Südafrika: Kaum Hoffnung am Kap
In Südafrika breiten sich gewaltsame Streiks und Anarchie aus. Vielen Schwarzen geht es schlechter als 1994.
Die Tötung von 34 streikenden Bergarbeitern durch die Polizei vor zwei Wochen hat Südafrika in einen tiefen Schockzustand versetzt – und vielerorts große Sorgen um die politische Entwicklung des Landes und auch das stark angeschlagene Investitionsklima geschürt. Sollten Unternehmen und Anleger als Reaktion auf die allgemeine Unsicherheit nach dem Blutbad weniger investieren, dürfte dies die angespannte Lage verschärfen, denn das Land ist stark auf ausländische Geldzuflüsse angewiesen. Wenig hilfreich ist, dass der Streik auf der Platinmine unvermindert weitergeht und ein Übergreifen auf andere Sparten wie etwa den Goldbergbau oder auch die Automobilbranche möglich ist.
Bereits jetzt steht fest, dass die Ereignisse auf der Platinmine von Marikana, 100 Kilometer westlich von Johannesburg, für das Land eine Zäsur sind – und das Potenzial haben, den Gang der südafrikanischen Politik grundsätzlich zu verändern. Viele Südafrikaner sind entsetzt über das Ausmaß der Gewalt und verlangen nach Antworten und Konsequenzen. Schließlich ist der völlig aus dem Ruder gelaufene Streik längst kein Einzelfall mehr, sondern steht stellvertretend für viele andere soziale Missstände.
Die Warnlichter am Kap blinken bereits seit Jahren: Längst gehört die Gewalt bei Streiks hier zum politischen Alltag. Arbeitswillige werden von streikenden Kollegen oft massiv eingeschüchtert und drangsaliert. Bei einem Streik privater Wachmänner im Jahre 2006 wurden Dutzende Arbeitswilliger von Streikenden ermordet, ohne dass der Staat wirksam interveniert hätte. Dies liegt daran, dass der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) seit Langem mit dem mächtigen Gewerkschaftsbund Cosatu verbündet ist und wenig Lust verspürt, sich mit seinen Alliierten und Parteifreunden anzulegen.
Immer öfter werden bei Streiks ganze Innenstädte zum Stillstand gebracht, Autobahnen blockiert oder Zugwaggons und Schulen in Brand gesteckt, ohne dass die Polizei dagegen vorginge. In den staatlichen Krankenhäusern sterben Patienten, weil das streikende Pflegepersonal sich einfach in den Ausstand begibt. Und immer öfter werden auch schwarze Zuwanderer von schwarzen Südafrikanern bedroht oder ermordet, weil sie den Einheimischen angeblich Arbeitsplätze stehlen. Die blutigen Streiks auf der Platinmine sind deshalb nur ein weiteres, wenn auch besonders erschreckendes Beispiel für die schleichende Anarchie im Land.
Längst hätten der ANC und die Sicherheitsorgane das Risiko erkennen müssen, das mit dieser sich ausbreitenden Kultur der Gewalt verbunden ist, kritisiert das Institute for Security Studies (ISS). Doch sowohl Geheimdienste wie Polizei sind durch die zermürbenden Machtkämpfe innerhalb der Regierung inzwischen derart gelähmt, dass sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Seit Jahren besetzt der ANC die Polizei und andere wichtige staatliche Stellen nicht nach Kompetenz oder Verdienst, sondern fast nur noch nach parteipolitischer Loyalität mit eigenen Parteikadern. Die gerade neu ernannte Polizeichefin verfügt zum Beispiel über keinerlei Erfahrungen im Polizeidienst, aber über enge Beziehungen zu Staatschef Jacob Zuma, moniert Polizeiexperte Johan Burger.
Dass es am Kap so schnell so weit bergab gehen konnte und die Unzufriedenheit vieler Schwarzer 18 Jahre nach dem Machtantritt des ANC größer als je zuvor ist, hat neben der Machtarroganz und Selbstbereicherung der Regierungspartei vor allem mit der Person des Präsidenten zu tun: Auch drei Jahre nach seinem Machtantritt weiß niemand, wohin Jacob Zuma Südafrika eigentlich führen will – er selbst wohl am allerwenigsten. Seit Monaten ist der 70-Jährige nur noch darauf bedacht, seine zweite Amtszeit im Jahre 2014 zu sichern, über die vermutlich auf einer ANC-Parteikonferenz am Jahresende entschieden wird.
Inzwischen scheinen sich die Befürchtungen der Pessimisten zu bewahrheiten, die früh davor warnten, dass Zuma und dem ANC weniger am Wohlergehen des Landes als am eigenen Machterhalt gelegen sei. Immer deutlicher wird, dass der im Schatten einer Korruptionsanklage ins Amt gelangte Präsident nicht nur seine politischen Schulden gegenüber den (militanten) Gewerkschaften begleicht, sondern gleichzeitig auch mit immer größerer Härte gegen Presse und Justiz vorgeht, die sich der Korruption und dem Machtmissbrauch der Regierenden mutig entgegenstellen – noch.
Die Politik des „Black Economic Empowerment“ (BEE), mit der die Schwarzen insgesamt eigentlich stärker an der von den Weißen dominierten Wirtschaft beteiligt werden sollten, hat nur eine kleine, gut vernetzte schwarze Elite märchenhaft reich gemacht, aber für die breite Masse kaum Besserung gebracht. Fast Dreiviertel aller Kabinettsmitglieder und Zweidrittel aller Parlamentarier haben einem Bericht von ISS zufolge inzwischen auswärtige Geschäftsinteressen, oft zu Firmen, die um Staatsaufträge buhlen. Gleichzeitig geht es rund der Hälfte der (schwarzen) Bevölkerung heute schlechter als am Ende der Apartheid. Offiziellen Zahlen zufolge hat jeder vierte Südafrikaner keine Arbeit. Die tatsächliche Zahl liegt weit höher, weil sich viele Arbeitslose nicht bei den Behörden melden.
Und eine Trendwende ist nirgends in Sicht. Das Blutbad auf der Platinmine ist vielmehr ein neues Indiz dafür, wie weit sich Südafrika von den Idealen der Mandela-Ära (1994-1999) entfernt hat.
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