Umfrage der Bertelsmann-Stiftung: Kein Überblick im Pflegedschungel
Seit acht Jahren gibt es einen Pflege-TÜV. Doch weil der nichts taugt und die Reform nicht vorankommt, fühlen sich viele bei der Heimsuche überfordert.
Jeder Zweite hierzulande fürchtet, im Alter nicht das passende Pflegeheim zu finden. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Nach zehn Jahren Pflege-TÜV sei dies „ein besorgniserregender Befund“, findet deren Gesundheitsexperte Stefan Etgeton. Eine Reform des bestehenden Informations- und Bewertungssystems für die Heime sei „dringend nötig und überfällig“.
Kritiker werfen dem Pflege-TÜV seit langem vor, die Unterschiede von Pflegeeinrichtungen nicht aussagekräftig genug abzubilden. Der Gesetzgeber hat die Betreiber und die Krankenkassen deshalb verpflichtet, bis zum Frühjahr 2017 ein neues Bewertungsverfahren zu entwickeln. Doch die Frist wurde nicht eingehalten. Nach einer europaweiten Ausschreibung arbeiteten Wissenschaftler nun seit einem halben Jahr an einer neuen Grundlage für bessere Qualitätsmessung und Qualitätsdarstellung, sagt Gernot Kiefer vom Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen. „Wir rechnen damit, dass deren Ergebnisse im Sommer 2018 vorliegen.“ Danach werde „umgehend“ mit der Umsetzung begonnen.
Reform nicht vor 2019
Heißt: Die Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen sich noch bis mindestens 2019 mit einem Pflege-TÜV begnügen, der über den wirklichen Zustand der Einrichtungen kaum etwas verrät. Weil sich im bisherigen Prüfsystem alle negativen Befunden mit positiven – also etwa auch gesundheitsgefährdende Pflegemängel mit schön gestaltenen Speisekarten – ausgleichen lassen, befindet sich die Qualität der deutschen Pflegeheime trotz zahlreicher Missstände auf dem Papier in Bestzustand. K.O.-Kriterien gibt es ebenso wenig wie echten Einblick.
Dabei wäre es aus der Sicht von Etgeton schon heute „ohne großen Aufwand möglich, entscheidungsrelevante Informationen bereitzustellen“. Wie das aussehen könnte, zeigt die Stiftung in einem Konzept, das sie mit Experten aus Wissenschaft und Betroffenenverbänden erarbeitet hat. „Die Pflegeanbieter sollten verpflichtet werden, über Leistungs- und Ausstattungsmerkmale Bericht zu erstatten, welche die Lebensqualität von Pflegebedürftigen maßgeblich beeinflussen“, heißt es darin.
Rote Warndreiecke und grüne Daumen
Statt Dezimalzahlen oder Noten sollte es „ein rotes Warndreiecke für besonders schlechte und einen grünen Daumen für besonders gute Pflegequalität“ geben. Auf Online-Plattformen sollte auch das „Erfahrungswissen“ von Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeitern nachzulesen sein. Und Pflegeanbieter und -kassen sollten auch Auskunft darüber erteilen müssen, „wie viele Pflegebedürftige ein Pflegender betreut und wie das Personal qualifiziert ist.“
Selbstverständlichkeiten, würde man meinen. Doch tatsächlich, sagt Etgeton, bleibe beim Pflege-TÜV bisher „völlig unterbelichtet“, welche Lebensqualität in den Heimen herrsche und wie viel Personal sie vorhielten.
Die Umfrageergebnisse bestätigen den Bedarf. 88 Prozent verlangen nähere Angaben zum Personaleinsatz, 94 Prozent zur Pflegequalität und 92 Prozent zur Ausstattung der Heime. Mehr als jeder Zweite ist der Auffassung, dass es enorme Qualitätsunterschiede gibt. Und zwei Drittel der Befragten plagt die Sorge, dass für die Pflegebedürftigen zu wenig Personal vorgehalten wird. Von denjenigen, die bereits auf der Suche nach einem Heimplatz waren, beurteilen 73 Prozent die Personalausstattung als „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“.
Patientenschützer: Betroffene müssen Prüfkriterien mitbestimmen dürfen
Die neue Pflegebevollmächtigte der Regierung, Ingrid Fischbach (CDU), mahnte Heimbetreiber und Kassen zur Eile. Man werde nicht zulassen, dass der neue Pflege-TÜV „ein Rohrkrepierer“ werde, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen“.
Es sei ein Fehler gewesen, „die gleichen Akteure mit der Weiterentwicklung des Pflege-TÜVs zu beauftragen, die schon beim alten System versagt haben“, findet indessen die Stiftung Patientenschutz. Statt wieder alles den Kassen und Anbietern zu überlassen, brauche es dafür ein unabhängiges Gremium, in dem auch Betroffene „ausreichend Sitz und Stimme haben“. (mit dpa)