Chef der Türkischen Gemeinde: Kenan Kolat kritisiert Christian Wulff wegen zentraler Trauerfeier
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, kritisiert Bundespräsident Wulff wegen der zentralen Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Morde. Aber Kolats Kritik geht noch weiter.
Die Feier, zu der unter anderem die Hinterbliebenen der Opfer der Neonazi-Mordserie eingeladen sind, soll im Februar stattfinden. Kolat, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte in einem Interview mit dem „Tagesspiegel" (Sonntagausgabe): „Einige der Opferfamilien wollen nicht kommen. Sie haben nach den Morden getrauert, sie trauern nicht erst Jahre später."
Türken erwarteten auch, dass man zu ihnen komme, um mit ihnen gemeinsam zu trauern, sagte Kolat weiter. "Ich habe vorgeschlagen, dass der Bundespräsident zu den Familien der Opfer fährt, anstatt sie nach Berlin einzuladen. Aber es wäre trotzdem wichtig, dass bei der zentralen Trauerfeier Angehörige der Opfer zu Wort kommen. Das habe ich Herrn Wulff vorgeschlagen.“
Der deutschen Politik und der deutschen Gesellschaft insgesamt attestiert Kolat, „mangelnde Sensibilität“ im Umgang mit rechtsextremen Straftaten und ein Versagen in der Rassismus-Debatte. Dem „Tagesspiegel" sagte Kolat: „Über Jahre hinweg haben viele Politiker die rassistische Bedrohung klein geredet. Ich erwarte, dass die Politik die Ursachen rechtsextremer Gewalt ergründet.“
Kolat wirft der Bundesregierung vor, sie führe zurzeit nur eine „Pannenstrategie“ durch. „Es geht nur um die Aufklärung der Pannen der Sicherheitsbehörden. Es stört mich, dass nicht ernsthaft darüber diskutiert wird, wie in diesem Land ein verbrechenförderndes Klima gegen Minderheiten entstehen konnte. Mir fehlt ein Zeichen der Politik, das die Bevölkerung einbezieht.“
Kolat unterstützt die Forderung der Ombudsfrau der Bundesregierung, Barbara John, nach einer Reform der Polizei. Kolat sagte dem „Tagesspiegel“: „Es muss stärker nach rassistischen Einstellungen in der Polizei geforscht werden.“ Er forderte die Bundesregierung dazu auf, „mir zu jedem einzelnen Fall, der nicht offiziell als rechtes Tötungsverbrechen registriert ist, die Gründe zu nennen“.
Der Cehf der Türkischen Gemeinde bezeichnete es als „völlig unverständlich“, dass die Bundesregierung lediglich 48 Tote aufgrund rechtsextremer Gewalt nenne. Recherchen des „Tagesspiegel“ gehen von 148 Menschen seit 1990 aus.
Das vollständige Interview mit Kenan Kolat lesen Sie in der gedruckten Sonntagausgabe des Tagesspiegels oder schon am heutigen Samstagabend ab 19 Uhr in unserer iPad-App.