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Verfassungsgericht: Karlsruhe bestätigt Lissabon-Vertrag - unter Auflagen

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Der EU-Vertrag ist mit dem Grundgesetz konform. Allerdings darf Deutschland den Vertrag noch nicht ratifizieren. Bundestag und Bundesrat müssen mehr Beteiligungsrechte eingeräumt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat sein mit Spannung erwartetes Urteil über den Lissabon-Vertrag gesprochen: Grundsätzlich haben die Karlsruher Richter den EU-Reformvertrag als verfassungskonform bestätigt, erteilten der Bundesregierung aber einige Auflagen. Bevor Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift tatsächlich unter den Vertrag setzt, müssten zunächst die Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat gestärkt werden, heißt es in dem am Dienstag verkündeten Urteil. "Das Grundgesetz sagt Ja zu Lissabon, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung", sagte der Vizepräsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle.

Somit darf Deutschland dem Vertrag erst dann zustimmen, wenn das entsprechende Begleitgesetz novelliert ist. Im Gegensatz zum Zustimmungsgesetz sei dieses Gesetz, in dem die Mitbestimmungsrechte der Parlamentarier geregelt sind, verfassungswidrig. Nach den Worten des Zweiten Senats weise es Defizite auf und muss also nachgebessert werden. Erst dann dürfe die Ratifikationsurkunde zum Vertrag hinterlegt werden.

Außerdem behalten sich die Verfassungsrichter eine weitreichende Kontrolle vor. Laut Urteil darf das Gericht prüfen, ob sich die EU beim Erlass von Regelungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit bewegt, falls beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg kein Rechtsschutz zu erlangen ist. Außerdem pocht Karlsruhe auf eine Kontrolle der "Verfassungsidentität": Das Gericht prüfte, ob europäische Rechtsakte mit dem "unantastbaren Kerngehalt" des Grundgesetzes wie etwa dem Schutz der Menschenwürde und dem Demokratieprinzip vereinbar sind.

Damit hat der Zweite Senat mehreren Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben. Geklagt hatten unter anderem der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler und die Bundestagsfraktion der Linken. Sie hatten moniert, dass der Lissabon-Vertrag die staatliche Souveränität Deutschlands unzulässig einschränkt. Wichtige Entscheidungen würden dem Bundestag und damit dem deutschen Volk entzogen.

Hätten die Karlsruher Richter den Klagen vollständig stattgegeben und damit den Lissabon-Vertrag gestoppt, hätte der ohnehin in einer Krise steckende europäische Integrationsprozess zum Erliegen kommen können. Experten hielten diesen Fall aber bereits im Vorfeld für unwahrscheinlich. Auch das Gericht selbst betonte, dass der Umfang der politischen Gestaltungsmacht der EU zwar "stetig und erheblich" gewachsen sei. Allerdings sei die EU auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon "noch" kein staatliches Gebilde. "Sie ist kein Bundesstaat, sondern bleibt ein Verbund souveräner Staaten."

Durch das Urteil gerät der Bundestag unter Zeitdruck – der Vertrag soll spätestens Anfang 2010 in Kraft treten. Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, kündigte an: "Wir werden die Anforderungen des Gerichts selbstverständlich aufnehmen und die parlamentarische Beteiligung bei Hoheitsübertragungen sicherstellen. Wir werden das noch in der Sommerpause in Angriff nehmen." Die erste Lesung des neuen Gesetzes soll Ende August stattfinden, bevor es dann in einer Sondersitzung des Bundestags am 8. September verabschiedet werden soll. Röttgen kündigte an, dass die Koalition die Opposition an dem Gesetz beteiligen wolle. Denn man wolle die Gestaltung der Mitbestimmungsrechte des Parlaments auf eine "breite Grundlage" stellen.

Bereits vor einem Jahr hatten Bundestag und Bundesrat das Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag verabschiedet. Bislang hatte es Bundespräsident Köhler mit Rücksicht auf die Entscheidung der Karlsruher Verfassungsrichter noch nicht unterzeichnet.

Einschließlich Deutschland haben vier der insgesamt 27 EU-Mitglieder den Lissabon-Vertrag noch nicht ratifiziert. Das ist aber Voraussetzung dafür, dass der Reformvertrag in Kraft treten kann. In Irland steht eine zweite Volksabstimmung an. Die EU hatte den Iren bestimmte Garantien gegeben, damit im zweiten Anlauf ein Ja erreicht werden kann. In Tschechien und Polen weigern sich bislang die europaskeptischen Präsidenten Vaclav Klaus und Lech Kaczynski, die Ratifizierungsurkunden zu unterschreiben.

ZEIT ONLINE, dpa, Reuters

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