Nato-Einsatz in Afghanistan: Keine Geschenke unter Freunden
Kabul ist verärgert, weil die US-Truppen Material, das sie beim Abzug nicht mitnehmen wollen, Pakistan überlassen statt der afghanischen Armee Und auch die Bundeswehr gibt 60 Geländewagen lieber an die Mongolei.
Im Juni wird Afghanistan einen neuen Präsidenten bekommen. Dann findet endlich auch ein langer Streit ein Ende, in dem es um die Frage geht, ob nach dem Abzug der Nato Ende 2014 weiter ausländische Soldaten am Hindukusch bleiben werden. Die beiden Kandidaten, die voraussichtlich Anfang Juni in einer Stichwahl für das Präsidentenamt antreten werden, Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani, haben angekündigt, ein entsprechendes Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterzeichnen. Der Vertrag legt Bedingungen für eine Stationierung amerikanischer Truppen in Afghanistan über 2014 hinaus fest und gilt als Grundlage für den geplanten Folgeeinsatz der Nato, eine Ausbildungsmission, an der bis zu 800 deutsche Soldaten teilnehmen sollen. Derzeit sind noch gut 2500 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan stationiert. Der amerikanisch-afghanische Vertrag ist seit Monaten ausverhandelt, und auch eine Versammlung afghanischer Würdenträger hat ihm zugestimmt. Dennoch weigerte sich Präsident Hamid Karsai beharrlich, ihn zu unterschreiben.
Nun scheint das Problem erledigt, doch inzwischen schwelt ein neuer Streit zwischen Kabul und Washington. Und auch die Bundeswehr könnte in ihn verwickelt werden. Es geht um die Verwertung von Militärmaterial, das die Nato-Truppen nicht in ihre Heimatstaaten zurückführen wollen oder können – vor allem um gepanzerte Fahrzeuge. Statt sie den Afghanen für ihre Armee zu überlassen, zerstört die US-Armee viele dieser Fahrzeuge, weil ein Rücktransport zu teuer wäre. Oder, und das ist aus Sicht der Afghanen vielleicht noch schlimmer: Sie verkauft oder verschenkt sie an andere Nationen, namentlich an Pakistan. „Das hat viel von dem kaputtgemacht, was durch die Aufbauhilfe der vergangenen Jahre an Vertrauen geschaffen wurde“, sagt Ibrahim Arify, der nach langem Exil in Deutschland seit 2001 mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes in Kabul ein Filmarchiv betreut. In Afghanistan habe dieses Vorgehen heftige Debatten ausgelöst. „Die Leute fragen sich, warum arbeiten die Amerikaner für den Feind?“ Tatsächlich, so berichtete kürzlich die „Washington Post“, planen die USA, Pakistan Militärmaterial im Wert von rund sieben Milliarden Dollar zu überlassen. Pakistan sei in erster Linie an gepanzerten Fahrzeugen interessiert, um sie im Kampf gegen die Taliban im eigenen Land einzusetzen, schreibt das Blatt. Diese Fahrzeuge wiegen jeweils rund 40 Tonnen, weshalb ein Rücktransport in die USA extrem teuer wäre – rund 100 000 Dollar pro Fahrzeug. Auch die Afghanen, die jeden Monat mehrere Hundert Soldaten durch Angriffe der Taliban verlieren, könnten sie freilich gut gebrauchen. Die Amerikaner trauen den Afghanen aber offenbar nicht zu, die Fahrzeuge unterhalten – und auch halten – zu können. „Die Gefahr, dass Fahrzeuge, die klar als Nato-Fahrzeuge erkennbar sind, in die Hände von Aufständischen geraten könnten, ist groß“, heißt es auch in Berliner Militärkreisen. Diese könnten dann leicht für getarnte Angriffe missbraucht werden.
Die Bundeswehr überlässt den Afghanen ebenfalls keine Fahrzeuge. 60 Geländewagen vom Typ „Wolf“ wurden nach Auskunft des Verteidigungsministeriums dagegen der mongolischen Armee geschenkt. Die Mongolei unterstützt die Bundeswehr beim Einsatz in Nordafghanistan und hat zeitweise unter anderem die Bewachung des Bundeswehrlagers in Masar-i-Scharif übernommen. Über Beschwerden oder Unmut der Afghanen bezüglich des deutschen Vorgehens lägen dem Ministerium keine Informationen vor, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. In einer ZDF-Reportage über den Abzug der Bundeswehr aus Kundus im Oktober vergangenen Jahres berichtete der Journalist Uli Gack allerdings, die Übergabe des dortigen Feldlagers sei in beinah feindlicher Atmosphäre über die Bühne gegangen, weil die Afghanen mit dem überlassenen Material – Büroeinrichtung und Ähnliches – nicht zufrieden gewesen seien. Es sei dabei sogar zu Rempeleien gekommen.
Vor dem Abzug war auf dem Bundeswehrgelände in Kundus auffallend viel Rauch aufgestiegen. Material, das nicht mitgenommen werden sollte, wurde schlicht verbrannt oder auf andere Weise zerstört. Unter anderem auch GPS-Geräte. Dabei handele es sich vor allem um amerikanische Geräte mit einer sogenannten Endverbleibsklausel, sagte der Sprecher im Verteidigungsministerium. Eine Weitergabe sei hier im Kaufvertrag ausdrücklich ausgeschlossen. Gerieten GPS-Geräte in falsche Hände, könnten feindliche Kräfte an sensible Daten gelangen und beispielsweise Rückschlüsse ziehen, wie der Verbindungsaufbau zu Satelliten hergestellt werde, so die Begründung.
Material, das als Rüstungsgut klassifiziert sei, also vor allem Waffen, heißt es im Ministerium weiter, müsse grundsätzlich nach Deutschland zurückgeführt oder zerstört werden. Weit mehr als 1500 Container mit Material sind daher bereits auf dem Weg nach Deutschland ebenso wie mehr als 760 Fahrzeuge. 550 Fahrzeuge und rund 3230 Material-Container sollen folgen. Wie viel Material vor Ort zerstört wurde, gibt das Ministerium nicht preis. Aus Afghanistan ist allerdings zu hören, dass sich der Schrotthandel im Land durch den Abzug der Nato-Truppen zu einem Boomsektor entwickelt hat.