SPD-Politikerin Chebli: Keiner hat das Recht, meine Schwestern zu beschimpfen
Zwei Schwestern der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli werden rassistisch beleidigt und zeigen dafür Verständnis. Die SPD-Politikerin macht das wütend.
„Ich verstehe sie“, sagt meine Schwester. Ich: „Wen verstehst du?“ Sie: „Mich hat gerade ein Mann angerempelt und geschrien „Flüchtlinge raus“. Und weißt du was, Sawsan? Ich nehme ihm das nicht mal übel.“ Das war kurz nach dem furchtbaren Terrorangriff in Hamburg. Meine Schwester trägt ein Kopftuch.
Ein paar Tage später erzählt mir eine andere Schwester, wir sind dreizehn Geschwister, die gerade auf dem Weg zu meinem Vater ins Krankenhaus ist, dass ein Mann in einem Lieferwagen auf dem Krankenhausgelände die Fensterscheibe herunterkurbelt und sie anbrüllt: „Verpisst euch endlich.“ „Und was hast du gemacht“, frage ich sie. „Nichts“, sagt sie. „Wenn UNSERE Leute so viel Mist bauen, müssen wir uns nicht wundern, dass der so reagiert.“ Auch sie trägt ein Kopftuch.
Ich bin völlig platt. Und ich bin wütend. Zwei Fälle in nur einer Woche und innerhalb einer Familie. Anstatt zurückzuschreien, die Typen zurechtzuweisen oder sich das Kennzeichen des Lieferwagens zu notieren, schweigen beide. Mehr noch: Sie zeigen Verständnis. Eigentlich unglaublich und dennoch bin ich sicher, dass diese Gespräche so oder ähnlich in vielen muslimischen Migrantenfamilien ablaufen.
Ja, wie meine Geschwister bin auch ich dankbar, nicht im Lager im Libanon, sondern in Deutschland zu leben. Das hat auch was mit unserer Erziehung zu tun, denn unser Vater hat uns das gelehrt: Ewige Treue und Dankbarkeit. Deshalb tut es ihm in der Seele weh zu sehen, wie Menschen ihr Schutzrecht hier missbrauchen.
Wer mich kennt, weiß: Ich gehöre zu denjenigen in der Sozialdemokratie, die dafür sind, dass der Staat hart durchgreift, wenn Recht und Gesetz gebrochen werden. Ich bin auch für sinnvolle Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen und halte eine ideologische Abwehrhaltung gegen mehr Sicherheitsvorkehrungen für gefährlich. Und natürlich müssen wir wissen, wer in dieses Land kommt, und es können auch nur jene bleiben, die unseren Schutz wirklich brauchen. Diese Positionen zu vertreten, hat nichts mit Rechts- oder Konservativ-Sein zu tun. Das ist gesunder Menschenverstand.
Auf der anderen Seite ist man weder links noch undankbar, wenn man sich als Migrant gegen fremdenfeindliche Angriffe wehrt. Dass schon Sätze wie: "Wir dürfen Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen", Wellen übler Beleidigungen auslösen, muss uns zu denken geben. Ich habe das Gefühl, dass wir uns zu sehr von Populisten treiben lassen, die die Angst der Menschen missbrauchen, Hass schüren und ja, auch bereit sind, demokratische Grundprinzipien aufzugeben. Unsere deutsche Geschichte mahnt uns aber, aufzupassen, wenn Stimmung gemacht wird gegen Menschen und ganze Gruppen.
Also reden wir nicht nur über Religion und Herkunft. Reden wir davon, wo wir hinwollen mit unserem Land, wie wir verteidigen können, was unsere Gesellschaft so lebenswert macht! Diskutieren wir nicht nur mit denen, die eh unserer Meinung sind! Heben wir unsere Stimme gegen Gewalt und Terror, gegen Missbrauch und Anfeindung von Religionen, gegen Rassismus und Menschenverachtung, für einen durchsetzungsstarken Rechtsstaat und eine friedfertige, weltoffene Gesellschaft, die keine Angst vor der Zukunft haben muss. Haben wir den Mut, einander zuzuhören- über Parteigrenzen, Weltanschauungen und Religionen hinweg! Ermutigen und organisieren wir breites bürgerschaftliches Engagement für das, was uns allen am Herzen liegt: Ein sicheres, friedliches und respektvolles Zusammenleben.
Und meinen Schwestern habe ich gesagt: „Es ist richtig, dankbar zu sein, und auch ich versuche mich immer in die Lage des Anderen zu versetzen. Aber ihr dürft euch niemals einreden lassen, ihr gehört nicht dazu.“ Wir leben in einem Rechtstaat. Und keiner hat das Recht, meine Schwestern zu beschimpfen!
Ich bin in die SPD gegangen und dort politisch aktiv geworden, weil sie sich für die Schwächsten einsetzt, weil sie sich immer gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus gestellt hat - und weil sie von Menschen wie mir nicht verlangt, dass wir unsere Identität aufgeben, um dazu zu gehören. Weil ich will, dass Deutschland ein Land bleibt in dem wir ohne Angst vor Anfeindungen, ohne Angst voreinander zusammenleben können. Wir haben es gemeinsam in der Hand."
Sawsan Chebli ist SPD-Politikerin und seit 2016 Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund, sowie Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement. Davor war sie stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts.
Von Sawsan Chebli
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