Ruhestand nach 30 Jahren: Kardinal Karl Lehmann: Beharrlich weltoffen
Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann feiert heute Geburtstag und Abschied. Nach mehr als 30 Jahren als Bischof geht er in den Ruhestand gehen. Welche Spuren hinterlässt er?
Die Plätze im Dom werden nicht reichen, wenn Pfingstmontag Kardinal Karl Lehmann 80 Jahre alt wird. Die Mainzer haben für den Festgottesdienst Public-Viewing-Leinwände aufgestellt, und das Fernsehen überträgt live. Denn der rundliche Mann mit dem lauten, kollernden Lachen ist einer der beliebtesten deutschen Bischöfe. Er verkörpert für viele auch kirchenferne Menschen seit mehr als 30 Jahren eine weltoffene, lebensnahe Kirche.
Er hat keine Auseinandersetzung gescheut und sich nie geschont. Er ist unermüdlich durchs Land gereist, hat gepredigt, auf unzähligen Podien diskutiert, mit Politikern verhandelt, auf Ärztekongressen und Unternehmerforen geredet und nebenher hunderte Bücher und Aufsätze verfasst. Gelitten hat die Gesundheit. Nun will er kürzertreten und hat sein Rücktrittsgesuch nach Rom geschickt. Es wurde angenommen.
Es gab Gerüchte, wonach Kardinal Lehmann beim Konklave 2013 mitgeholfen hat, dass eine Mehrheit für Franziskus zustande kam. Er ahnte, dass dieser Mann die Kirchenlehre weiten würde, statt sie zu verengen wie seine Vorgänger. Dass er deutlich machen würde, dass die Dogmen für die Menschen da sind und nicht umgekehrt. Er hat sich nicht getäuscht.
Das große Vatiaknische Konzil begeisterte ihn
Lehmann ist im Schwäbischen aufgewachsen. Der Vater war Lehrer. In der katholischen Kirche hat er früh Heimat und Nahrung für seinen Bildungshunger gefunden. Das große Vatikanische Konzil in den 60er Jahren in Rom entfachte vollends seine Leidenschaft für die Kirche. Als die Kardinäle die Fenster der Weltkirche zur Moderne öffneten, schrieb Lehmann in Rom seine Doktorarbeit über Heideggers Existenzphilosophie. „Ich kann mich gar nicht denken ohne Konzil“, hat er neulich gesagt. Mit 32 Jahren war er Professor und wollte umsetzen, was die Kardinäle beschlossen hatten.
Lehmann hat Antworten auf Fragen über das Menschsein nie nur in der Theologie gesucht. Er tauscht sich mit den anderen Wissenschaften aus und verfolgt sogar noch die Entwicklungen in der Literatur. 120 000 Bücher stehen in seinem Bischofshaus, er hat vermutlich viele davon gelesen. Und obwohl er durch und durch ein Intellektueller ist, blüht er auch auf, wenn er unter Menschen ist, sei es auf einem Volksfest oder im Kindergottesdienst. Zu seinem großen Bekanntenkreis gehören Politiker, Wirtschaftslenker und auch der Fußballtrainer Jürgen Klopp.
Seine intellektuelle Existenz musste er hart einschränken, als ihn Johannes Paul II. 1983 zum Mainzer Bischof machte. „State in fide“ wählte Lehmann zum Bischofsmotto – „Steht fest im Glauben“. Er trat mutig für das ein, was er für richtig hielt, auch wenn der Ärger mit den Konservativen um Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger vorprogrammiert war. 1987 wählten ihn die jungen Bischöfe und Weihbischöfe dafür zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz – gegen den Willen Roms. Dort galt er längst als Vertreter des argwöhnisch beäugten, weil allzu protestantisch geprägten Deutschlands. Dass Lehmann mit großer Freude den Dialog mit der evangelischen Kirche vertiefte, machte ihn in Rom noch verdächtiger.
Er musste auch Kompromisse eingehen
Er widersetzte sich, als Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger von ihm verlangten, dass er die Königsteiner Erklärung zurücknimmt, in der die deutschen Bischöfe es dem Gewissen der Gläubigen überlassen wollten, ob sie das Verhütungsmittel-Verbot befolgen. Als er mit zwei Amtsbrüdern anregte, wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen zu den Sakramenten zuzulassen, musste er nachgeben. In den 90er Jahren zwangen sie ihn, aus der Schwangerenkonfliktberatung auszusteigen.
Die Auseinandersetzungen haben Spuren hinterlassen. Doch Lehmann ist darüber nicht bitter geworden. Er hat sich seine Gelassenheit bewahrt und auch seine Zuversicht. Franziskus hat den Katholiken in seinem Schreiben „Amoris Laetitia“ kürzlich „empfohlen“, auf Verhütungsmittel zu verzichten, das ist kein hartes Verbot mehr. Bischöfen und Pfarrern rät er, wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen zu den Sakramenten zuzulassen. Und seine Barmherzigkeit macht sicher nicht vor verzweifelten Schwangeren halt. Könnte es für den beharrlichen Kämpfer Karl Lehmann einen besseren Zeitpunkt geben, um 80 Jahre alt zu werden und sein Amt aufzugeben?
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