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In der Hafenstadt Mariupol sollen bis zu 90 Prozent aller Gebäude zerstört sein.
© Alexander Ermochenko/REUTERS
Update

Bei Telefonat zwischen Macron und Putin: Keine Einigung über Hilfsmission für Mariupol

Im zerstörten Mariupol hoffen Zehntausende auf Rettung vor der russischen Armee. Macrons Vorstoß für ihre Evakuierung ist vorerst gescheitert.

Der Vorstoß Frankreichs, Griechenlands und der Türkei, eine Hilfsmission für die seit Wochen schwer umkämpfte Großstadt Mariupol im Südosten der Ukraine zu starten, ist am Dienstag vorerst gescheitert. Eine humanitäre Operation in Mariupol sei „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht möglich, hieß es dazu nach einem Telefonat zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit Wladimir Putin aus dem Elysée-Palast.

Macron habe Putin die Initiative bei seinem Telefonat am späten Dienstagnachmittag vorgestellt. Dieser habe lediglich angekündigt, „darüber nachdenken“ zu wollen, bevor er antworten werde.

Putin forderte die ukrainischen Streitkräfte in Mariupol nach dem Telefonat zum Aufgeben auf. "Um eine Lösung für die schwierige humanitäre Lage in dieser Stadt zu finden, müssen die ukrainischen nationalistischen Kämpfer ihren Widerstand einstellen und die Waffen niederlegen", erklärte er.

Nirgendwo dürfte die Lage verheerender sein als in Mariupol. Wie dramatisch genau, das vermag keiner zu sagen. Fast 5000 Menschen sollen nach den Worten von Bürgermeister Wadym Bojtschenko getötet worden sein.

160.000 Menschen von einst 450.000 Einwohnern harrten noch immer in der belagerten Hafenstadt aus. Es gebe „kein Wasser, keinen Strom, keine Heizung und keine Kommunikation“, sagte das Stadtoberhaupt am Montag. 90 Prozent aller Gebäude gelten als beschädigt, 40 als völlig zerstört. „Es ist wirklich furchtbar“, sagte Bojtschenko.

Agnes Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International verglich Mariupol mit der im Syrienkrieg weitgehend dem Erdboden gleichgemachten Stadt Aleppo. Ihre Organisation beobachte in der Ukraine eine „Vervielfachung der Kriegsverbrechen“, sagte sie.

Tetjana Lomakina, ukrainische Verantwortliche für Flüchtlingskorridore, geht noch von höheren Opferzahlen aus als der Bürgermeister . „Etwa 5000 Todesopfer wurden beerdigt“, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Seit ungefähr zehn Tagen würden wegen der anhaltenden Bombardements jedoch keine Bestattungen mehr vorgenommen. Die Zahl der Todesopfer könnte daher sogar bei „ungefähr 10.000“ liegen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron will mit Waldimir Putin über Hilfe für Mariupol sprechen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron will mit Waldimir Putin über Hilfe für Mariupol sprechen.
© Thibault Camus/dpa

Von Strategischer Bedeutung

Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Dienstag von 100.000 Menschen, die weiter eingeschlossen seien. Schon seit Wochen wird um sichere Fluchtwege für Zivilisten gerungen. Seit Tagen bemüht sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gemeinsam mit der Türkei und Griechenland um eine Evakuierungsmission. Voraussetzung sei, dass Russland die Belagerung der Stadt aufhebe.

Doch der Ort ist für die russischen Angreifer von besonderer strategischer Bedeutung. Durch die Eroberung würde Russland einen Landkorridor von den „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk bis zur annektierten Halbinsel Krim schaffen. Dieser könnte noch weiter reichen, sollte Moskau den Vorstoß in Richtung Odessa fortsetzen.

