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Eine Frau mit Burka.
© dpa

Umgang mit dem Islam: Kein Gott schreibt eine Burka vor

Wenn man sich wie in einem Werbespot für die AfD vorkommt - dann aber doch das ästhetisch-kulturell Fremde in Berlin wahrnimmt. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Dr. Peter von Becker

Vor einigen Jahren gab es noch diesen Witz: Eine türkische Familie in Istanbul sitzt beim Essen, und die gerade Abitur machende Tochter verkündet ihren Wunsch, demnächst nach Berlin zu gehen. Da erwidert der Vater: „Berlin? Kommt überhaupt nicht in Frage. Hinterher kommst du uns noch mit einem Kopftuch zurück!“

Es war einmal Istanbul. Eben noch die hippe Weltstadt mit weit mehr internationalen Touristen als das (sich in manchem überschätzende) Berlin. Mit einer aufregend wachsenden Kultur-, Wirtschafts- und Wissenschaftsszene. Nun fällt die Türkei in einem anhaltenden Staatsstreich von oben zurück, wird täglich mehr zur populistischen Demokratur. Mit schrumpfendem Rechtsstaat, Nationalismus, Islamismus. Und viele – nicht alle! – türkischstämmige Bürger in Deutschland, in Berlin, tragen nicht nur Kopftuch und rote Halbmondfahnen, sie halten auch diese Kolumne, die kein Chefredakteur, kein Politiker, kein Zensor verordnet hat, für das Produkt einer gelenkten „L“-Presse.

Er grassiert wirklich, der Erdowahn, und das dumme „L“-Wort möchte man denen, die ihm anhängen, so wenig wie allen anderen rechten Nationalisten noch weiter schenken, indem man es selbst wiederholt. Und sei’s nur in Anführungszeichen. Denn allen, die meinen, auch die seriöse Presse mache mal Fehler und schreibe was Irrtümliches oder auch Unwahres, sei gesagt: Das stimmt.

Irren, sogar lügen ist leider menschlich. Aber wir leben, lesen und schreiben in einem Land, in dem es die freie Konkurrenz der Nachrichten und Meinungen gibt, in dem Medienlügen nur sehr kurze Beine haben, in dem man Irrtümer und Falschmeldungen auch eingesteht und möglichst korrigiert. Unsere verfolgten, eingesperrten, in ihrer Existenz bedrohten Journalistenkollegen nicht nur in der Türkei, in China, Russland, Saudi-Arabien und zahllosen anderen Staaten der Welt, beneiden uns um diese Pressefreiheit und Presselandschaft. Viele wären jetzt für ihr Leben gerne hier.

Der Blick trifft zwei Augen, nur hinter einem schmalen Gitterschlitz

Nun eine ganz andere Szene. Ich jogge manchmal in Charlottenburg-Wilmersdorf, und wenn es zeitlich nicht weiter reicht, dann auch in kleinen Gartenanlagen, oft im Kreis oder Viereck, das ist langweilig, geht aber auch. So kürzlich am Rand eines Spielplatzes an der begrünten Trasse nahe dem S-Bahnhof Charlottenburg. Es ist dort an diesem Morgen fast menschenleer, nur vom Spielplatz kommt Kindergeschrei. Ich sehe eine schwarze Frauengestalt, denke, sie sieht aus wie eine Nonne (nahebei sind ein Altersheim und eine Kita), und laut weint ein Kind. Ich laufe zu dem Spielplatz, auf einer Schaukel sitzt ein vielleicht drei-, vierjähriges rotlockiges weißes Kind, und als die massige schwarze Frauengestalt sich umdreht, erschrecke ich: Der Blick trifft zwei Augen nur hinter einem schmalen Gitterschlitz, die Frau (?) in Schwarz, die das schreiende rotlockige Kind an der Hand hält, trägt eine Burka.

Einen Moment lang denke ich, das kann doch bloß erfunden sein. Gestellt, Vorsicht Kamera! Und ich wähne mich unversehens in einem Werbespot der AfD.

Natürlich ist mir das peinlich. Ich bin eigentlich im Laufen, soll ich nun anhalten, mich einmischen? Wie gehören das Kind und die Burkafrau zusammen? Für eine Entführung wäre die Konstellation zu spektakulär. Die Frau schlägt das Kind auch nicht, und du willst keinen Hilfssheriff geben und keine Vorurteile gegen muslimische Frauen zeigen. Was also tun?

Das ästhetisch-kulturell Fremde

Ich bin weitergejoggt, vorbeigelaufen. Mit doppelt schlechtem Gewissen. Weil auch im Bewusstsein, dass ich selber so erschrocken war und mich, in die Seele des unbekannten, weinenden Kindes versetzt, vor dem schwarzen Gespenst gefürchtet hätte.

Dass ich gegen Burkas in einem freien, mehrheitlich aufgeklärten Land bin, ist klar. Kein Gott schreibt eine Burka vor, kein Mann hat das Recht, sie Frauen zu oktroyieren (und man/frau erzähle uns nichts von der angeblich völlig selbstbestimmten Freiwilligkeit der Burkaträgerinnen).

Hinzu kommt hier, jenseits des Politisch-Moralischen, auch das ästhetisch-kulturell Fremde. Es wird von uns (vermeintlich) Aufgeklärten leicht verdrängt, man möchte ja auf keinen Fall xenophob erscheinen.

Doch wir müssen, wenn wir – mal abgesehen von blankem, unbelehrbar verblendetem Rassismus – die heute Beunruhigten erst nehmen wollen, auch über das Fremde sprechen. Der Fremde, Xenos, war im Altgriechischen auch der Gast. Freilich nur auf Zeit. Danach war er meist Freund oder Feind. Was aber zwischen beidem ist, darum geht es. Jetzt.

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