Gedenken am Ground Zero: Kein Platz für Helden
Ausgerechnet die Feuerwehrleute, die damals unter größter Gefahr in die Türme vordrangen, dürfen beim Gedenken nicht dabei sein.
Eine Vokabel stirbt. Es war einmal „Ground Zero“. Ort des Schreckens. Hier legten Terroristen vor zehn Jahren das World Trade Center in Schutt und Asche und töteten fast 3000 Menschen. Amerika litt lange unter dem Trauma. Doch in diesen Tagen erwacht das Land neu. Am zehnten Jahrestag des Angriffs eröffnet Präsident Barack Obama die 9/11-Gedenkstätte – dort ist dann nicht mehr „Ground Zero“, sondern das neue World Trade Center.
New Yorker und Touristen aus aller Welt verfolgen die Wiedergeburt seit Monaten. Dicht gedrängt stehen sie am Bauzaun, schauen hinauf, wo sich das ikonische Gebäude „One World Trade Center“ langsam in den Himmel schiebt. Mit jedem Stahlträger, mit jedem Stockwerk wirft es ein wenig Last ab. In der gläsernen Fassade spiegelt sich der blaue Sommerhimmel mit seinen Wolkenfetzen. 80 Stockwerke hoch wird der Turm zum Jubiläum sein, weitere 21 folgen noch, inklusive der Aussichtsplattformen in der 100. und 101. Etage. Die gewaltige Antenne eingerechnet soll der Turm letztlich 1776 Fuß messen – eine Hommage an das Gründungsjahr der Vereinigten Staaten.
Eine Hommage – und ein Rekord. New York hat mit dem neuen Tower wieder das höchste Gebäude des Landes und Chicago vom Sockel gestoßen. Das tut hier gut, und doch geht es um mehr. Hier, an der Südspitze Manhattans geht es nicht mehr nur um Stolz, sondern um Besinnung. Inmitten der mehr als sechs Hektar großen Anlage entsteht eine Gedenkstätte, die schon bald das neue Herz der Millionenmetropole sein dürfte.
Kernstück sind die „Footprints“, die Grundrisse der ursprünglichen Türme. Der Rauch des 11. September 2001 hatte sich noch nicht gelegt, da hatte man diesen Bereich schon zum „heiligen Boden“ erklärt und von einer neuen Bebauung ausgeschlossen. Zehn Jahre später sind die Grundrisse weit offen. Wasserfälle stürzen zehn Meter tief hinab, auf der Brüstung sind 2981 Namen eingraviert, die Namen der Opfer, darunter sechs, die beim ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 ums Leben kamen. Um die „Fußstapfen“ stehen 150 Bäume, dazwischen der Memorial Pavillon, das Museum.
In den großzügig gestalteten Räumen dürfte es beklemmend werden, wenn Touristen die Sammlung betrachten. Den Feuerwehrwagen, der im Schatten der Türme von Trümmern zerbeult wurde. Das gewaltige Kreuz aus Stahlträgern, das Retter während der Aufräumarbeiten fanden und als Zeichen der Hoffnung bargen. Die angesengte Geldbörse von Ester DiNardo, die für den Finanzriesen Cantor Fitzgerald im Nordturm arbeitete und das Unglück nicht überlebte. Den abgegriffenen Helm, den Leutnant Mickey Kross vom Fire Department New York trug, als er im Nordturm Leben rettete. Das Taschentuch, mit dem sich Carl Selinger 1993 in einem verrauchten Aufzug schützte, und den „letzten Brief“, den er an seine Frau und Kinder schrieb. Selinger überlebte den Bombenanschlag.
Schon jetzt stehen die Leute Schlange, um in das Museum zu gelangen - dabei eröffnet es erst 2012. Lesen Sie weiter auf Seite 2.
An Audiostationen können Besucher die Berichte von Überlebenden hören, die oft mit gebrochener Stimme jene Morgenstunden wiedergeben, die Amerika veränderten.
Besucher stehen jetzt schon virtuell an, um als erste in das Museum zu gelangen. Ab dem 12. September ist es der Öffentlichkeit zugänglich, im Internet sind schon mehr als eine halbe Million Karten bestellt worden. Einen Tag früher dürfen zunächst die Hinterbliebenen ins Museum, die auch zur Gedenkveranstaltung mit Obama und dem New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg eingeladen wurden. Wie schon in den vergangenen neun Jahren werden während der Zeremonie erneut die Namen aller Opfer verlesen, Reden gehalten, Gedichte aufgesagt – und dazwischen gibt es jede Menge politischen Ärger.
Bei der Planung des Festakts hat man nämlich an die Familien gedacht, nicht aber an die Ersthelfer, die „aus Platzgründen“ nicht auf das Gelände dürfen. Ein schwerer Schlag für Tausende von Helden, die in den Stunden nach dem Terrorangriff nur einen Weg kannten: rein in die Türme, rein in beißenden Rauch und tödlichen Qualm. Die Menschenleben retteten, tagelang nach Überlebenden suchten, die Verletzte bargen. Sie müssen leider draußen bleiben, und es ist nicht das erste Mal, dass ihnen Unrecht geschieht.
Hatte man die Helfer im Taumel nach der Katastrophe umgehend zu Helden ernannt, und mit ihnen jeden einzelnen Polizisten und Feuerwehrmann New Yorks, ließ man den Worten keine Taten folgen. Jahrelang mussten die Ersthelfer um eine angemessene Krankenversicherung kämpfen. Viele von ihnen haben wochenlang Staub geatmet und später Krebs bekommen. Die Krankenkassen wollten für die entsprechenden Behandlungen nicht aufkommen und haben bis heute nicht entschieden, wer für welche Krankheiten die Versicherung in Anspruch nehmen darf.
Während die wahren Helden am 11. September also nicht erwünscht sind, plant eine ganze Armee lokaler Politiker ihre Auftritte. Außer Obama und Bloomberg will der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo eine größere Rolle spielen, und auch sein Amtskollege aus New Jersey, Chris Christie, kämpft um eine Sprechrolle. Sein Bundesstaat ist Mitträger der Hafenbehörde, der das Gelände des World Trade Centers gehört. Damit stehe ihm eine größere Rolle zu, heißt es.
New York wird den politischen Zwist wohl überstehen, und wenn nach der Gedenkstunde die Mikrofone abgebaut sind, gehört das Gelände sowieso bald der ganzen Stadt und der ganzen Welt. Und bald steht auch nicht mehr alles im Gedenken an die Opfer. Das soll im Museum und im Memorial stattfinden, während in den neuen Türmen neues Leben einzieht. Mit dem Edelverlag Condé Nast hat man einen prestigeträchtigen Hauptmieter für den neuen Turm gefunden. Hier werden in Zukunft der „New Yorker“ und die „Vogue“ aufgelegt. Auf viereinhalb Hektar Fläche entsteht ein gewaltiges Shoppingcenter, und ein topmodernes Performing Arts Center soll schon bald das Joyce Theater beherbergen.
Kunst, Kultur, Kommerz – das World Trade Center soll bald das Herz Manhattans werden, die neue Seele der Stadt, ein Wallfahrtsort für Einheimische und Besucher.
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