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Mit der Einnahme der Hafenstadt Mariupol würde Moskau außerdem die alleinige Kontrolle über das Asowsche Meer erlangen. Gerade hat der Kreml angekündigt, sein Militär werde sich auf die „Befreiung des Donbass“ konzentrieren. Westlichen Beobachtern zufolge treffen die Angreifer in Mariupol auf die „am besten ausgerüsteten und ausgebildeten ukrainischen Streitkräfte“. Mariupol dürften weiter erbitterte Gefechte bevorstehen.

Tschetschenien-Machthaber Kadyrow reist nach Mariupol

Am Dienstag wurden unterschiedliche Meldungen über die Situation bekannt. Man halte die Rundum-Verteidigung aufrecht, hieß es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. Einheimische Streitkräfte hielten das Zentrum der Hafenstadt weiterhin, wurde auch aus dem britischen Militärgeheimdienst gemeldet.

Zugleich berichteten russische Medien, Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow sei in die belagerte Großstadt gereist. „Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow ist in Mariupol, um den Kampfgeist unserer Kämpfer zu steigern“, sagte der tschetschenische Minister Achmed Dudajew der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Diese veröffentlichte ein Foto von Kadyrow mit rund 20 tschetschenischen Kämpfern.

Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow (m.) bei einem Beusch in Mariupol Ende März.
Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow (m.) bei einem Beusch in Mariupol Ende März.
© Chingis Kondarov/REUTERS

Dudajew zufolge soll Kadyrow helfen, die Strategie für die „Befreiung“ Mariupols anzupassen. Kadyrow selbst verkündete via Telegram, die „Säuberung“ der zerbombten Stadt von „Nazi-Banditen“ laufe auf „Hochtouren“. Er versprach, dass Mariupol „in sehr kurzer Zeit vollständig befreit sein wird“.

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Anlass zur Sorge bereitet zudem der Hinweis aus dem britischen Verteidigungsministerium, dass russische Söldner der Gruppe „Wagner“ in der Ostukraine eingesetzt würden. Mehr als 1000 Söldner könnten entsandt werden. Die Truppe gilt als Russlands „Schattenarmee“, den Kämpfern werden in Syrien oder Libyen schwere Verstöße gegen Menschenrechte vorgeworfen.

Macron profitiert von seiner Vermittlerrolle

Macron hatte am Wochenende die gemeinsame Initiative mit der Türkei und Griechenland angekündigt, um eine Evakuierungsaktion aus Mariupol zu organisieren. Noch am Montag zeigte er sich zuversichtlich, eine Evakuierungsaktion könne "in den nächsten Tagen" beginnen. Doch dazu wird es vorerst nicht kommen.

Laut Mittelung des Kremls hat Putin Macron im gemeinsamen Telefonat auch über die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau für eine Beendigung des Krieges informiert. Zudem sei es um die Frage von Erdgaslieferungen nach Europa gegangen, die sich Russland nun in seiner Währung Rubel bezahlen lasse, hieß es. Details nannte der Kreml nicht.

Macrons diplomatischen Bemühungen fallen mitten in die heiße Wahlkampfphase – in weniger als zwei Wochen wählen die Franzosen ein neues Staatsoberhaupt. Der Amtsinhaber gilt als klarer Favorit. Durch seine Vermittlerrolle im Krieg legte er zunächst stark zu, kam erstmals über 30 Prozent. Macron kann sich als Beschützer Frankreichs präsentieren – und als Staatsmann, der mit Mächtigen der Welt auf Augenhöhe verhandelt.

Dieser Effekt ließ zuletzt aber nach. In den vergangenen Tagen hat der Präsident wieder leicht an Zustimmung verloren, in Umfragen fiel er auf unter 30 Prozentpunkte zurück. Zwar werden seine Bemühungen allseits als positiv bewertet – doch treiben die Französinnen und Franzosen die Auswirkungen um, die der Krieg auf ihr Leben hat. Bei einem Wahlkampfauftritt am Montag in Dijon wurde Macron von Bürgern auf gestiegene Preise angesprochen. Mit Blick auf die Wahl sind die Sorgen der Franzosen um ihre Kaufkraft für Macron von größerer Bedeutung als seine Vermittlungserfolge im Krieg.

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