Interpol zu liefern. Dort wird nun seit November 2013 recherchiert.
Julia von Weiler, Leiterin der Berliner Organisation „Innocence in Danger“, die sich dem Schutz von Kindern im Cyberspace widmet, begrüßt die Kampagne: „Solche Aktionen bewegen tatsächlich etwas.“ Treffend nennen von Weiler und ihr Team Kinderpornografie „Missbrauchs-Abbildungen“, denn das Herstellen solcher Bilder ruft bei Kindern dieselben oder ähnliche Schäden hervor wie direkter, physischer Missbrauch. Sie ahnen oder spüren deutlich, dass sie vor der Kamera als Objekte für die narzisstischen Zwecke Erwachsener benutzt werden. „Die Kinder“, weiß von Weiler, „fühlen sich beschmutzt, beschämt und schuldig, auch weil sie glauben, dass sie mitgemacht haben“. Wissenschaftliche Studien weisen nach, dass die Folgen, die Missbrauch für das Selbstwertgefühl und die erotische, körperliche Vertrauensfähigkeit haben kann, oft bis weit ins Erwachsenenalter der Opfer reichen. Viele tendieren zum Wiederholungszwang, wählen Partner, die sie manipulieren, entwerten, misshandeln, entwickeln Suchterkrankungen und laufen Gefahr, sexualisierte Gewalt an die nächste Generation weiterzugeben. Bei einigen erwacht das Bewusstsein für das Erlittene nie ganz, bei vielen erst später im Leben.
Aufmerksamkeit fand 2012 die Anklage der französischen Schauspielerin Eva Ionesco gegen ihre Mutter. Zwischen dem vierten und zwölften Lebensjahr der Tochter hatte die Fotografin Irene Ionesco „ästhetische“ Nacktfotos von ihr vertrieben, 1979, mit elf Jahren, posierte Eva unbekleidet für den „Playboy“. Erst als sie 47 war, fasste die Tochter den Mut zur Anzeige. Sie drehte damals auch einen Film über ihre Geschichte, der in Cannes gezeigt wurde. Eva Ionesco ist eines der wenigen Opfer pornografischer Kinderfotos, das bisher öffentlich die Stimme erhoben hat.
Missbrauch von Kindern geschieht in allen Milieus und Schichten. Jedoch weisen Männer und Frauen, die Missbrauchs-Abbildungen bevorzugen, vermehrt besondere Charakteristika auf. Von Weiler nennt eine Studie australischer Fahnder, die das typische Profil von Leuten erstellten, die es meiden, Kinder illegal zu berühren, sich aber mittels sexualisierter Abbildungen von Minderjährigen befriedigen: „Sie sind überdurchschnittlich intelligent, haben einen akademischen Abschluss, leben in einer festen Beziehung und verfügen über ein solides Einkommen.“
Dieser Tätertypus meint, vor strafrechtlichen Konsequenzen wie dem eigenen Gewissen geschützt zu sein, indem er sich vormacht, er sehe ja „nur Bilder“ an – mit deren Erlös jedoch die kriminellen Apparate laufen, die die Bilder produzieren. Gerade „harmlose“ Bilder, das bestätigt die Interpol-Sondereinheit zu Verbrechen gegen Kinder, gelten als Einstiegsdroge für expliziteres „CAM“ (Child Abuse Material), wie es bei Interpol genannt wird.
Wie beim physischen Missbrauch geht es beim Bilderkonsum – ein Markt mit Umsätzen von bis zu 20 Milliarden Dollar jährlich – um sexualisierte Macht und Ausbeutung. Auch hier sind viele Täter in der Kindheit selber Opfer traumatisierender Gewalt geworden, die sie nicht reflektiert und emotional bearbeitet haben. „Alle Täter dieser Art stellen ihre Begierde und Neugierde über die Würde und das Wohl des Kindes“, erklärt Julia von Weiler. „Dafür gibt es keinerlei Legitimation.“
Organisationen wie „Innocence in Danger“ fordern ein Handelsverbot für Nacktbilder von Kindern, das sich auch auf nicht kommerzielle, organisierte Tauschringe erstreckt, in denen solche Bilder die Währung darstellen. „Es gibt nicht einen guten Grund dafür, solchen Handel zuzulassen“, betont von Weiler. Die Organisation fordert auch die Lizenzierung aller Online-Angebote, die sich direkt an Kinder richten, und in deren Chatforen Täter auf die Suche nach einschlägigen Aufnahmen und Kontakten gehen. „Wie eine Ausschanklizenz“ könne das gehandhabt werden.
„Digitaler Kinderschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, erklärt von Weiler, „die parteiübergreifend angegangen werden muss.“ Nie zuvor war es möglich, so viele Bilder und Filme binnen Sekunden über so weite Strecken zu transportieren. Daher müssen betreffende Websites gelöscht werden, und wo Löschen rechtlich oder technisch nicht möglich ist, zumindest gesperrt. Zudem sollen Ermittler und Behörden erheblich verbesserte Ausstattung erhalten, denn die Täter sind den Fahndern im Cyberspace oft einen Schritt voraus. Sofort wäre es möglich, sagt von Weiler, dass das Strafmaß für solche Taten von den Gerichten endlich ausgeschöpft wird. Zu oft werden die Delikte noch als Bagatellen geahndet. Ende 2010 wurden in einem Kinderporno-Prozess vor dem Landgericht Darmstadt sieben Angeklagte verurteilt, die rund 100 000 Dateien aus dem Internet heruntergeladen und getauscht hatten, darunter Bilder von schwer sexuell missbrauchten Säuglingen. Das Strafmaß lag zwischen zwei Jahren auf Bewährung und fünf Jahren Haft.
Missbrauch von Kindern ist ein toxisches Delikt mit furchtbaren Folgen, auch wo es „nur“ virtuell begangen wird. 1960 thematisierte der britische Spielfilm „Peeping Tom“ die Geschichte eines Jungen, der während seiner Kindheit vom Vater pausenlos für „psychologische Experimente“ gefilmt wurde. Als junger Mann wird der so Missbrauchte zum Porno-Regisseur und begeht schließlich einen Mord. Schon damals wusste man, welche Wucht auch der Gewalt missbrauchende Voyeurismus entfalten kann.
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