Eine Million Flüchtlinge im Libanon: "Katastrophaler Rekord"
Mehr als eine Million Syrer sind laut UN bislang in den Libanon geflohen. Experten gehen sogar davon aus, dass noch viel mehr Menschen dort Zuflucht gefunden haben - und das hat dramatische Folgen.
Die Flüchtlingssituation im Libanon wird immer dramatischer. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die Zahl der Syrer, die vor dem Bürgerkrieg in das Nachbarland geflohen sind, jetzt offiziell die Millionengrenze überschritten. Das entspricht einem Viertel der einheimischen Bevölkerung. Für die UN ist das ein "katastrophaler Rekord". Hilfsorganisationen gehen allerdings sogar davon aus, dass noch viel mehr Menschen im Zedernstaat Zuflucht gefunden haben. Denn kein Land hält seine Grenzen so offen wie der Libanon. Etwa 2500 Menschen nutzen diese Chance - pro Tag. Die Hälfte davon ist minderjährig.
Die Folgen für den Libanon und die dort lebenden Flüchtlinge sind in vielerlei Hinsicht dramatisch. Die Syrer hausen zumeist in provisorischen Zelten aus Brettern und Plastikplanen, Garagen oder Tierställen. Feste Camps mit entsprechender Logistik gibt es nicht. Die Behörden lassen das nicht zu.
Angst vor dauerhaften Lagern
Sie befürchten, dass dauerhafte Strukturen entstehen können. Doch die kommen für die Verantwortlichen nicht infrage. In den vergangenen Jahrzehnten hatte der Libanon zigtausende Palästinenser aufgenommen, die dann geblieben sind. Das soll sich auf keinen Fall mit den Syrern wiederholen. Und deshalb erhalten die Vereinten Nationen weiterhin keine Genehmigungen für den Aufbau von Lagern. Das wiederum macht es extrem schwierig, die Bedürftigen mit dem Nötigsten zu versorgen. Auch sind vielerorts die sanitären Verhältnisse besorgniserregend, die Abfallentsorgung ist in manchen Gegenden bereits zusammengebrochen. Ganz abgesehen davon, dass nur ein kleiner Teil der Flüchtlingskinder zur Schule gehen kann. Es fehlt einfach an den dafür notwendigen Einrichtungen. Jungen müssen häufig arbeiten gehen, Mädchen werden möglichst früh verheiratet.
Überhaupt stellt der Ansturm der Syrer den Libanon vor dramatische Herausforderungen, die das kleine Land aus eigener Kraft nicht bewältigen kann. So werden beispielsweise die Engpässe im Gesundheitswesen oder bei der Wasserversorgung immer größer. Auch auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt macht sich der enorme Zustrom der Flüchtlinge längst bemerkbar. Die Mietpreise sind in die Höhe geschnellt. Und viele Syrer sind bereit, Jobs zu Dumpinglöhnen anzunehmen. Das stellt die bislang bewundernswerte Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Einheimischen auf eine harte Probe. Ihr Unmut wird immer größer. Nicht zuletzt, weil die öffentlichen Ausgaben in die Höhe schnellen, während die Wirtschaftsleistung insgesamt sinkt. Die Weltbank schätzt, dass die Syrien-Krise den Libanon inzwischen 1,8 Milliarden Euro gekostet hat und bis zu 170.000 Libanesen unter die Armutsgrenze fallen könnten.
UN fürchten um die Sicherheit in der Region
Doch auch wenn von Tag zu Tag klarer wird, dass das ohnehin politisch instabile Land die Last allein nicht schultern kann und langfristig von außen Unterstützung braucht: Die erforderlich humanitäre Hilfe ist nach Angaben der UN nur zu 13 Prozent finanziert. Aus Sicht der Weltorganisation ein Unding. "Die Internationale Unterstützung für staatliche Einrichtungen sowie für lokale Gemeinden steigt zwar allmählich, aber wir sind noch sehr weit von den tatsächlichen Bedürfnissen entfernt", sagt der Leiter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Antonio Guterres. "Hilfe für den Libanon ist nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch dringend nötig, um die Erosion von Frieden und Sicherheit in dieser fragilen Gesellschaft und der ganzen Region zu stoppen."
Insgesamt sind laut UNHCR 2,6 Millionen Syrer als Flüchtlinge registriert. Neben dem Libanon sind die Türkei (667.000) und Jordanien (589.000) die wichtigsten Aufnahmestaaten. Im Bürgerkriegsland selbst irren Schätzungen zufolge bis zu sieben Millionen Menschen umher. Bis zu neun Millionen sind dringend auf Hilfe angewiesen. Und es könnten noch viel mehr werden. Denn der blutige Konflikt zwischen Machthaber Baschar al Assad und den Aufständischen geht mit unverminderter Härte weiter.