Politik: „Keine Hüftgelenke für die ganz Alten“
Chef der Jungen Union fordert radikale Einschnitte bei Sozialversicherung / Rürup will Opfer von Neurentnern
Berlin. In der Debatte um die Reform der Sozialsysteme gibt es neue radikale Vorschläge. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union (JU), Philipp Mißfelder, verlangte, die Leistungen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung müssten auf eine reine Grundversorgung zurückgeschnitten werden. Dem Tagesspiegel am Sonntag erläuterte er, künstliche Hüftgelenke für sehr alte Menschen sollten nicht mehr auf Kosten der Solidargemeinschaft finanziert werden. Der Präsident des Sozialverbands VdK, Walter Hirrlinger, forderte die rot-grüne Bundesregierung auf, „endlich eine verlässliche Rentenpolitik einzuschlagen“.
Von Cordula Eubel
und Peter Siebenmorgen
Mißfelder kritisierte, dass die gesamte Politik – einschließlich der Union – das Prinzip des solidarischen Generationenvertrags zu einem „Generationenverrat“ habe verkommen lassen. Die Sozialsysteme bürdeten den jungen Generationen einseitig die Lasten auf. Nach der Vorstellung des JU-Vorsitzenden sollte es in der Rentenversicherung nur noch eine „Grundsicherung gegen die schlimmste Altersarmut“ geben. Für die Idee einer Grundrente ließ auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel erstmals Sympathie erkennen. „Wir müssen über einen Systemwechsel nachdenken“, sagte sie dem „Spiegel“. Vor einigen Wochen hatte CSU-Sozialexperte Horst Seehofer angeregt, eine steuerfinanzierte Sockelrente einzuführen.
Mißfelder sprach sich auch für eine deutliche Einschränkung der Leistungen bei der gesetzlichen Krankenversicherung aus: Die Sozialsysteme seien „nicht dafür zuständig, dass jeder Senior „fit für einen Rentner-Adventure-Urlaub“ sei. „Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen“, sagte der Nachwuchspolitiker. Früher seien die Leute schließlich auch auf Krücken gelaufen, erklärte er.
Scharfe Kritik übte Mißfelder an den Unionsparteien, die zu wenig programmatische Vorschläge böten. Die jetzige Generation der Politiker verspiele die Zukunft der jungen Menschen. Von CDU-Chefin Merkel erhoffe er sich, „dass bei den Fragen, die für die unmittelbare Zukunft unseres Landes wichtig sind, ähnliche Standfestigkeit gezeigt wird, so wie das bei der Irak-Frage der Fall war.“ Dem CSU-Sozialexperten Seehofer warf Mißfelder „Publicity-Aktionen zur Unzeit“ vor, die einen Wahlerfolg der CSU bei den bayerischen Landtagswahlen gefährden könnten. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch wiederum hätte wissen müssen, dass sein Kampf gegen das Vorziehen der Steuerreform als Machtkampf mit Angela Merkel verstanden werden müsse.
Auf scharfe Kritik stieß unterdessen ein Vorschlag von Regierungsberater Bert Rürup, Neurentnern erst mit einem Monat Verspätung ihre Altersbezüge auszuzahlen. „Das wäre doch Diebstahl“, sagte der Präsident des Sozialverbands VdK, Walter Hirrlinger, dem Tagesspiegel am Sonntag. Sollte die Politik diesen Gedanken aufgreifen, würde er einen Gang vors Verfassungsgericht prüfen. Rürup hatte in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ angeregt, mit einer späteren Auszahlung an die Rentner die Beiträge im Jahr 2004 bei 19,5 Prozent zu stabilisieren. Ohne Sparmaßnahmen droht ein Anstieg auf 19,9 Prozent. Im Gespräch ist außerdem, die Notreserve der Rentenkassen weiter aufzulösen, sowie die Rentenanpassung um ein halbes Jahr zu verschieben.
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